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Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 1. Weimar, 1897.

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Am Nordpol.
Saltner. Saltner warf einen Blick auf Uhr und
Barometer, drückte auf den Momentverschluß des
photographischen Apparats und notierte die Zeit und
den Luftdruck.

"Diese Gegend hätten wir glücklich in der Tasche",
murmelte er. Dann streckte er die in hohen Filz-
stiefeln steckenden Füße soweit aus, als es der be-
schränkte Raum des Korbes zuließ, zwinkerte mit den
lustigen Augen und sagte:

"Meine Herren, ich bin schauderhaft müde. Könnte
man nicht jetzt ein kleines Schläfchen machen? Was
meinen Sie, Kapitän?"

"Thun Sie das", antwortete Torm, "Sie sind an
der Reihe. Aber beeilen Sie sich. Wenn wir diesen
Wind noch drei Stunden behalten --"

Er unterbrach sich, um die nötigen Ablesungen
zu machen.

"Wecken Sie mich gefälligst, sobald wir -- am
Pol -- sind -- --"

Saltner sprach mit geschlossenen Augen, und beim
letzten Worte schon war er sanft entschlummert.

"Es ist ein unheimliches Glück, das wir haben",
begann Torm. "Wir fliegen im wahren Sinn des
Worts auf das Ziel zu. Jch habe für die letzten
fünf Minuten wieder 3,9 Kilometer notiert. Könnten
Sie eine genauere Bestimmung versuchen, wo wir
sind?"

"Es wird sich machen lassen", antwortete Grunthe,
indem er nach dem Sextanten griff. "Der Ballon
geht sehr ruhig, und wir haben die Ortszeit ziemlich

Am Nordpol.
Saltner. Saltner warf einen Blick auf Uhr und
Barometer, drückte auf den Momentverſchluß des
photographiſchen Apparats und notierte die Zeit und
den Luftdruck.

„Dieſe Gegend hätten wir glücklich in der Taſche‟,
murmelte er. Dann ſtreckte er die in hohen Filz-
ſtiefeln ſteckenden Füße ſoweit aus, als es der be-
ſchränkte Raum des Korbes zuließ, zwinkerte mit den
luſtigen Augen und ſagte:

„Meine Herren, ich bin ſchauderhaft müde. Könnte
man nicht jetzt ein kleines Schläfchen machen? Was
meinen Sie, Kapitän?‟

„Thun Sie das‟, antwortete Torm, „Sie ſind an
der Reihe. Aber beeilen Sie ſich. Wenn wir dieſen
Wind noch drei Stunden behalten —‟

Er unterbrach ſich, um die nötigen Ableſungen
zu machen.

„Wecken Sie mich gefälligſt, ſobald wir — am
Pol — ſind — —‟

Saltner ſprach mit geſchloſſenen Augen, und beim
letzten Worte ſchon war er ſanft entſchlummert.

„Es iſt ein unheimliches Glück, das wir haben‟,
begann Torm. „Wir fliegen im wahren Sinn des
Worts auf das Ziel zu. Jch habe für die letzten
fünf Minuten wieder 3,9 Kilometer notiert. Könnten
Sie eine genauere Beſtimmung verſuchen, wo wir
ſind?‟

„Es wird ſich machen laſſen‟, antwortete Grunthe,
indem er nach dem Sextanten griff. „Der Ballon
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[7/0015] Am Nordpol. Saltner. Saltner warf einen Blick auf Uhr und Barometer, drückte auf den Momentverſchluß des photographiſchen Apparats und notierte die Zeit und den Luftdruck. „Dieſe Gegend hätten wir glücklich in der Taſche‟, murmelte er. Dann ſtreckte er die in hohen Filz- ſtiefeln ſteckenden Füße ſoweit aus, als es der be- ſchränkte Raum des Korbes zuließ, zwinkerte mit den luſtigen Augen und ſagte: „Meine Herren, ich bin ſchauderhaft müde. Könnte man nicht jetzt ein kleines Schläfchen machen? Was meinen Sie, Kapitän?‟ „Thun Sie das‟, antwortete Torm, „Sie ſind an der Reihe. Aber beeilen Sie ſich. Wenn wir dieſen Wind noch drei Stunden behalten —‟ Er unterbrach ſich, um die nötigen Ableſungen zu machen. „Wecken Sie mich gefälligſt, ſobald wir — am Pol — ſind — —‟ Saltner ſprach mit geſchloſſenen Augen, und beim letzten Worte ſchon war er ſanft entſchlummert. „Es iſt ein unheimliches Glück, das wir haben‟, begann Torm. „Wir fliegen im wahren Sinn des Worts auf das Ziel zu. Jch habe für die letzten fünf Minuten wieder 3,9 Kilometer notiert. Könnten Sie eine genauere Beſtimmung verſuchen, wo wir ſind?‟ „Es wird ſich machen laſſen‟, antwortete Grunthe, indem er nach dem Sextanten griff. „Der Ballon geht ſehr ruhig, und wir haben die Ortszeit ziemlich

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 1. Weimar, 1897, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten01_1897/15>, abgerufen am 19.04.2024.