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Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.

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Da läßt Volker, der des Gesindes pflag, (der übrigen, die
nicht gestritten hatten,) den Marschall auch fragen, wo sie
die Nacht ruhen sollen:
Do sprach der küne Dankwart: ine kans niht
gesagen;
Wir en mugen niht geruwen, e iz beginne tagen.
Swa wirz danne finden, da legen uns an ein gras.
Do si du moere horten, wie leit in sumelichen was!

Diese Strophe mag wohl echt und alt sein, wenn auch die
ersten Worte, Do sprach der küne Dankwart, viel-
leicht interpoliert sind; die vorhergehende (Z. 6501 -- 6504)
aber verräth sich in jeder Zeile als Einschaltung. Damit
Volker verherrlicht werde, muß das übrige Gesinde, das
vor und nach der Überfahrt über die Donau geruhet, auch
über Müdigkeit klagen, und Dankwart ihm wieder die
nämliche Antwort geben. Daß sie am Morgen ruhen sol-
len, sagt er, wenn jene Strophe stehen bleibt, nur den
Übrigen und nicht seinem Gesinde, dem diese Nachricht weit
tröstlicher und nöthiger war.

Von dem Theile der Erzählung an, wo die Burgun-
den nach Bechlaren zu Rüdiger kommen, werden sich
schwerlich mehr Stellen von Volker finden, in denen klei-
nere Interpolationen bestimmt könnten nachgewiesen wer-
den. Er tritt seitdem so förmlich mit den andern in die
Reihe, daß man selten ihn allein, sondern höchstens größere
Stücke, in denen er mithandelt, wird ausscheiden können.
Und so will ich es auch nur als eine nicht strenger-
weisliche Muthmaßung geben, daß ein ritterlicher Sän-
ger, einer der Diaskeuasten unserer Lieder, auch in den
folgenden Gesängen sein Augenmerk besonders auf ihn ge-
richtet und ihn in einigen gerade der schönsten Stellen

Da läßt Volker, der des Geſindes pflag, (der übrigen, die
nicht geſtritten hatten,) den Marſchall auch fragen, wo ſie
die Nacht ruhen ſollen:
Do ſprach der küne Dankwart: ine kans niht
geſagen;
Wir en mu̓gen niht gerůwen, e iz beginne tagen.
Swa wirz danne finden, da legen uns an ein gras.
Do ſi du̓ mœre horten, wie leit in ſumelichen was!

Dieſe Strophe mag wohl echt und alt ſein, wenn auch die
erſten Worte, Do ſprach der küne Dankwart, viel-
leicht interpoliert ſind; die vorhergehende (Z. 6501 — 6504)
aber verräth ſich in jeder Zeile als Einſchaltung. Damit
Volker verherrlicht werde, muß das übrige Geſinde, das
vor und nach der Überfahrt über die Donau geruhet, auch
über Müdigkeit klagen, und Dankwart ihm wieder die
nämliche Antwort geben. Daß ſie am Morgen ruhen ſol-
len, ſagt er, wenn jene Strophe ſtehen bleibt, nur den
Übrigen und nicht ſeinem Geſinde, dem dieſe Nachricht weit
tröſtlicher und nöthiger war.

Von dem Theile der Erzählung an, wo die Burgun-
den nach Bechlaren zu Rüdiger kommen, werden ſich
ſchwerlich mehr Stellen von Volker finden, in denen klei-
nere Interpolationen beſtimmt könnten nachgewieſen wer-
den. Er tritt ſeitdem ſo förmlich mit den andern in die
Reihe, daß man ſelten ihn allein, ſondern höchſtens größere
Stücke, in denen er mithandelt, wird ausſcheiden können.
Und ſo will ich es auch nur als eine nicht ſtrenger-
weisliche Muthmaßung geben, daß ein ritterlicher Sän-
ger, einer der Diaſkeuaſten unſerer Lieder, auch in den
folgenden Geſängen ſein Augenmerk beſonders auf ihn ge-
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[21/0029] Da läßt Volker, der des Geſindes pflag, (der übrigen, die nicht geſtritten hatten,) den Marſchall auch fragen, wo ſie die Nacht ruhen ſollen: Do ſprach der küne Dankwart: ine kans niht geſagen; Wir en mu̓gen niht gerůwen, e iz beginne tagen. Swa wirz danne finden, da legen uns an ein gras. Do ſi du̓ mœre horten, wie leit in ſumelichen was! Dieſe Strophe mag wohl echt und alt ſein, wenn auch die erſten Worte, Do ſprach der küne Dankwart, viel- leicht interpoliert ſind; die vorhergehende (Z. 6501 — 6504) aber verräth ſich in jeder Zeile als Einſchaltung. Damit Volker verherrlicht werde, muß das übrige Geſinde, das vor und nach der Überfahrt über die Donau geruhet, auch über Müdigkeit klagen, und Dankwart ihm wieder die nämliche Antwort geben. Daß ſie am Morgen ruhen ſol- len, ſagt er, wenn jene Strophe ſtehen bleibt, nur den Übrigen und nicht ſeinem Geſinde, dem dieſe Nachricht weit tröſtlicher und nöthiger war. Von dem Theile der Erzählung an, wo die Burgun- den nach Bechlaren zu Rüdiger kommen, werden ſich ſchwerlich mehr Stellen von Volker finden, in denen klei- nere Interpolationen beſtimmt könnten nachgewieſen wer- den. Er tritt ſeitdem ſo förmlich mit den andern in die Reihe, daß man ſelten ihn allein, ſondern höchſtens größere Stücke, in denen er mithandelt, wird ausſcheiden können. Und ſo will ich es auch nur als eine nicht ſtrenger- weisliche Muthmaßung geben, daß ein ritterlicher Sän- ger, einer der Diaſkeuaſten unſerer Lieder, auch in den folgenden Geſängen ſein Augenmerk beſonders auf ihn ge- richtet und ihn in einigen gerade der ſchönſten Stellen

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Zitationshilfe: Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/29>, abgerufen am 20.04.2024.