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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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Wir kamen Nachmittags zusammen,
und unsre Bauerkleider machten eine schö-
ne Probe, was natürlich edle, oder was
nur erzwungene Anstalten waren. Wie
manchem unter uns fehlte nur die Grab-
schaufel oder die Pflugschare, um der
Bauerknecht zu seyn, den er vorstellte;
und gewiß unter den Damen war auch
mehr als eine, die mit einem Hühnerkorbe
auf dem Kopfe, oder bey der Melkerey
nicht das geringste Merkmal einer beson-
dern Herkunft oder Erziehung behalten
hätte. Jch war ein schottischer Bauer,
und stellte den kühnen entschloßnen Cha-
rakter, der den Hochländern eigen ist,
ganz natürlich vor; und hatte das Ge-
heimniß gefunden, ihn mit aller der Ele-
ganz, die, wie du weist, mir eigen ist,
ohne Nachtheil meines angenommenen
Charakters, zu verschönern. Aber diese
Zauberin von Sternheim war in ihrer
Verkleidung lauter Reiz und schöne Na-
tur; alle ihre Züge waren unschuldige
ländliche Freude; ihr Kleid von hell-
blauem Tafft, mit schwarzen Streifen ein-

gefaßt,

Wir kamen Nachmittags zuſammen,
und unſre Bauerkleider machten eine ſchoͤ-
ne Probe, was natuͤrlich edle, oder was
nur erzwungene Anſtalten waren. Wie
manchem unter uns fehlte nur die Grab-
ſchaufel oder die Pflugſchare, um der
Bauerknecht zu ſeyn, den er vorſtellte;
und gewiß unter den Damen war auch
mehr als eine, die mit einem Huͤhnerkorbe
auf dem Kopfe, oder bey der Melkerey
nicht das geringſte Merkmal einer beſon-
dern Herkunft oder Erziehung behalten
haͤtte. Jch war ein ſchottiſcher Bauer,
und ſtellte den kuͤhnen entſchloßnen Cha-
rakter, der den Hochlaͤndern eigen iſt,
ganz natuͤrlich vor; und hatte das Ge-
heimniß gefunden, ihn mit aller der Ele-
ganz, die, wie du weiſt, mir eigen iſt,
ohne Nachtheil meines angenommenen
Charakters, zu verſchoͤnern. Aber dieſe
Zauberin von Sternheim war in ihrer
Verkleidung lauter Reiz und ſchoͤne Na-
tur; alle ihre Zuͤge waren unſchuldige
laͤndliche Freude; ihr Kleid von hell-
blauem Tafft, mit ſchwarzen Streifen ein-

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[235/0261] Wir kamen Nachmittags zuſammen, und unſre Bauerkleider machten eine ſchoͤ- ne Probe, was natuͤrlich edle, oder was nur erzwungene Anſtalten waren. Wie manchem unter uns fehlte nur die Grab- ſchaufel oder die Pflugſchare, um der Bauerknecht zu ſeyn, den er vorſtellte; und gewiß unter den Damen war auch mehr als eine, die mit einem Huͤhnerkorbe auf dem Kopfe, oder bey der Melkerey nicht das geringſte Merkmal einer beſon- dern Herkunft oder Erziehung behalten haͤtte. Jch war ein ſchottiſcher Bauer, und ſtellte den kuͤhnen entſchloßnen Cha- rakter, der den Hochlaͤndern eigen iſt, ganz natuͤrlich vor; und hatte das Ge- heimniß gefunden, ihn mit aller der Ele- ganz, die, wie du weiſt, mir eigen iſt, ohne Nachtheil meines angenommenen Charakters, zu verſchoͤnern. Aber dieſe Zauberin von Sternheim war in ihrer Verkleidung lauter Reiz und ſchoͤne Na- tur; alle ihre Zuͤge waren unſchuldige laͤndliche Freude; ihr Kleid von hell- blauem Tafft, mit ſchwarzen Streifen ein- gefaßt,

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/261>, abgerufen am 25.04.2024.