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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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lig, ihre schöne Stimme hören zu lassen
und ihn nebst der Gesellschaft zur Freude
aufzumuntern. Hätte ich Kräfte gehabt,
sie ihrer reizenden Gestalt und aller ihrer
Talenten zu berauben, ich würd' es in
diesem Augenblick gethan haben. Leich-
ter wär' es mir gewesen, sie elend, häß-
lich, ja gar todt zu sehen, als ein Zeuge
ihrer moralischen Zernichtung zu seyn.
Der tiefste Schmerz war in meiner Seele,
als ich sie singen hörte, und mit dem Für-
sten und mit andern Menuette tanzen sah.
Aber als er sie um den Leib faßte, an seine
Brust drückte, und den sittenlosen, fre-
chen Wirbeltanz der Deutschen, mit einer,
aller Wohlstandsbande zerreissenden Ver-
traulichkeit an ihrer Seite daher hüpf-
te -- da wurde meine stille Betrübniß
in brennenden Zorn verwandelt; ich eilte
in meine zwote Maske, näherte mich
ihrer darinn, und machte ihr bittre und
heftige Vorwürfe über ihre Frechheit, sich
mit so vieler Lustigkeit in ihrem schändli-
chen Putz zu zeigen. Jch setzte hinzu:
daß alle Welt sie verachtete, sie, die man

ange-


lig, ihre ſchoͤne Stimme hoͤren zu laſſen
und ihn nebſt der Geſellſchaft zur Freude
aufzumuntern. Haͤtte ich Kraͤfte gehabt,
ſie ihrer reizenden Geſtalt und aller ihrer
Talenten zu berauben, ich wuͤrd’ es in
dieſem Augenblick gethan haben. Leich-
ter waͤr’ es mir geweſen, ſie elend, haͤß-
lich, ja gar todt zu ſehen, als ein Zeuge
ihrer moraliſchen Zernichtung zu ſeyn.
Der tiefſte Schmerz war in meiner Seele,
als ich ſie ſingen hoͤrte, und mit dem Fuͤr-
ſten und mit andern Menuette tanzen ſah.
Aber als er ſie um den Leib faßte, an ſeine
Bruſt druͤckte, und den ſittenloſen, fre-
chen Wirbeltanz der Deutſchen, mit einer,
aller Wohlſtandsbande zerreiſſenden Ver-
traulichkeit an ihrer Seite daher huͤpf-
te — da wurde meine ſtille Betruͤbniß
in brennenden Zorn verwandelt; ich eilte
in meine zwote Maske, naͤherte mich
ihrer darinn, und machte ihr bittre und
heftige Vorwuͤrfe uͤber ihre Frechheit, ſich
mit ſo vieler Luſtigkeit in ihrem ſchaͤndli-
chen Putz zu zeigen. Jch ſetzte hinzu:
daß alle Welt ſie verachtete, ſie, die man

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[4/0010] lig, ihre ſchoͤne Stimme hoͤren zu laſſen und ihn nebſt der Geſellſchaft zur Freude aufzumuntern. Haͤtte ich Kraͤfte gehabt, ſie ihrer reizenden Geſtalt und aller ihrer Talenten zu berauben, ich wuͤrd’ es in dieſem Augenblick gethan haben. Leich- ter waͤr’ es mir geweſen, ſie elend, haͤß- lich, ja gar todt zu ſehen, als ein Zeuge ihrer moraliſchen Zernichtung zu ſeyn. Der tiefſte Schmerz war in meiner Seele, als ich ſie ſingen hoͤrte, und mit dem Fuͤr- ſten und mit andern Menuette tanzen ſah. Aber als er ſie um den Leib faßte, an ſeine Bruſt druͤckte, und den ſittenloſen, fre- chen Wirbeltanz der Deutſchen, mit einer, aller Wohlſtandsbande zerreiſſenden Ver- traulichkeit an ihrer Seite daher huͤpf- te — da wurde meine ſtille Betruͤbniß in brennenden Zorn verwandelt; ich eilte in meine zwote Maske, naͤherte mich ihrer darinn, und machte ihr bittre und heftige Vorwuͤrfe uͤber ihre Frechheit, ſich mit ſo vieler Luſtigkeit in ihrem ſchaͤndli- chen Putz zu zeigen. Jch ſetzte hinzu: daß alle Welt ſie verachtete, ſie, die man ange-

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/10>, abgerufen am 28.03.2024.