Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht weiter vorkommt, Unglück ahnte und sie warnen
wollte. Wenigstens scheint dies daraus zu erhellen, daß
unmittelbar da auf Ute ihren Kindern erzählt, wie ihr von
dem Tode aller Vögel in diesem Lande geträumet habe.
Es ist wohl erlaubt anzunehmen, daß wir hier nur ein
Bruchstück, einen halbverlorenen Nachklang des alten Lie-
des haben, zumahl wenn sich dies noch von anderen Stel-
len zeigen ließe.

Dergleichen finden wir aber, wie ich glaube, in der
Erzählung von Hagens Gespräch mit den Meerweibern
und der darauf folgenden Ermordung des Schiffers. Die
Meerweiber versprachen ihm, wenn er ihre Kleider heraus-
geben wollte, sein Schicksal in Hünenland zu sagen (Z. 6160).
Des er do hin z' in gerte, vil wol bescheideten si im
daz.

Nach der Erzählung aber begehrte und fragte er nichts.
Ferner, der Schiffer drohet Hagen, wenn er nicht wieder
aus dem Schiffe trete (Z. 6248):
So liebe dir si ze lebene, so trit vil balde uz an den
sant.

Es ist auch nachher deutlich, daß Hagen bei ihm im Schiffe
stand: wie er aber hineinsprang, wurde nicht erzählt; und
diese Auslassung ziemt der epischen Breite unseres Liedes nicht.
Weiter wird zwar erzählt, daß Hagen dem Schiffer das
Haupt abgeschlagen und es auf den Grund, nämlich des
Flusses, geworfen (Z. 6262): aber aus dem Folgenden (Z.
6278), wo Günther und die Übrigen nur das Blut im
Schiffe fließen sehen, ist klar, daß er den ganzen Leib des
Schiffers hinausgeschafft habe.

Hierbei ist nun merkwürdig, daß die drei Dänischen

nicht weiter vorkommt, Unglück ahnte und ſie warnen
wollte. Wenigſtens ſcheint dies daraus zu erhellen, daß
unmittelbar da auf Ute ihren Kindern erzählt, wie ihr von
dem Tode aller Vögel in dieſem Lande geträumet habe.
Es iſt wohl erlaubt anzunehmen, daß wir hier nur ein
Bruchſtück, einen halbverlorenen Nachklang des alten Lie-
des haben, zumahl wenn ſich dies noch von anderen Stel-
len zeigen ließe.

Dergleichen finden wir aber, wie ich glaube, in der
Erzählung von Hagens Geſpräch mit den Meerweibern
und der darauf folgenden Ermordung des Schiffers. Die
Meerweiber verſprachen ihm, wenn er ihre Kleider heraus-
geben wollte, ſein Schickſal in Hünenland zu ſagen (Z. 6160).
Des er do hin z’ in gerte, vil wol beſcheideten ſi im
daz.

Nach der Erzählung aber begehrte und fragte er nichts.
Ferner, der Schiffer drohet Hagen, wenn er nicht wieder
aus dem Schiffe trete (Z. 6248):
So liebe dir ſi ze lebene, ſo trit vil balde uz an den
ſant.

Es iſt auch nachher deutlich, daß Hagen bei ihm im Schiffe
ſtand: wie er aber hineinſprang, wurde nicht erzählt; und
dieſe Auslaſſung ziemt der epiſchen Breite unſeres Liedes nicht.
Weiter wird zwar erzählt, daß Hagen dem Schiffer das
Haupt abgeſchlagen und es auf den Grund, nämlich des
Fluſſes, geworfen (Z. 6262): aber aus dem Folgenden (Z.
6278), wo Günther und die Übrigen nur das Blut im
Schiffe fließen ſehen, iſt klar, daß er den ganzen Leib des
Schiffers hinausgeſchafft habe.

