Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

unseres Werkes vorkommen, beiläufig aus anderen Stellen
erfahren, zumahl er an einem Orte ganz bestimmt eine
Beziehung auf die Reise der Burgunden selber nicht ver-
stand. Bei Swemmels und seiner Gefährten Reise nach
Worms heißt es nämlich (Z. 3727):
Do si uf in Beiern quamen,
Und si daz wunder da vernamen,
Daz zen Hunen was geschehen,
Genuge under in begunden jehen:
Got von himele sis gelobt,
Daz her Hagene hat vertobt!

Sie verbreiten sich noch lange in allgemeinen Ausdrücken
über Hagens Übermuth, ohne bestimmt auf den Punkt zu
kommen, der eigentlich ihre Freude erregte, daß nämlich
Hagen für den Schaden gestraft sei, den er ihnen auf der
Hinreise gethan.

25.

Wenn wir nun auch das durchgehen, was in der Klage
von den früheren Schicksalen Kriemhildens und ihrer Ver-
wandten vorkommt, so wird daraus klar werden, daß der
Dichter nicht den ersten Theil unseres Liedes, sondern nur
einen kurzen hin und wieder auch abweichenden Auszug
der Geschichte desselben vor sich hatte.

Zuerst fand er ohne Zweifel eine der unserigen ziem-
lich gleichlautende Nachricht von den Königen zu Worms
und ihren Mannen. Aus dem Buche nennt er Dankrat
und Ute als Kriemhildens Ältern; die Namen ihrer Brü-
der seien bekannt. Außer den Mannen Günthers, die mit
nach Ungarn reisten, kennt er Rumold und den Schen-

unſeres Werkes vorkommen, beiläufig aus anderen Stellen
erfahren, zumahl er an einem Orte ganz beſtimmt eine
Beziehung auf die Reiſe der Burgunden ſelber nicht ver-
ſtand. Bei Swemmels und ſeiner Gefährten Reiſe nach
Worms heißt es nämlich (Z. 3727):
Do ſi uf in Beiern quamen,
Und ſi daz wunder da vernamen,
Daz zen Hu̓nen was geſchehen,
Genůge under in begunden jehen:
Got von himele ſis gelobt,
Daz her Hagene hat vertobt!

Sie verbreiten ſich noch lange in allgemeinen Ausdrücken
über Hagens Übermuth, ohne beſtimmt auf den Punkt zu
kommen, der eigentlich ihre Freude erregte, daß nämlich
Hagen für den Schaden geſtraft ſei, den er ihnen auf der
Hinreiſe gethan.

25.

Wenn wir nun auch das durchgehen, was in der Klage
von den früheren Schickſalen Kriemhildens und ihrer Ver-
wandten vorkommt, ſo wird daraus klar werden, daß der
Dichter nicht den erſten Theil unſeres Liedes, ſondern nur
einen kurzen hin und wieder auch abweichenden Auszug
der Geſchichte deſſelben vor ſich hatte.

Zuerſt fand er ohne Zweifel eine der unſerigen ziem-
lich gleichlautende Nachricht von den Königen zu Worms
und ihren Mannen. Aus dem Buche nennt er Dankrat
und Ute als Kriemhildens Ältern; die Namen ihrer Brü-
der ſeien bekannt. Außer den Mannen Günthers, die mit
nach Ungarn reiſten, kennt er Rumold und den Schen-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0071" n="63"/>
un&#x017F;eres Werkes vorkommen, beiläufig aus anderen Stellen<lb/>
erfahren, zumahl er an einem Orte ganz be&#x017F;timmt eine<lb/>
Beziehung auf die Rei&#x017F;e der Burgunden &#x017F;elber nicht ver-<lb/>
&#x017F;tand. Bei Swemmels und &#x017F;einer Gefährten Rei&#x017F;e nach<lb/>
Worms heißt es nämlich (Z. 3727):<lb/><quote rendition="#et" xml:lang="gmh">Do &#x017F;i uf in Beiern quamen,<lb/>
Und &#x017F;i daz wunder da vernamen,<lb/>
Daz zen Hu&#x0313;nen was ge&#x017F;chehen,<lb/>
Gen&#x016F;ge under in begunden jehen:<lb/>
Got von himele &#x017F;is gelobt,<lb/>
Daz her Hagene hat vertobt!</quote><lb/>
Sie verbreiten &#x017F;ich noch lange in allgemeinen Ausdrücken<lb/>
über Hagens Übermuth, ohne be&#x017F;timmt auf den Punkt zu<lb/>
kommen, der eigentlich ihre Freude erregte, daß nämlich<lb/>
Hagen für den Schaden ge&#x017F;traft &#x017F;ei, den er ihnen auf der<lb/>
Hinrei&#x017F;e gethan.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head>25.</head><lb/>
        <p>Wenn wir nun auch das durchgehen, was in der Klage<lb/>
von den früheren Schick&#x017F;alen Kriemhildens und ihrer Ver-<lb/>
wandten vorkommt, &#x017F;o wird daraus klar werden, daß der<lb/>
Dichter nicht den er&#x017F;ten Theil un&#x017F;eres Liedes, &#x017F;ondern nur<lb/>
einen kurzen hin und wieder auch abweichenden Auszug<lb/>
der Ge&#x017F;chichte de&#x017F;&#x017F;elben vor &#x017F;ich hatte.</p><lb/>
        <p>Zuer&#x017F;t fand er ohne Zweifel eine der un&#x017F;erigen ziem-<lb/>
lich gleichlautende Nachricht von den Königen zu Worms<lb/>
und ihren Mannen. Aus dem Buche nennt er Dankrat<lb/>
und Ute als Kriemhildens Ältern; die Namen ihrer Brü-<lb/>
der &#x017F;eien bekannt. Außer den Mannen Günthers, die mit<lb/>
nach Ungarn rei&#x017F;ten, kennt er Rumold und den Schen-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0071] unſeres Werkes vorkommen, beiläufig aus anderen Stellen erfahren, zumahl er an einem Orte ganz beſtimmt eine Beziehung auf die Reiſe der Burgunden ſelber nicht ver- ſtand. Bei Swemmels und ſeiner Gefährten Reiſe nach Worms heißt es nämlich (Z. 3727): Do ſi uf in Beiern quamen, Und ſi daz wunder da vernamen, Daz zen Hu̓nen was geſchehen, Genůge under in begunden jehen: Got von himele ſis gelobt, Daz her Hagene hat vertobt! Sie verbreiten ſich noch lange in allgemeinen Ausdrücken über Hagens Übermuth, ohne beſtimmt auf den Punkt zu kommen, der eigentlich ihre Freude erregte, daß nämlich Hagen für den Schaden geſtraft ſei, den er ihnen auf der Hinreiſe gethan. 25. Wenn wir nun auch das durchgehen, was in der Klage von den früheren Schickſalen Kriemhildens und ihrer Ver- wandten vorkommt, ſo wird daraus klar werden, daß der Dichter nicht den erſten Theil unſeres Liedes, ſondern nur einen kurzen hin und wieder auch abweichenden Auszug der Geſchichte deſſelben vor ſich hatte. Zuerſt fand er ohne Zweifel eine der unſerigen ziem- lich gleichlautende Nachricht von den Königen zu Worms und ihren Mannen. Aus dem Buche nennt er Dankrat und Ute als Kriemhildens Ältern; die Namen ihrer Brü- der ſeien bekannt. Außer den Mannen Günthers, die mit nach Ungarn reiſten, kennt er Rumold und den Schen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/71
Zitationshilfe: Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/71>, abgerufen am 28.03.2024.