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Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.

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zwölf gekrönte Könige in ihrem Dienste sah. Es ist be-
kannt, daß Etzel viel Fürsten zu einer Hochzeit in sein
Land geladen, auf Kriemhildens Bitte.
Do was du frouwe also wis,
Daz siz mit listen so anvie,
Daz si der niht beliben lie,
Die si z' ir hochzit gerne sach,
Den da vil leide sit geschach.

Es fällt in die Augen, daß diese Erzählung bis auf einige
Auslassungen, deren Grund theils in dem Dichter der
Klage selbst, theils aber auch in seiner Quelle liegen mochte
43), genau und fast wörtlich mit der in den Nibelungen
übereinstimmt.

Um so gewisser scheint es mir denn, daß er höchstens
eine kurze Nachricht von Swemmels und Wärbels Rück-
kehr und dem Folgenden, ausgeführte Lieder aber von der
Reise der Boten nach Worms, und was während ihres
Aufenthaltes daselbst vorging, wie von der Reise der Bur-
gunden selbst, nicht gelesen habe. Zwar erwähnt er Gisel-
hers Verlobung mit Rüdigers Tochter, die er Dietlinde
nennt, und sogar den mit den Nibelungen doch nicht ganz
genau stimmenden Umstand, daß Volker dazu gerathen
(Z. 1996 ff.), ja selbst des Küchenmeisters Rumold Rath,
daß die Könige zu Worms bleiben möchten (Z. 4253);
endlich kennt auch nach ihm Brünhildens Gesinde den
Swemmel, der am Ende der Klage wiederum nach Worms
gesandt wird (Z. 3755. 3808). Aber dafür weiß er auch
gar nichts von den übrigen Begebenheiten aus dieser Zeit
zu sagen; Swemmel findet Rumold nicht einmahl als Reichs-
verweser 44); so daß man also wohl annehmen muß, er habe
jene Nachrichten, die auch zum Theil in den letzten Liedern

zwölf gekrönte Könige in ihrem Dienſte ſah. Es iſt be-
kannt, daß Etzel viel Fürſten zu einer Hochzeit in ſein
Land geladen, auf Kriemhildens Bitte.
Do was du̓ froͧwe alſo wis,
Daz ſiz mit liſten ſo anvie,
Daz ſi der niht beliben lie,
Die ſi z’ ir hochzit gerne ſach,
Den da vil leide ſit geſchach.

Es fällt in die Augen, daß dieſe Erzählung bis auf einige
Auslaſſungen, deren Grund theils in dem Dichter der
Klage ſelbſt, theils aber auch in ſeiner Quelle liegen mochte
43), genau und faſt wörtlich mit der in den Nibelungen
übereinſtimmt.

Um ſo gewiſſer ſcheint es mir denn, daß er höchſtens
eine kurze Nachricht von Swemmels und Wärbels Rück-
kehr und dem Folgenden, ausgeführte Lieder aber von der
Reiſe der Boten nach Worms, und was während ihres
Aufenthaltes daſelbſt vorging, wie von der Reiſe der Bur-
gunden ſelbſt, nicht geleſen habe. Zwar erwähnt er Giſel-
hers Verlobung mit Rüdigers Tochter, die er Dietlinde
nennt, und ſogar den mit den Nibelungen doch nicht ganz
genau ſtimmenden Umſtand, daß Volker dazu gerathen
(Z. 1996 ff.), ja ſelbſt des Küchenmeiſters Rumold Rath,
daß die Könige zu Worms bleiben möchten (Z. 4253);
endlich kennt auch nach ihm Brünhildens Geſinde den
Swemmel, der am Ende der Klage wiederum nach Worms
geſandt wird (Z. 3755. 3808). Aber dafür weiß er auch
gar nichts von den übrigen Begebenheiten aus dieſer Zeit
zu ſagen; Swemmel findet Rumold nicht einmahl als Reichs-
verweſer 44); ſo daß man alſo wohl annehmen muß, er habe
jene Nachrichten, die auch zum Theil in den letzten Liedern

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[62/0070] zwölf gekrönte Könige in ihrem Dienſte ſah. Es iſt be- kannt, daß Etzel viel Fürſten zu einer Hochzeit in ſein Land geladen, auf Kriemhildens Bitte. Do was du̓ froͧwe alſo wis, Daz ſiz mit liſten ſo anvie, Daz ſi der niht beliben lie, Die ſi z’ ir hochzit gerne ſach, Den da vil leide ſit geſchach. Es fällt in die Augen, daß dieſe Erzählung bis auf einige Auslaſſungen, deren Grund theils in dem Dichter der Klage ſelbſt, theils aber auch in ſeiner Quelle liegen mochte ⁴³⁾ , genau und faſt wörtlich mit der in den Nibelungen übereinſtimmt. Um ſo gewiſſer ſcheint es mir denn, daß er höchſtens eine kurze Nachricht von Swemmels und Wärbels Rück- kehr und dem Folgenden, ausgeführte Lieder aber von der Reiſe der Boten nach Worms, und was während ihres Aufenthaltes daſelbſt vorging, wie von der Reiſe der Bur- gunden ſelbſt, nicht geleſen habe. Zwar erwähnt er Giſel- hers Verlobung mit Rüdigers Tochter, die er Dietlinde nennt, und ſogar den mit den Nibelungen doch nicht ganz genau ſtimmenden Umſtand, daß Volker dazu gerathen (Z. 1996 ff.), ja ſelbſt des Küchenmeiſters Rumold Rath, daß die Könige zu Worms bleiben möchten (Z. 4253); endlich kennt auch nach ihm Brünhildens Geſinde den Swemmel, der am Ende der Klage wiederum nach Worms geſandt wird (Z. 3755. 3808). Aber dafür weiß er auch gar nichts von den übrigen Begebenheiten aus dieſer Zeit zu ſagen; Swemmel findet Rumold nicht einmahl als Reichs- verweſer ⁴⁴⁾ ; ſo daß man alſo wohl annehmen muß, er habe jene Nachrichten, die auch zum Theil in den letzten Liedern

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Zitationshilfe: Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/70>, abgerufen am 28.03.2024.