Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

wegungen sind weit, breit, aber sicher gerundet. Du
siehst, wie viel auf den ersten Tanzmeister ankommt,
denn ich bin überzeugt, daß sich der Graf viel Mühe
gegeben hat, die modernen, kürzeren Bewegungen zu
erlernen. Natürlich geht er ganz modisch gekleidet.
Sein lockiges Haar ist noch voll und dicht, wie das ei¬
nes Jünglings, aber schneeweiß. Das giebt dem gan¬
zen Gesichte, welches sich ebenfalls durch einen sehr wei¬
ßen Teint auszeichnet, etwas Geisterartiges, und die un¬
stäten schwarzen Augen irren wie heimathlos umher.
Der Schnitt des Gesichts ist edel; eine Römernase er¬
höht diesen Eindruck. Nur der etwas breite eingeknif¬
fene Mund und der untere Theil des Kopfes deutet dar¬
auf hin, daß der Mann schon viel gelebt habe. Die
Faltenlinien von den Nasenflügeln aus drängen die un¬
tere Wange tief hinab nach dem Kinn. Dieser untere
Kopf hängt nur, und hat die Spannkraft verloren; er
ist das Bild seiner Charakterlosigkeit. Er redet fast alle
Sprachen und dem Anschein nach alle gut, wenigstens
versichert es Hyppolit vom Spanischen, William vom
Englischen, Leopold vom Italienischen und ich höre es am
Französischen, das er keineswegs so altmodisch wie die
meisten unserer Aristokraten redet, die wie der junge

wegungen ſind weit, breit, aber ſicher gerundet. Du
ſiehſt, wie viel auf den erſten Tanzmeiſter ankommt,
denn ich bin überzeugt, daß ſich der Graf viel Mühe
gegeben hat, die modernen, kürzeren Bewegungen zu
erlernen. Natürlich geht er ganz modiſch gekleidet.
Sein lockiges Haar iſt noch voll und dicht, wie das ei¬
nes Jünglings, aber ſchneeweiß. Das giebt dem gan¬
zen Geſichte, welches ſich ebenfalls durch einen ſehr wei¬
ßen Teint auszeichnet, etwas Geiſterartiges, und die un¬
ſtäten ſchwarzen Augen irren wie heimathlos umher.
Der Schnitt des Geſichts iſt edel; eine Römernaſe er¬
höht dieſen Eindruck. Nur der etwas breite eingeknif¬
fene Mund und der untere Theil des Kopfes deutet dar¬
auf hin, daß der Mann ſchon viel gelebt habe. Die
Faltenlinien von den Naſenflügeln aus drängen die un¬
tere Wange tief hinab nach dem Kinn. Dieſer untere
Kopf hängt nur, und hat die Spannkraft verloren; er
iſt das Bild ſeiner Charakterloſigkeit. Er redet faſt alle
Sprachen und dem Anſchein nach alle gut, wenigſtens
verſichert es Hyppolit vom Spaniſchen, William vom
Engliſchen, Leopold vom Italieniſchen und ich höre es am
Franzöſiſchen, das er keineswegs ſo altmodiſch wie die
meiſten unſerer Ariſtokraten redet, die wie der junge

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0023" n="11"/>
wegungen &#x017F;ind weit, breit, aber &#x017F;icher gerundet. Du<lb/>
&#x017F;ieh&#x017F;t, wie viel auf den er&#x017F;ten Tanzmei&#x017F;ter ankommt,<lb/>
denn ich bin überzeugt, daß &#x017F;ich der Graf viel Mühe<lb/>
gegeben hat, die modernen, kürzeren Bewegungen zu<lb/>
erlernen. Natürlich geht er ganz modi&#x017F;ch gekleidet.<lb/>
Sein lockiges Haar i&#x017F;t noch voll und dicht, wie das ei¬<lb/>
nes Jünglings, aber &#x017F;chneeweiß. Das giebt dem gan¬<lb/>
zen Ge&#x017F;ichte, welches &#x017F;ich ebenfalls durch einen &#x017F;ehr wei¬<lb/>
ßen Teint auszeichnet, etwas Gei&#x017F;terartiges, und die un¬<lb/>
&#x017F;täten &#x017F;chwarzen Augen irren wie heimathlos umher.<lb/>
Der Schnitt des Ge&#x017F;ichts i&#x017F;t edel; eine Römerna&#x017F;e er¬<lb/>
höht die&#x017F;en Eindruck. Nur der etwas breite eingeknif¬<lb/>
fene Mund und der untere Theil des Kopfes deutet dar¬<lb/>
auf hin, daß der Mann &#x017F;chon viel gelebt habe. Die<lb/>
Faltenlinien von den Na&#x017F;enflügeln aus drängen die un¬<lb/>
tere Wange tief hinab nach dem Kinn. Die&#x017F;er untere<lb/>
Kopf hängt nur, und hat die Spannkraft verloren; er<lb/>
i&#x017F;t das Bild &#x017F;einer Charakterlo&#x017F;igkeit. Er redet fa&#x017F;t alle<lb/>
Sprachen und dem An&#x017F;chein nach alle gut, wenig&#x017F;tens<lb/>
ver&#x017F;ichert es Hyppolit vom Spani&#x017F;chen, William vom<lb/>
Engli&#x017F;chen, Leopold vom Italieni&#x017F;chen und ich höre es am<lb/>
Franzö&#x017F;i&#x017F;chen, das er keineswegs &#x017F;o altmodi&#x017F;ch wie die<lb/>
mei&#x017F;ten un&#x017F;erer Ari&#x017F;tokraten redet, die wie der junge<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0023] wegungen ſind weit, breit, aber ſicher gerundet. Du ſiehſt, wie viel auf den erſten Tanzmeiſter ankommt, denn ich bin überzeugt, daß ſich der Graf viel Mühe gegeben hat, die modernen, kürzeren Bewegungen zu erlernen. Natürlich geht er ganz modiſch gekleidet. Sein lockiges Haar iſt noch voll und dicht, wie das ei¬ nes Jünglings, aber ſchneeweiß. Das giebt dem gan¬ zen Geſichte, welches ſich ebenfalls durch einen ſehr wei¬ ßen Teint auszeichnet, etwas Geiſterartiges, und die un¬ ſtäten ſchwarzen Augen irren wie heimathlos umher. Der Schnitt des Geſichts iſt edel; eine Römernaſe er¬ höht dieſen Eindruck. Nur der etwas breite eingeknif¬ fene Mund und der untere Theil des Kopfes deutet dar¬ auf hin, daß der Mann ſchon viel gelebt habe. Die Faltenlinien von den Naſenflügeln aus drängen die un¬ tere Wange tief hinab nach dem Kinn. Dieſer untere Kopf hängt nur, und hat die Spannkraft verloren; er iſt das Bild ſeiner Charakterloſigkeit. Er redet faſt alle Sprachen und dem Anſchein nach alle gut, wenigſtens verſichert es Hyppolit vom Spaniſchen, William vom Engliſchen, Leopold vom Italieniſchen und ich höre es am Franzöſiſchen, das er keineswegs ſo altmodiſch wie die meiſten unſerer Ariſtokraten redet, die wie der junge

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/23
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/23>, abgerufen am 24.04.2024.