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Lange, Helene: Frauenwahlrecht. In: Cosmopolis – an international monthly review, hrsg. v. F. Ortmans, Heft III. London u. a., 1896, S. 539–554.

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Wyoming hervorgeht, dessen 3. Absatz lautet: "Da Gleichheit
im Genusse natürlicher und sozialer Rechte durch politische
Gleichheit bedingt wird, so gewähren die Gesetze dieses Staates
allen Bürgern, ohne Unterschied der Rasse und Farbe und des
Geschlechtes gleiche politische Rechte."


Welche Chancen sind nun für die Durchführung des
Frauenstimmrechtes gegeben? Es wäre nach den vorangegangenen
Ausführungen offenbar abgeschmackt, auf einen
plötzlichen Gerechtigkeitstaumel unserer Parlamente rechnen
zu wollen, in denen man nach einem geflügelten Wort der
Neuzeit nur abstimmt, nicht überzeugt wird. Wenn wir aus
unsern Vordersätzen die richtige conclusio zu ziehen verstehen,
so werden wir einzig und allein mit der Interessenpolitik
rechnen dürfen. Die Männer werden den Frauen nicht eher
das Stimmrecht gewähren, als bis ihr eigenes Interesse es
gebietet.

Das eigene Interesse der Parlamente und Regirungen gebietet
es aber dann, wenn der Hochdruck der öffentlichen Meinung
darauf wirkt. Diese wieder wird durch die Macht "zeitgemässer"
Ideen bestimmt; zeitgemäss ist aber wiederum nur,
was die Interessensphäre der entscheidenden Kreise berührt.
Wenn daher die Erkenntnis -- nicht von der abstrakten
Gerechtigkeit ihrer Sache, sondern von der Bedeutung der
Frau für das Gemeinwol in den Kreisen der Männer genügend
Wurzel gefasst hat, dann, aber auch erst dann, wird der Augenblick
gekommen sein, in dem die gesetzgebenden Faktoren, von
der öffentlichen Meinung gedrängt, für das Frauenstimmrecht
eintreten werden. Damit ist zugleich gesagt, dass dieser Zeitpunkt
in den verschiedenen Ländern ein sehr verschiedener
sein wird.

Daraus erklärt sich auch, dass die Länder mit junger Kultur,
in denen der civilisatorische Wert der Frauen den vielen
Auswüchsen spezifisch männlicher Roheit gegenüber doppelt
hervortrat, in dieser Sache vorangegangen sind; dass unter den
europäischen Ländern England, wo die Frauen im Gemeinde-
dienst längst ihre kulturelle Bedeutung erwiesen haben, der
Verwirklichung dieser grossen Idee am nächsten steht -- man

Wyoming hervorgeht, dessen 3. Absatz lautet: „Da Gleichheit
im Genusse natürlicher und sozialer Rechte durch politische
Gleichheit bedingt wird, so gewähren die Gesetze dieses Staates
allen Bürgern, ohne Unterschied der Rasse und Farbe und des
Geschlechtes gleiche politische Rechte.“


Welche Chancen sind nun für die Durchführung des
Frauenstimmrechtes gegeben? Es wäre nach den vorangegangenen
Ausführungen offenbar abgeschmackt, auf einen
plötzlichen Gerechtigkeitstaumel unserer Parlamente rechnen
zu wollen, in denen man nach einem geflügelten Wort der
Neuzeit nur abstimmt, nicht überzeugt wird. Wenn wir aus
unsern Vordersätzen die richtige conclusio zu ziehen verstehen,
so werden wir einzig und allein mit der Interessenpolitik
rechnen dürfen. Die Männer werden den Frauen nicht eher
das Stimmrecht gewähren, als bis ihr eigenes Interesse es
gebietet.

