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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

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-- ich glaube, wenn ihn heute ein freches Tribunal mit
den schreiendsten Ungerechtigkeiten zum Tode verurtheilte,
er würde sich höflich vertheidigen. In den wildesten Kam¬
merdebatten, mit den insolentesten Gegnern bleibt der
Mann artig, verbindlich -- es ist eine Klassicitität,
die mich sogar erstarren macht. Julie war entzückt von
ihm und sagte ihm dies ziemlich deutlich -- ich stand
daneben; wenn er sich doch nur ein wenig mehr als
die Form erheischte, gefreut hätte, er ist der glatte und
doch endlos tiefe See. Und doch haben wenig Länder
Männer, auf welche sie so stolz sein können als Frank¬
reich auf Lafitte. Unweit davon saß der Alte von Drü¬
ben, der Friedensnapoleon, der langweiligste, einför¬
migste Freiheitsmann La Fayette, der schlechteste Mar¬
quis der alten, der beste Bürger der neuen Zeit. Der
Mann ist mir sehr im Wege, weil ich ihn gern auf
das Härteste tadelte und doch so unbegrenzt achten muß.
Er ist auch ein Klassiker mit seiner unwandelbaren Frei¬
heitsidee, der Klassiker der romantisch französischen Re¬
volution; nur seine unverwüstliche Jugend giebt ihm
einen romantischen Anstrich. So nimmt er in der po¬
litischen Welt Frankreichs mit derselben Unsterblichkeit
denselben Platz ein, welchen Göthe im teutschen literari¬

— ich glaube, wenn ihn heute ein freches Tribunal mit
den ſchreiendſten Ungerechtigkeiten zum Tode verurtheilte,
er würde ſich höflich vertheidigen. In den wildeſten Kam¬
merdebatten, mit den inſolenteſten Gegnern bleibt der
Mann artig, verbindlich — es iſt eine Klaſſicitität,
die mich ſogar erſtarren macht. Julie war entzückt von
ihm und ſagte ihm dies ziemlich deutlich — ich ſtand
daneben; wenn er ſich doch nur ein wenig mehr als
die Form erheiſchte, gefreut hätte, er iſt der glatte und
doch endlos tiefe See. Und doch haben wenig Länder
Männer, auf welche ſie ſo ſtolz ſein können als Frank¬
reich auf Lafitte. Unweit davon ſaß der Alte von Drü¬
ben, der Friedensnapoleon, der langweiligſte, einför¬
migſte Freiheitsmann La Fayette, der ſchlechteſte Mar¬
quis der alten, der beſte Bürger der neuen Zeit. Der
Mann iſt mir ſehr im Wege, weil ich ihn gern auf
das Härteſte tadelte und doch ſo unbegrenzt achten muß.
Er iſt auch ein Klaſſiker mit ſeiner unwandelbaren Frei¬
heitsidee, der Klaſſiker der romantiſch franzöſiſchen Re¬
volution; nur ſeine unverwüſtliche Jugend giebt ihm
einen romantiſchen Anſtrich. So nimmt er in der po¬
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[177/0189] — ich glaube, wenn ihn heute ein freches Tribunal mit den ſchreiendſten Ungerechtigkeiten zum Tode verurtheilte, er würde ſich höflich vertheidigen. In den wildeſten Kam¬ merdebatten, mit den inſolenteſten Gegnern bleibt der Mann artig, verbindlich — es iſt eine Klaſſicitität, die mich ſogar erſtarren macht. Julie war entzückt von ihm und ſagte ihm dies ziemlich deutlich — ich ſtand daneben; wenn er ſich doch nur ein wenig mehr als die Form erheiſchte, gefreut hätte, er iſt der glatte und doch endlos tiefe See. Und doch haben wenig Länder Männer, auf welche ſie ſo ſtolz ſein können als Frank¬ reich auf Lafitte. Unweit davon ſaß der Alte von Drü¬ ben, der Friedensnapoleon, der langweiligſte, einför¬ migſte Freiheitsmann La Fayette, der ſchlechteſte Mar¬ quis der alten, der beſte Bürger der neuen Zeit. Der Mann iſt mir ſehr im Wege, weil ich ihn gern auf das Härteſte tadelte und doch ſo unbegrenzt achten muß. Er iſt auch ein Klaſſiker mit ſeiner unwandelbaren Frei¬ heitsidee, der Klaſſiker der romantiſch franzöſiſchen Re¬ volution; nur ſeine unverwüſtliche Jugend giebt ihm einen romantiſchen Anſtrich. So nimmt er in der po¬ litiſchen Welt Frankreichs mit derſelben Unſterblichkeit denſelben Platz ein, welchen Göthe im teutſchen literari¬

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/189>, abgerufen am 25.04.2024.