Schicksal hat mich durch die Hand der Bosheit in den Staub geworfen; die Menschenfreundlichkeit nahm mich auf; an diese allein habe ich Ansprüche; meine Leichtgläubigkeit hat mich aller übrigen beraubet, und ich will kein fremdes, kein unverdientes Gut an mich ziehen.
Madam Leidens an Emilia.
O meine Freundinn! ein neues uner- wartetes Uebel drängt sich mir zu; Jch zweifle, ob alle meine Standhaftigkeit hin- reichen wird, es zu ertragen, da ich ohne- hin gezwungen bin, zu meiner gehäßig- sten Feindinn, der Verstellung, meine Zuflucht zu nehmen. Aber weil in mei- nen itzigen Umständen mehr Aufrichtigkeit mir nichts nützen, und andern schaden würde, so will ich den fressenden Kummer in meine Brust verschließen, und selbst für das Vergnügen des Urhebers meiner
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Schickſal hat mich durch die Hand der Bosheit in den Staub geworfen; die Menſchenfreundlichkeit nahm mich auf; an dieſe allein habe ich Anſpruͤche; meine Leichtglaͤubigkeit hat mich aller uͤbrigen beraubet, und ich will kein fremdes, kein unverdientes Gut an mich ziehen.
Madam Leidens an Emilia.
O meine Freundinn! ein neues uner- wartetes Uebel draͤngt ſich mir zu; Jch zweifle, ob alle meine Standhaftigkeit hin- reichen wird, es zu ertragen, da ich ohne- hin gezwungen bin, zu meiner gehaͤßig- ſten Feindinn, der Verſtellung, meine Zuflucht zu nehmen. Aber weil in mei- nen itzigen Umſtaͤnden mehr Aufrichtigkeit mir nichts nuͤtzen, und andern ſchaden wuͤrde, ſo will ich den freſſenden Kummer in meine Bruſt verſchließen, und ſelbſt fuͤr das Vergnuͤgen des Urhebers meiner
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Schickſal hat mich durch die Hand der
Bosheit in den Staub geworfen; die
Menſchenfreundlichkeit nahm mich auf;
an dieſe allein habe ich Anſpruͤche; meine
Leichtglaͤubigkeit hat mich aller uͤbrigen
beraubet, und ich will kein fremdes, kein
unverdientes Gut an mich ziehen.
Madam Leidens
an
Emilia.
O meine Freundinn! ein neues uner-
wartetes Uebel draͤngt ſich mir zu; Jch
zweifle, ob alle meine Standhaftigkeit hin-
reichen wird, es zu ertragen, da ich ohne-
hin gezwungen bin, zu meiner gehaͤßig-
ſten Feindinn, der Verſtellung, meine
Zuflucht zu nehmen. Aber weil in mei-
nen itzigen Umſtaͤnden mehr Aufrichtigkeit
mir nichts nuͤtzen, und andern ſchaden
wuͤrde, ſo will ich den freſſenden Kummer
in meine Bruſt verſchließen, und ſelbſt
fuͤr das Vergnuͤgen des Urhebers meiner
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/191>, abgerufen am 10.12.2023.
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