begannen sich die körperlichen Beschwerden einzustellen, welche die Erhebung in die verdünnten Luftschichten begleiten. Alle klagten über Herzklopfen. Saltner mußte das Fernrohr hinlegen, vor seinen Augen ver- schwammen die Gegenstände. Atemnot stellte sich ein.
"Es bleibt nichts andres übrig", rief Torm. "Die Reißleine!"
Grunthe ergriff die Reißleine. Die Zerreißvor- richtung dient dazu, einen Streifen der Ballonhülle in der Länge des sechsten Teils des Ballonumfangs auf- zureißen, um den Ballon im Notfall binnen wenigen Minuten des Gases zu entleeren. Aber -- die Vor- richtung versagte! Er zerrte an der Leine -- sie gab nicht nach. Sie mußte sich am Netzwerk des Ballons verfangen haben. Es war jetzt unmöglich, den Schaden zu reparieren. Der Ballon stieg weiter. Von der Erde war nichts mehr zu sehen, man blickte auf Wolken.
"Die Sauerstoffapparate!" kommandierte Torm.
Obwohl man die Absicht hatte, sich stets in ge- ringer Höhe zu halten, konnte man doch nicht wissen. ob nicht die Umstände ein Aufsteigen in die höchsten Regionen mit sich bringen würden. Für diesen Fall hatte man sich mit komprimiertem Sauerstoff zur Atmung versehen. Es war jetzt notwendig, die künst- liche Atmung anzuwenden.
Die Forscher fühlten sich neu gestärkt; aber immer furchtbarer wurde die Kälte. Sie merkten, wie ihre Gliedmaßen zu erstarren drohten. Die Nase, die Finger wurden gefühllos, sie versuchten ihnen durch
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Das Geheimnis des Pols.
begannen ſich die körperlichen Beſchwerden einzuſtellen, welche die Erhebung in die verdünnten Luftſchichten begleiten. Alle klagten über Herzklopfen. Saltner mußte das Fernrohr hinlegen, vor ſeinen Augen ver- ſchwammen die Gegenſtände. Atemnot ſtellte ſich ein.
„Es bleibt nichts andres übrig‟, rief Torm. „Die Reißleine!‟
Grunthe ergriff die Reißleine. Die Zerreißvor- richtung dient dazu, einen Streifen der Ballonhülle in der Länge des ſechsten Teils des Ballonumfangs auf- zureißen, um den Ballon im Notfall binnen wenigen Minuten des Gaſes zu entleeren. Aber — die Vor- richtung verſagte! Er zerrte an der Leine — ſie gab nicht nach. Sie mußte ſich am Netzwerk des Ballons verfangen haben. Es war jetzt unmöglich, den Schaden zu reparieren. Der Ballon ſtieg weiter. Von der Erde war nichts mehr zu ſehen, man blickte auf Wolken.
„Die Sauerſtoffapparate!‟ kommandierte Torm.
Obwohl man die Abſicht hatte, ſich ſtets in ge- ringer Höhe zu halten, konnte man doch nicht wiſſen. ob nicht die Umſtände ein Aufſteigen in die höchſten Regionen mit ſich bringen würden. Für dieſen Fall hatte man ſich mit komprimiertem Sauerſtoff zur Atmung verſehen. Es war jetzt notwendig, die künſt- liche Atmung anzuwenden.
Die Forſcher fühlten ſich neu geſtärkt; aber immer furchtbarer wurde die Kälte. Sie merkten, wie ihre Gliedmaßen zu erſtarren drohten. Die Naſe, die Finger wurden gefühllos, ſie verſuchten ihnen durch
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Das Geheimnis des Pols.
begannen ſich die körperlichen Beſchwerden einzuſtellen,
welche die Erhebung in die verdünnten Luftſchichten
begleiten. Alle klagten über Herzklopfen. Saltner
mußte das Fernrohr hinlegen, vor ſeinen Augen ver-
ſchwammen die Gegenſtände. Atemnot ſtellte ſich ein.
„Es bleibt nichts andres übrig‟, rief Torm. „Die
Reißleine!‟
Grunthe ergriff die Reißleine. Die Zerreißvor-
richtung dient dazu, einen Streifen der Ballonhülle in
der Länge des ſechsten Teils des Ballonumfangs auf-
zureißen, um den Ballon im Notfall binnen wenigen
Minuten des Gaſes zu entleeren. Aber — die Vor-
richtung verſagte! Er zerrte an der Leine — ſie gab
nicht nach. Sie mußte ſich am Netzwerk des Ballons
verfangen haben. Es war jetzt unmöglich, den Schaden
zu reparieren. Der Ballon ſtieg weiter. Von der
Erde war nichts mehr zu ſehen, man blickte auf
Wolken.
„Die Sauerſtoffapparate!‟ kommandierte Torm.
Obwohl man die Abſicht hatte, ſich ſtets in ge-
ringer Höhe zu halten, konnte man doch nicht wiſſen.
ob nicht die Umſtände ein Aufſteigen in die höchſten
Regionen mit ſich bringen würden. Für dieſen Fall
hatte man ſich mit komprimiertem Sauerſtoff zur
Atmung verſehen. Es war jetzt notwendig, die künſt-
liche Atmung anzuwenden.
Die Forſcher fühlten ſich neu geſtärkt; aber immer
furchtbarer wurde die Kälte. Sie merkten, wie ihre
Gliedmaßen zu erſtarren drohten. Die Naſe, die
Finger wurden gefühllos, ſie verſuchten ihnen durch
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Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 1. Weimar, 1897, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten01_1897/43>, abgerufen am 25.03.2023.
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