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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.

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Aus dem Tagebuche einer Ameise.
Aber sieh, von rosigem Lichte schimmert
Dort im Uferschatten die leichte Welle,
Von den Strahlen deines Gewands getroffen
Hold dich verratend.
Ach warum, warum nur im Wiederscheine
Darf ich deine süße Gestalt erblicken?
Ach warum, du Liebliche, soll ich niemals
Selbst dir begegnen?
Ewig trennt die neidische, dunkle Fläche
Von einander uns die ersehnten Wege,
Und herüber zittert nur deines schwanken
Bildes Erscheinung.

Ja warum denn? Er brauchte doch nur um den
Teich herumzugehen -- Wie dumm doch die Menschen
sind! Jch beschloß, das Äußerste zu wagen, um dieses
Warum zu ergründen. Der Mensch schickte sich an
fortzugehen. Jch begab mich auf ihn, ich ließ mich
von ihm tragen -- ins Fremde, ins Ungewisse --
wahrscheinlich in den Tod! Aber ich wollte es wissen --
was ist Liebe?

Der Weg war weit, wir hätten auf eigenen Füßen
wohl eine Tageswanderung gebraucht. Da blieb der
Mensch so plötzlich stehen, daß ich fast herabgefallen
wäre. Und eben so plötzlich setzte er seinen Weg fort.
Die beiden Weibchen kamen ihm entgegen. Nun hatte
er ja seinen Wunsch erreicht, jetzt konnte er wie früher
mit ihr reden. Und ich erwartete, daß sie ihm entgegen-
springen werde. Aber was geschah? Sie sah ihn gar-

7*
Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
Aber ſieh, von roſigem Lichte ſchimmert
Dort im Uferſchatten die leichte Welle,
Von den Strahlen deines Gewands getroffen
Hold dich verratend.
Ach warum, warum nur im Wiederſcheine
Darf ich deine ſüße Geſtalt erblicken?
Ach warum, du Liebliche, ſoll ich niemals
Selbſt dir begegnen?
Ewig trennt die neidiſche, dunkle Fläche
Von einander uns die erſehnten Wege,
Und herüber zittert nur deines ſchwanken
Bildes Erſcheinung.

Ja warum denn? Er brauchte doch nur um den
Teich herumzugehen — Wie dumm doch die Menſchen
ſind! Jch beſchloß, das Äußerſte zu wagen, um dieſes
Warum zu ergründen. Der Menſch ſchickte ſich an
fortzugehen. Jch begab mich auf ihn, ich ließ mich
von ihm tragen — ins Fremde, ins Ungewiſſe —
wahrſcheinlich in den Tod! Aber ich wollte es wiſſen —
was iſt Liebe?

Der Weg war weit, wir hätten auf eigenen Füßen
wohl eine Tageswanderung gebraucht. Da blieb der
Menſch ſo plötzlich ſtehen, daß ich faſt herabgefallen
wäre. Und eben ſo plötzlich ſetzte er ſeinen Weg fort.
Die beiden Weibchen kamen ihm entgegen. Nun hatte
er ja ſeinen Wunſch erreicht, jetzt konnte er wie früher
mit ihr reden. Und ich erwartete, daß ſie ihm entgegen-
ſpringen werde. Aber was geſchah? Sie ſah ihn gar-

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[99/0105] Aus dem Tagebuche einer Ameiſe. Aber ſieh, von roſigem Lichte ſchimmert Dort im Uferſchatten die leichte Welle, Von den Strahlen deines Gewands getroffen Hold dich verratend. Ach warum, warum nur im Wiederſcheine Darf ich deine ſüße Geſtalt erblicken? Ach warum, du Liebliche, ſoll ich niemals Selbſt dir begegnen? Ewig trennt die neidiſche, dunkle Fläche Von einander uns die erſehnten Wege, Und herüber zittert nur deines ſchwanken Bildes Erſcheinung. Ja warum denn? Er brauchte doch nur um den Teich herumzugehen — Wie dumm doch die Menſchen ſind! Jch beſchloß, das Äußerſte zu wagen, um dieſes Warum zu ergründen. Der Menſch ſchickte ſich an fortzugehen. Jch begab mich auf ihn, ich ließ mich von ihm tragen — ins Fremde, ins Ungewiſſe — wahrſcheinlich in den Tod! Aber ich wollte es wiſſen — was iſt Liebe? Der Weg war weit, wir hätten auf eigenen Füßen wohl eine Tageswanderung gebraucht. Da blieb der Menſch ſo plötzlich ſtehen, daß ich faſt herabgefallen wäre. Und eben ſo plötzlich ſetzte er ſeinen Weg fort. Die beiden Weibchen kamen ihm entgegen. Nun hatte er ja ſeinen Wunſch erreicht, jetzt konnte er wie früher mit ihr reden. Und ich erwartete, daß ſie ihm entgegen- ſpringen werde. Aber was geſchah? Sie ſah ihn gar- 7*

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/105>, abgerufen am 09.10.2024.