Das eigene Interesse der Parlamente und Regirungen gebietet
es aber dann, wenn der Hochdruck der öffentlichen Meinung
darauf wirkt. Diese wieder wird durch die Macht „zeitgemässer“
Ideen bestimmt; zeitgemäss ist aber wiederum nur,
was die Interessensphäre der entscheidenden Kreise berührt.
Wenn daher die Erkenntnis — nicht von der abstrakten
Gerechtigkeit ihrer Sache, sondern von der Bedeutung der
Frau für das Gemeinwol in den Kreisen der Männer genügend
Wurzel gefasst hat, dann, aber auch erst dann, wird der Augenblick
gekommen sein, in dem die gesetzgebenden Faktoren, von
der öffentlichen Meinung gedrängt, für das Frauenstimmrecht
eintreten werden. Damit ist zugleich gesagt, dass dieser Zeitpunkt
in den verschiedenen Ländern ein sehr verschiedener
sein wird.

Daraus erklärt sich auch, dass die Länder mit junger Kultur,
in denen der civilisatorische Wert der Frauen den vielen
Auswüchsen spezifisch männlicher Roheit gegenüber doppelt
hervortrat, in dieser Sache vorangegangen sind; dass unter den
europäischen Ländern England, wo die Frauen im Gemeinde-
dienst längst ihre kulturelle Bedeutung erwiesen haben, der
Verwirklichung dieser grossen Idee am nächsten steht — man

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[549/0012] Wyoming hervorgeht, dessen 3. Absatz lautet: „Da Gleichheit im Genusse natürlicher und sozialer Rechte durch politische Gleichheit bedingt wird, so gewähren die Gesetze dieses Staates allen Bürgern, ohne Unterschied der Rasse und Farbe und des Geschlechtes gleiche politische Rechte.“ Welche Chancen sind nun für die Durchführung des Frauenstimmrechtes gegeben? Es wäre nach den vorangegangenen Ausführungen offenbar abgeschmackt, auf einen plötzlichen Gerechtigkeitstaumel unserer Parlamente rechnen zu wollen, in denen man nach einem geflügelten Wort der Neuzeit nur abstimmt, nicht überzeugt wird. Wenn wir aus unsern Vordersätzen die richtige conclusio zu ziehen verstehen, so werden wir einzig und allein mit der Interessenpolitik rechnen dürfen. Die Männer werden den Frauen nicht eher das Stimmrecht gewähren, als bis ihr eigenes Interesse es gebietet. Das eigene Interesse der Parlamente und Regirungen gebietet es aber dann, wenn der Hochdruck der öffentlichen Meinung darauf wirkt. Diese wieder wird durch die Macht „zeitgemässer“ Ideen bestimmt; zeitgemäss ist aber wiederum nur, was die Interessensphäre der entscheidenden Kreise berührt. Wenn daher die Erkenntnis — nicht von der abstrakten Gerechtigkeit ihrer Sache, sondern von der Bedeutung der Frau für das Gemeinwol in den Kreisen der Männer genügend Wurzel gefasst hat, dann, aber auch erst dann, wird der Augenblick gekommen sein, in dem die gesetzgebenden Faktoren, von der öffentlichen Meinung gedrängt, für das Frauenstimmrecht eintreten werden. Damit ist zugleich gesagt, dass dieser Zeitpunkt in den verschiedenen Ländern ein sehr verschiedener sein wird. Daraus erklärt sich auch, dass die Länder mit junger Kultur, in denen der civilisatorische Wert der Frauen den vielen Auswüchsen spezifisch männlicher Roheit gegenüber doppelt hervortrat, in dieser Sache vorangegangen sind; dass unter den europäischen Ländern England, wo die Frauen im Gemeinde- dienst längst ihre kulturelle Bedeutung erwiesen haben, der Verwirklichung dieser grossen Idee am nächsten steht — man

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Frauenwahlrecht. In: Cosmopolis – an international monthly review, hrsg. v. F. Ortmans, Heft III. London u. a., 1896, S. 539–554, hier S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_frauenwahlrecht_1896/12>, abgerufen am 28.03.2024.