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Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.

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Nibelungenlied, oder bestimmter, die Gestalt desselben,
in der wir es, aus dem Anfange des dreizehnten Jahr-
hunderts uns überliefert, lesen, aus einer noch jetzt er-
kennbaren Zusammensetzung einzelner romanzenartiger Lie-
der entstanden sei.

Wenn diese Behauptung nicht neu erscheinen möchte,
weil einige von den Männern, die sich mit so regem Eifer
der Kenntniß und Erforschung altdeutscher Dichtung ge-
widmet, eben dieselbe oder doch manche ihr auffallend
ähnliche aufgestellt haben: 1) so würde dies theils eine ge-
nauere mehr ins Einzelne gehende Erörterung nicht aus-
schließen; theils scheint es auch, daß zu ihrer rechten Fest-
stellung und Begründung mehrere zwar verwandte und
sich überall berührende Fragen, deren jede aber dennoch
in einen anderen Kreis eingeschlossen ist, bestimmter, als
bisher geschehen zu sein scheint, von einander getrennt
werden müssen.

Man hat sich mi[t] Recht bestrebt, von der einen Seite
her das Geschichtliche, aus dem Sage und Lied allmählig
gebildet worden, zu erforschen; man hat in anderer Bezie-
hung angefangen, dem Zusammenhange und der Ausbil-
dung der Sage, und der Dichtung mit ihr, nachzuspüren.
Durch die Verbindung beider Untersuchungen ist schon ein
Bedeutendes für die Geschichte der Sage und des ganzen
Deutschen Liederkreises gewonnen. Von dieser möchte ich
nun aber einmahl die Geschichte dieses einzelnen Gedichts
von der Nibelungen Noth absondern; und wenn die frü-
heren Forschungen meistens auf die Geschichte des ganzen
Sagenkreises gerichtet waren, oder, wo sie auf dieses Werk
insbesondere bezogen wurden, dennoch immer mehr die
Bildungsgeschichte aller in diese Reihe gehörigen Lieder

Nibelungenlied, oder beſtimmter, die Geſtalt deſſelben,
in der wir es, aus dem Anfange des dreizehnten Jahr-
hunderts uns überliefert, leſen, aus einer noch jetzt er-
kennbaren Zuſammenſetzung einzelner romanzenartiger Lie-
der entſtanden ſei.

Wenn dieſe Behauptung nicht neu erſcheinen möchte,
weil einige von den Männern, die ſich mit ſo regem Eifer
der Kenntniß und Erforſchung altdeutſcher Dichtung ge-
widmet, eben dieſelbe oder doch manche ihr auffallend
ähnliche aufgeſtellt haben: 1) ſo würde dies theils eine ge-
nauere mehr ins Einzelne gehende Erörterung nicht aus-
ſchließen; theils ſcheint es auch, daß zu ihrer rechten Feſt-
ſtellung und Begründung mehrere zwar verwandte und
ſich überall berührende Fragen, deren jede aber dennoch
in einen anderen Kreis eingeſchloſſen iſt, beſtimmter, als
bisher geſchehen zu ſein ſcheint, von einander getrennt
werden müſſen.

Man hat ſich mi[t] Recht beſtrebt, von der einen Seite
her das Geſchichtliche, aus dem Sage und Lied allmählig
gebildet worden, zu erforſchen; man hat in anderer Bezie-
hung angefangen, dem Zuſammenhange und der Ausbil-
dung der Sage, und der Dichtung mit ihr, nachzuſpüren.
Durch die Verbindung beider Unterſuchungen iſt ſchon ein
Bedeutendes für die Geſchichte der Sage und des ganzen
Deutſchen Liederkreiſes gewonnen. Von dieſer möchte ich
nun aber einmahl die Geſchichte dieſes einzelnen Gedichts
von der Nibelungen Noth abſondern; und wenn die frü-
heren Forſchungen meiſtens auf die Geſchichte des ganzen
Sagenkreiſes gerichtet waren, oder, wo ſie auf dieſes Werk
insbeſondere bezogen wurden, dennoch immer mehr die
Bildungsgeſchichte aller in dieſe Reihe gehörigen Lieder

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[4/0012] Nibelungenlied, oder beſtimmter, die Geſtalt deſſelben, in der wir es, aus dem Anfange des dreizehnten Jahr- hunderts uns überliefert, leſen, aus einer noch jetzt er- kennbaren Zuſammenſetzung einzelner romanzenartiger Lie- der entſtanden ſei. Wenn dieſe Behauptung nicht neu erſcheinen möchte, weil einige von den Männern, die ſich mit ſo regem Eifer der Kenntniß und Erforſchung altdeutſcher Dichtung ge- widmet, eben dieſelbe oder doch manche ihr auffallend ähnliche aufgeſtellt haben: ¹⁾ ſo würde dies theils eine ge- nauere mehr ins Einzelne gehende Erörterung nicht aus- ſchließen; theils ſcheint es auch, daß zu ihrer rechten Feſt- ſtellung und Begründung mehrere zwar verwandte und ſich überall berührende Fragen, deren jede aber dennoch in einen anderen Kreis eingeſchloſſen iſt, beſtimmter, als bisher geſchehen zu ſein ſcheint, von einander getrennt werden müſſen. Man hat ſich mit Recht beſtrebt, von der einen Seite her das Geſchichtliche, aus dem Sage und Lied allmählig gebildet worden, zu erforſchen; man hat in anderer Bezie- hung angefangen, dem Zuſammenhange und der Ausbil- dung der Sage, und der Dichtung mit ihr, nachzuſpüren. Durch die Verbindung beider Unterſuchungen iſt ſchon ein Bedeutendes für die Geſchichte der Sage und des ganzen Deutſchen Liederkreiſes gewonnen. Von dieſer möchte ich nun aber einmahl die Geſchichte dieſes einzelnen Gedichts von der Nibelungen Noth abſondern; und wenn die frü- heren Forſchungen meiſtens auf die Geſchichte des ganzen Sagenkreiſes gerichtet waren, oder, wo ſie auf dieſes Werk insbeſondere bezogen wurden, dennoch immer mehr die Bildungsgeſchichte aller in dieſe Reihe gehörigen Lieder

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Zitationshilfe: Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/12>, abgerufen am 29.03.2024.