Hierbei iſt nun merkwürdig, daß die drei Däniſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0039" n="31"/>
nicht weiter vorkommt, Unglück ahnte und &#x017F;ie warnen<lb/>
wollte. Wenig&#x017F;tens &#x017F;cheint dies daraus zu erhellen, daß<lb/>
unmittelbar da auf Ute ihren Kindern erzählt, wie ihr von<lb/>
dem Tode aller Vögel in die&#x017F;em Lande geträumet habe.<lb/>
Es i&#x017F;t wohl erlaubt anzunehmen, daß wir hier nur ein<lb/>
Bruch&#x017F;tück, einen halbverlorenen Nachklang des alten Lie-<lb/>
des haben, zumahl wenn &#x017F;ich dies noch von anderen Stel-<lb/>
len zeigen ließe.</p><lb/>
        <p>Dergleichen finden wir aber, wie ich glaube, in der<lb/>
Erzählung von Hagens Ge&#x017F;präch mit den Meerweibern<lb/>
und der darauf folgenden Ermordung des Schiffers. Die<lb/>
Meerweiber ver&#x017F;prachen ihm, wenn er ihre Kleider heraus-<lb/>
geben wollte, &#x017F;ein Schick&#x017F;al in Hünenland zu &#x017F;agen (Z. 6160).<lb/><quote xml:lang="gmh"><hi rendition="#et">Des er do hin z&#x2019; in gerte, vil wol be&#x017F;cheideten &#x017F;i im</hi><lb/><hi rendition="#et2">daz.</hi></quote><lb/>
Nach der Erzählung aber begehrte und fragte er nichts.<lb/>
Ferner, der Schiffer drohet Hagen, wenn er nicht wieder<lb/>
aus dem Schiffe trete (Z. 6248):<lb/><quote xml:lang="gmh"><hi rendition="#et">So liebe dir &#x017F;i ze lebene, &#x017F;o trit vil balde uz an den</hi><lb/><hi rendition="#et2">&#x017F;ant.</hi></quote><lb/>
Es i&#x017F;t auch nachher deutlich, daß Hagen bei ihm im Schiffe<lb/>
&#x017F;tand: wie er aber hinein&#x017F;prang, wurde nicht erzählt; und<lb/>
die&#x017F;e Ausla&#x017F;&#x017F;ung ziemt der epi&#x017F;chen Breite un&#x017F;eres Liedes nicht.<lb/>
Weiter wird zwar erzählt, daß Hagen dem Schiffer das<lb/>
Haupt abge&#x017F;chlagen und es auf den Grund, nämlich des<lb/>
Flu&#x017F;&#x017F;es, geworfen (Z. 6262): aber aus dem Folgenden (Z.<lb/>
6278), wo Günther und die Übrigen nur das Blut im<lb/>
Schiffe fließen &#x017F;ehen, i&#x017F;t klar, daß er den ganzen Leib des<lb/>
Schiffers hinausge&#x017F;chafft habe.</p><lb/>
        <p>Hierbei i&#x017F;t nun merkwürdig, daß die drei Däni&#x017F;chen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0039] nicht weiter vorkommt, Unglück ahnte und ſie warnen wollte. Wenigſtens ſcheint dies daraus zu erhellen, daß unmittelbar da auf Ute ihren Kindern erzählt, wie ihr von dem Tode aller Vögel in dieſem Lande geträumet habe. Es iſt wohl erlaubt anzunehmen, daß wir hier nur ein Bruchſtück, einen halbverlorenen Nachklang des alten Lie- des haben, zumahl wenn ſich dies noch von anderen Stel- len zeigen ließe. Dergleichen finden wir aber, wie ich glaube, in der Erzählung von Hagens Geſpräch mit den Meerweibern und der darauf folgenden Ermordung des Schiffers. Die Meerweiber verſprachen ihm, wenn er ihre Kleider heraus- geben wollte, ſein Schickſal in Hünenland zu ſagen (Z. 6160). Des er do hin z’ in gerte, vil wol beſcheideten ſi im daz. Nach der Erzählung aber begehrte und fragte er nichts. Ferner, der Schiffer drohet Hagen, wenn er nicht wieder aus dem Schiffe trete (Z. 6248): So liebe dir ſi ze lebene, ſo trit vil balde uz an den ſant. Es iſt auch nachher deutlich, daß Hagen bei ihm im Schiffe ſtand: wie er aber hineinſprang, wurde nicht erzählt; und dieſe Auslaſſung ziemt der epiſchen Breite unſeres Liedes nicht. Weiter wird zwar erzählt, daß Hagen dem Schiffer das Haupt abgeſchlagen und es auf den Grund, nämlich des Fluſſes, geworfen (Z. 6262): aber aus dem Folgenden (Z. 6278), wo Günther und die Übrigen nur das Blut im Schiffe fließen ſehen, iſt klar, daß er den ganzen Leib des Schiffers hinausgeſchafft habe. Hierbei iſt nun merkwürdig, daß die drei Däniſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/39
Zitationshilfe: Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/39>, abgerufen am 19.04.2024.