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Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.

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fasser diese tausend Mann bei der Abreise von Worms
nicht erwähnt, erklärt er, daß er sie sich in dieser Ver-
bindung nicht dachte.

32.

Ganz unvereinbar mit diesem Liede ist nun aber das
folgende (von Z. 2909 an), worin die vom Rhein gesand-
ten Boten Siegfried mit Kriemhilden und selbst Sieg-
mund, der doch noch einmahl (Z. 3057) König von Nie-
derland heißt, in Nibelungenland antreffen, oder noch be-
stimmter (Z. 2970):
Ze Nibelunges burge, dar waren si gesant,
Ze Norwoege in der marke, da funden si den degen.

Dahin kommen die Boten (Z. 2969) in drei Wochen 65) geritten, also vermuthlich zu Lande; Siegfried, Kriemhild
und Siegmund reiten mit ihrem Gefolge gegen den Rhein
von Nibelungenland. Nach Siegfrieds Tode reitet Sieg-
mund mit den Nibelungen von Worms an den Rhein 66) und setzt nicht über, sondern scheint den Strom entlang
reisen zu wollen, obgleich der Dichter (Z. 4409) sagt:
Wie si nu gefüren, des kan ich niht gesagen.
Endlich aber hohlen nur siebzig Verse nachher Giselher
und Gernot den Schatz aus Nibelungenland. Er wird
von dem Berge, worin er verborgen lag, "zu dem sewe"
das ist, aufs Meer, in die Schiffe gebracht;
Den furt man uf den unden unz ze berge an den
Rin 67).

(Z. 4500). Danach fährt man also von Worms den Rhein
hinunter ins Meer und von da nach Nibelungenland.
Nun zeigt sich aber außer diesem Widerspruche eine neue
Schwierigkeit; denn es möchte nicht leicht sein, den Berg

faſſer dieſe tauſend Mann bei der Abreiſe von Worms
nicht erwähnt, erklärt er, daß er ſie ſich in dieſer Ver-
bindung nicht dachte.

32.

Ganz unvereinbar mit dieſem Liede iſt nun aber das
folgende (von Z. 2909 an), worin die vom Rhein geſand-
ten Boten Siegfried mit Kriemhilden und ſelbſt Sieg-
mund, der doch noch einmahl (Z. 3057) König von Nie-
derland heißt, in Nibelungenland antreffen, oder noch be-
ſtimmter (Z. 2970):
Ze Nibelunges bu̓rge, dar waren ſi geſant,
Ze Norwœge in der marke, da funden ſi den degen.

Dahin kommen die Boten (Z. 2969) in drei Wochen 65) geritten, alſo vermuthlich zu Lande; Siegfried, Kriemhild
und Siegmund reiten mit ihrem Gefolge gegen den Rhein
von Nibelungenland. Nach Siegfrieds Tode reitet Sieg-
mund mit den Nibelungen von Worms an den Rhein 66) und ſetzt nicht über, ſondern ſcheint den Strom entlang
reiſen zu wollen, obgleich der Dichter (Z. 4409) ſagt:
Wie ſi nu gefüren, des kan ich niht geſagen.
Endlich aber hohlen nur ſiebzig Verſe nachher Giſelher
und Gernot den Schatz aus Nibelungenland. Er wird
von dem Berge, worin er verborgen lag, »zů dem ſewe«
das iſt, aufs Meer, in die Schiffe gebracht;
Den fůrt man uf den unden unz ze berge an den
Rin 67).

(Z. 4500). Danach fährt man alſo von Worms den Rhein
hinunter ins Meer und von da nach Nibelungenland.
Nun zeigt ſich aber außer dieſem Widerſpruche eine neue
Schwierigkeit; denn es möchte nicht leicht ſein, den Berg

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[78/0086] faſſer dieſe tauſend Mann bei der Abreiſe von Worms nicht erwähnt, erklärt er, daß er ſie ſich in dieſer Ver- bindung nicht dachte. 32. Ganz unvereinbar mit dieſem Liede iſt nun aber das folgende (von Z. 2909 an), worin die vom Rhein geſand- ten Boten Siegfried mit Kriemhilden und ſelbſt Sieg- mund, der doch noch einmahl (Z. 3057) König von Nie- derland heißt, in Nibelungenland antreffen, oder noch be- ſtimmter (Z. 2970): Ze Nibelunges bu̓rge, dar waren ſi geſant, Ze Norwœge in der marke, da funden ſi den degen. Dahin kommen die Boten (Z. 2969) in drei Wochen ⁶⁵⁾ geritten, alſo vermuthlich zu Lande; Siegfried, Kriemhild und Siegmund reiten mit ihrem Gefolge gegen den Rhein von Nibelungenland. Nach Siegfrieds Tode reitet Sieg- mund mit den Nibelungen von Worms an den Rhein ⁶⁶⁾ und ſetzt nicht über, ſondern ſcheint den Strom entlang reiſen zu wollen, obgleich der Dichter (Z. 4409) ſagt: Wie ſi nu gefüren, des kan ich niht geſagen. Endlich aber hohlen nur ſiebzig Verſe nachher Giſelher und Gernot den Schatz aus Nibelungenland. Er wird von dem Berge, worin er verborgen lag, »zů dem ſewe« das iſt, aufs Meer, in die Schiffe gebracht; Den fůrt man uf den unden unz ze berge an den Rin ⁶⁷⁾ . (Z. 4500). Danach fährt man alſo von Worms den Rhein hinunter ins Meer und von da nach Nibelungenland. Nun zeigt ſich aber außer dieſem Widerſpruche eine neue Schwierigkeit; denn es möchte nicht leicht ſein, den Berg

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Zitationshilfe: Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/86>, abgerufen am 29.03.2024.