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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

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Ich gebe mir alle ersinnliche Mühe, um glücklich zu sein,
wenn ich früh mit der Morgensonne die todte Stadt
betrachte und den lustigen Rauch aus den Schorn¬
steinen steigen sehe, da will mich oft eine Thräne be¬
schleichen und eine wimmernde Elegie zerbröckelt sich auf
der Zunge, aber ich jage das dumme Zeug fort und
nehme meinen alten Moniteur von 1793 zur Hand,
und lese ihn mit starker Stimme in die Morgenluft
hinaus. Da kommt mir bald der Zorn gegen die jäm¬
merliche Welt, die ihren Geburtstag vergessen hat, und
wenn der Zorn erst kommt, da ist Alles gut. Nach
der Liebe ist er die edelste Leidenschaft. Ich gehe oft
einen ganzen Tag lang zürnend auf meiner kleinen
Stube hin und her; denn der einzige Rest meiner Ci¬
vilisation, der mir geblieben, mein Mantel von Marengo,
der mich Tag und Nacht schützt, erlaubt mir nicht, am
Tage auszugehen. -- Die Zukunft kümmert mich nicht;
wären wir nicht Alle zukunftskrank, so würden wir ei¬
ne stärkere Gegenwart haben. Mache Dir alles Ange¬
nehme recht anschaulich und betrachte das Unangenehme
als ein nothwendiges Uebel -- hätte ich nicht für mich
selbst diese Registratur der nothwendigen Uebel errichtet,
beschäftigte ich mich nicht mit allem Unangenehmen, bis

Ich gebe mir alle erſinnliche Mühe, um glücklich zu ſein,
wenn ich früh mit der Morgenſonne die todte Stadt
betrachte und den luſtigen Rauch aus den Schorn¬
ſteinen ſteigen ſehe, da will mich oft eine Thräne be¬
ſchleichen und eine wimmernde Elegie zerbröckelt ſich auf
der Zunge, aber ich jage das dumme Zeug fort und
nehme meinen alten Moniteur von 1793 zur Hand,
und leſe ihn mit ſtarker Stimme in die Morgenluft
hinaus. Da kommt mir bald der Zorn gegen die jäm¬
merliche Welt, die ihren Geburtstag vergeſſen hat, und
wenn der Zorn erſt kommt, da iſt Alles gut. Nach
der Liebe iſt er die edelſte Leidenſchaft. Ich gehe oft
einen ganzen Tag lang zürnend auf meiner kleinen
Stube hin und her; denn der einzige Reſt meiner Ci¬
viliſation, der mir geblieben, mein Mantel von Marengo,
der mich Tag und Nacht ſchützt, erlaubt mir nicht, am
Tage auszugehen. — Die Zukunft kümmert mich nicht;
wären wir nicht Alle zukunftskrank, ſo würden wir ei¬
ne ſtärkere Gegenwart haben. Mache Dir alles Ange¬
nehme recht anſchaulich und betrachte das Unangenehme
als ein nothwendiges Uebel — hätte ich nicht für mich
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beſchäftigte ich mich nicht mit allem Unangenehmen, bis

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[107/0117] Ich gebe mir alle erſinnliche Mühe, um glücklich zu ſein, wenn ich früh mit der Morgenſonne die todte Stadt betrachte und den luſtigen Rauch aus den Schorn¬ ſteinen ſteigen ſehe, da will mich oft eine Thräne be¬ ſchleichen und eine wimmernde Elegie zerbröckelt ſich auf der Zunge, aber ich jage das dumme Zeug fort und nehme meinen alten Moniteur von 1793 zur Hand, und leſe ihn mit ſtarker Stimme in die Morgenluft hinaus. Da kommt mir bald der Zorn gegen die jäm¬ merliche Welt, die ihren Geburtstag vergeſſen hat, und wenn der Zorn erſt kommt, da iſt Alles gut. Nach der Liebe iſt er die edelſte Leidenſchaft. Ich gehe oft einen ganzen Tag lang zürnend auf meiner kleinen Stube hin und her; denn der einzige Reſt meiner Ci¬ viliſation, der mir geblieben, mein Mantel von Marengo, der mich Tag und Nacht ſchützt, erlaubt mir nicht, am Tage auszugehen. — Die Zukunft kümmert mich nicht; wären wir nicht Alle zukunftskrank, ſo würden wir ei¬ ne ſtärkere Gegenwart haben. Mache Dir alles Ange¬ nehme recht anſchaulich und betrachte das Unangenehme als ein nothwendiges Uebel — hätte ich nicht für mich ſelbſt dieſe Regiſtratur der nothwendigen Uebel errichtet, beſchäftigte ich mich nicht mit allem Unangenehmen, bis

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/117>, abgerufen am 29.03.2024.