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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 5. Leipzig, 1802.

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und woran ich mit unter besondern Antheil gehabt
hatte. Dornensteeg und mehrere, die es hörten,
daß noch historische Reliquien da waren, ersuchten
mich, dieselben bey Gelegenheit nach zu holen,
und ich trage kein Bedenken, es zu thun, da ich
gewiß weiß, diese Schnurren werden den meisten
meiner Leser nicht unwillkommen seyn.

Der Anfang des neuen Jahres wurde in Gies-
sen auf eine höchst seltsame Art gefeiert. Abends
ging jeder Student, wie gewöhnlich, in eine Knei-
pe zum Eberhard Busch, in die Kraußkopferey,
Reiberey oder wo sonst hin: Schnapps und Bier
wurde getrunken, und das lustige Leben währte bis
um halb Zwölf. Wenns so hoch an der Zeit war,
lief jeder Student nach Hause: schon vorher war
der Nachttopf ins Fenster gesezt worden, nachdem
man ihn mit Unflath aller Art angefüllt hatte:
manche patriotische Studenten versahen sich mit
mehrern Nachttöpfen zu diesem nobeln Geschäfte.
Auf den Glockenschlag zwölf ertönte ein helles: "pe-
reat
das alte Jahr!" aus allen Fenstern, wo Studen-
ten wohnten, und die Nachttöpfe, Brunzkacheln
zu Gießen genannt, flogen mit ihrem garstigen
Inhalt auf die Straße. Dann ertönte ein munte-
res: "vivat das neue Jahr!" worauf die meisten
ihren Weg wieder nach den Kneipen nahmen und
da bis an den hellen Tag zechten. Die Straßen zu

Gießen

und woran ich mit unter beſondern Antheil gehabt
hatte. Dornenſteeg und mehrere, die es hoͤrten,
daß noch hiſtoriſche Reliquien da waren, erſuchten
mich, dieſelben bey Gelegenheit nach zu holen,
und ich trage kein Bedenken, es zu thun, da ich
gewiß weiß, dieſe Schnurren werden den meiſten
meiner Leſer nicht unwillkommen ſeyn.

Der Anfang des neuen Jahres wurde in Gieſ-
ſen auf eine hoͤchſt ſeltſame Art gefeiert. Abends
ging jeder Student, wie gewoͤhnlich, in eine Knei-
pe zum Eberhard Buſch, in die Kraußkopferey,
Reiberey oder wo ſonſt hin: Schnapps und Bier
wurde getrunken, und das luſtige Leben waͤhrte bis
um halb Zwoͤlf. Wenns ſo hoch an der Zeit war,
lief jeder Student nach Hauſe: ſchon vorher war
der Nachttopf ins Fenſter geſezt worden, nachdem
man ihn mit Unflath aller Art angefuͤllt hatte:
manche patriotiſche Studenten verſahen ſich mit
mehrern Nachttoͤpfen zu dieſem nobeln Geſchaͤfte.
Auf den Glockenſchlag zwoͤlf ertoͤnte ein helles: „pe-
reat
das alte Jahr!“ aus allen Fenſtern, wo Studen-
ten wohnten, und die Nachttoͤpfe, Brunzkacheln
zu Gießen genannt, flogen mit ihrem garſtigen
Inhalt auf die Straße. Dann ertoͤnte ein munte-
res: „vivat das neue Jahr!“ worauf die meiſten
ihren Weg wieder nach den Kneipen nahmen und
da bis an den hellen Tag zechten. Die Straßen zu

Gießen
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[96/0104] und woran ich mit unter beſondern Antheil gehabt hatte. Dornenſteeg und mehrere, die es hoͤrten, daß noch hiſtoriſche Reliquien da waren, erſuchten mich, dieſelben bey Gelegenheit nach zu holen, und ich trage kein Bedenken, es zu thun, da ich gewiß weiß, dieſe Schnurren werden den meiſten meiner Leſer nicht unwillkommen ſeyn. Der Anfang des neuen Jahres wurde in Gieſ- ſen auf eine hoͤchſt ſeltſame Art gefeiert. Abends ging jeder Student, wie gewoͤhnlich, in eine Knei- pe zum Eberhard Buſch, in die Kraußkopferey, Reiberey oder wo ſonſt hin: Schnapps und Bier wurde getrunken, und das luſtige Leben waͤhrte bis um halb Zwoͤlf. Wenns ſo hoch an der Zeit war, lief jeder Student nach Hauſe: ſchon vorher war der Nachttopf ins Fenſter geſezt worden, nachdem man ihn mit Unflath aller Art angefuͤllt hatte: manche patriotiſche Studenten verſahen ſich mit mehrern Nachttoͤpfen zu dieſem nobeln Geſchaͤfte. Auf den Glockenſchlag zwoͤlf ertoͤnte ein helles: „pe- reat das alte Jahr!“ aus allen Fenſtern, wo Studen- ten wohnten, und die Nachttoͤpfe, Brunzkacheln zu Gießen genannt, flogen mit ihrem garſtigen Inhalt auf die Straße. Dann ertoͤnte ein munte- res: „vivat das neue Jahr!“ worauf die meiſten ihren Weg wieder nach den Kneipen nahmen und da bis an den hellen Tag zechten. Die Straßen zu Gießen

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 5. Leipzig, 1802, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben05_1802/104>, abgerufen am 28.03.2024.