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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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worinn sie eine so lange Zeit wohnte, ihre
arme Lagerstätte, wo sie den edelsten
Geist aushauchte, der jemals eine weib-
liche Brust belebte. -- O Doctor! selbst
Jhr theologischer Geist würde, wie mein
philosophischer Muth, in Thränen aus-
gebrochen seyn, wenn Sie dieses, wenn
Sie den Sandhügel gesehen hätten, der
an dem Fuße eines einsamen magern
Baums die Ueberbleibsel des liebenswür-
digsten Frauenzimmers bedeckt. Der
arme Lord Seymour sank darauf hin,
und wünschte seine Seele da auszuweinen
und neben ihr begraben zu werden; ich
mußte ihn mit unsern zween Leuten davon
wegziehen. Jm Hause wollt' er sich auf
ihr Sterbebette werfen; ich ließ es aber
wegnehmen, und führte ihn auf den
Platz, wo die Leute sagen, daß sie mei-
stens gesessen wäre; da liegt er seit zwo
Stunden, unbeweglich auf seine Arme
gestützt, sieht und hört nichts. Die
Leute scheinen mir keine guten Leute zu
seyn; ich fürchte, sie haben ihre Hände
auch zu dem Einkerkern geboten. Sie

sehen
II Theil. R

worinn ſie eine ſo lange Zeit wohnte, ihre
arme Lagerſtaͤtte, wo ſie den edelſten
Geiſt aushauchte, der jemals eine weib-
liche Bruſt belebte. — O Doctor! ſelbſt
Jhr theologiſcher Geiſt wuͤrde, wie mein
philoſophiſcher Muth, in Thraͤnen aus-
gebrochen ſeyn, wenn Sie dieſes, wenn
Sie den Sandhuͤgel geſehen haͤtten, der
an dem Fuße eines einſamen magern
Baums die Ueberbleibſel des liebenswuͤr-
digſten Frauenzimmers bedeckt. Der
arme Lord Seymour ſank darauf hin,
und wuͤnſchte ſeine Seele da auszuweinen
und neben ihr begraben zu werden; ich
mußte ihn mit unſern zween Leuten davon
wegziehen. Jm Hauſe wollt’ er ſich auf
ihr Sterbebette werfen; ich ließ es aber
wegnehmen, und fuͤhrte ihn auf den
Platz, wo die Leute ſagen, daß ſie mei-
ſtens geſeſſen waͤre; da liegt er ſeit zwo
Stunden, unbeweglich auf ſeine Arme
geſtuͤtzt, ſieht und hoͤrt nichts. Die
Leute ſcheinen mir keine guten Leute zu
ſeyn; ich fuͤrchte, ſie haben ihre Haͤnde
auch zu dem Einkerkern geboten. Sie

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II Theil. R
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[257/0263] worinn ſie eine ſo lange Zeit wohnte, ihre arme Lagerſtaͤtte, wo ſie den edelſten Geiſt aushauchte, der jemals eine weib- liche Bruſt belebte. — O Doctor! ſelbſt Jhr theologiſcher Geiſt wuͤrde, wie mein philoſophiſcher Muth, in Thraͤnen aus- gebrochen ſeyn, wenn Sie dieſes, wenn Sie den Sandhuͤgel geſehen haͤtten, der an dem Fuße eines einſamen magern Baums die Ueberbleibſel des liebenswuͤr- digſten Frauenzimmers bedeckt. Der arme Lord Seymour ſank darauf hin, und wuͤnſchte ſeine Seele da auszuweinen und neben ihr begraben zu werden; ich mußte ihn mit unſern zween Leuten davon wegziehen. Jm Hauſe wollt’ er ſich auf ihr Sterbebette werfen; ich ließ es aber wegnehmen, und fuͤhrte ihn auf den Platz, wo die Leute ſagen, daß ſie mei- ſtens geſeſſen waͤre; da liegt er ſeit zwo Stunden, unbeweglich auf ſeine Arme geſtuͤtzt, ſieht und hoͤrt nichts. Die Leute ſcheinen mir keine guten Leute zu ſeyn; ich fuͤrchte, ſie haben ihre Haͤnde auch zu dem Einkerkern geboten. Sie ſehen II Theil. R

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/263>, abgerufen am 25.04.2024.