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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

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digsten kleinen Bogensprung die genialste Verbindung
mit diesem bewerkstelligt. Zu oben gerügtem schlechten
Wuchse des Unterkörpers gehört nämlich auch, daß das
Bein perpendiculär auf einen horizontalen Fuß sich auf¬
setzt und beide zusammen das fatalste Dreieck bilden.
Bein und Fuß sondern sich wie Staatsgewalten -- das
ist widerwärtig platt. Bei Rosa hüpft das Bein im
gerundetem hohem Spann auf den Fuß, und dadurch er¬
hält der ganze Körper jene schaukelnde über Alles bestech¬
ende Grazie, welche der fliegende Poet vor dem schwer¬
fälligen Philosophen voraus hat.

Nun hat Rosa nicht die unangenehme Manier so
vieler leicht und rasch gewachsenen Mädchen, daß sie in
ihrem Gange tänzelte und hüpfte, eine Manier, die so
unschön ist wie das Zappeln mit den Fingern -- nein,
sie geht, aber schön und leicht wie ein anmuthiger Ge¬
danke. Wie wenig unsrer eleganten Damen wissen zu
gehen. Es muß eine Selbstständigkeit, eine Unabhäng¬
gikeit im Gange sein, die ein wohlthätiges Gefühl von
sichrer Freiheit erweckt, der Gang muß das Zeichen des
Sieges über die träge Erde sein -- bei den meisten
Weibern ist er das Zeichen des Kampfes. Die Straff¬
heit der Muskeln spielt mit dem schwerfälligen Boden,

digſten kleinen Bogenſprung die genialſte Verbindung
mit dieſem bewerkſtelligt. Zu oben gerügtem ſchlechten
Wuchſe des Unterkörpers gehört nämlich auch, daß das
Bein perpendiculär auf einen horizontalen Fuß ſich auf¬
ſetzt und beide zuſammen das fatalſte Dreieck bilden.
Bein und Fuß ſondern ſich wie Staatsgewalten — das
iſt widerwärtig platt. Bei Roſa hüpft das Bein im
gerundetem hohem Spann auf den Fuß, und dadurch er¬
hält der ganze Körper jene ſchaukelnde über Alles beſtech¬
ende Grazie, welche der fliegende Poet vor dem ſchwer¬
fälligen Philoſophen voraus hat.

Nun hat Roſa nicht die unangenehme Manier ſo
vieler leicht und raſch gewachſenen Mädchen, daß ſie in
ihrem Gange tänzelte und hüpfte, eine Manier, die ſo
unſchön iſt wie das Zappeln mit den Fingern — nein,
ſie geht, aber ſchön und leicht wie ein anmuthiger Ge¬
danke. Wie wenig unſrer eleganten Damen wiſſen zu
gehen. Es muß eine Selbſtſtändigkeit, eine Unabhäng¬
gikeit im Gange ſein, die ein wohlthätiges Gefühl von
ſichrer Freiheit erweckt, der Gang muß das Zeichen des
Sieges über die träge Erde ſein — bei den meiſten
Weibern iſt er das Zeichen des Kampfes. Die Straff¬
heit der Muskeln ſpielt mit dem ſchwerfälligen Boden,

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[17/0027] digſten kleinen Bogenſprung die genialſte Verbindung mit dieſem bewerkſtelligt. Zu oben gerügtem ſchlechten Wuchſe des Unterkörpers gehört nämlich auch, daß das Bein perpendiculär auf einen horizontalen Fuß ſich auf¬ ſetzt und beide zuſammen das fatalſte Dreieck bilden. Bein und Fuß ſondern ſich wie Staatsgewalten — das iſt widerwärtig platt. Bei Roſa hüpft das Bein im gerundetem hohem Spann auf den Fuß, und dadurch er¬ hält der ganze Körper jene ſchaukelnde über Alles beſtech¬ ende Grazie, welche der fliegende Poet vor dem ſchwer¬ fälligen Philoſophen voraus hat. Nun hat Roſa nicht die unangenehme Manier ſo vieler leicht und raſch gewachſenen Mädchen, daß ſie in ihrem Gange tänzelte und hüpfte, eine Manier, die ſo unſchön iſt wie das Zappeln mit den Fingern — nein, ſie geht, aber ſchön und leicht wie ein anmuthiger Ge¬ danke. Wie wenig unſrer eleganten Damen wiſſen zu gehen. Es muß eine Selbſtſtändigkeit, eine Unabhäng¬ gikeit im Gange ſein, die ein wohlthätiges Gefühl von ſichrer Freiheit erweckt, der Gang muß das Zeichen des Sieges über die träge Erde ſein — bei den meiſten Weibern iſt er das Zeichen des Kampfes. Die Straff¬ heit der Muskeln ſpielt mit dem ſchwerfälligen Boden,

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/27>, abgerufen am 29.03.2024.