Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

der moralischen und körperlichen Schönheit.
ihn zu verbessern. So bald ihr ihn verschönern wollt, ohne auf seine moralische Güte Rück-
sicht zu nehmen: so bald ihr den Geschmack bilden wollt auf Unkosten des Herzens: -- so
wird er verschlimmert; und dann macht, was ihr wollt, er wird gewiß auch verhäßlichet, und
der Sohn und der Enkel, wenn's so fortgeht, wird's noch mehr; und wie sehr habt ihr denn
gegen euren Zweck gearbeitet!

Tändelt ihr ewig mit den Menschen ihr schönen Künstler? Was heißt das? Es
heißt: Jhr wollt ein prächtiges Haus bauen, und wollt den Bau durch den Rahmenschnitzler
und Vergolder ausführen!

Jhr hofft, mit Wollust reizenden Stücken seinen Geschmack zu bilden? Was heißt dieß?
Es heißt: Jhr wollt einem Sohne die Weisheit Gottes in der Einrichtung des menschlichen
Körpers lehren, und geht hin, ihm die verborgenen Theile eines Cadavers zu anatomiren.

Doch hievon noch manches. --

Jch ende mit einem hohen Trostworte für mich und alle, die wir noch Ursache genug
haben, über manches Stück unserer Physiognomie und Bildung, die vielleicht hienieden nicht
mehr zu tilgen sind, unzufrieden zu seyn, -- und die dennoch emporstreben nach Vervollkomm-
nung des innern Menschen:

Es wird in Unehre gesäet und herrlich auferweckt.

am 2ten Jenner 1775.

[Abbildung]
Erste
L 3

der moraliſchen und koͤrperlichen Schoͤnheit.
ihn zu verbeſſern. So bald ihr ihn verſchoͤnern wollt, ohne auf ſeine moraliſche Guͤte Ruͤck-
ſicht zu nehmen: ſo bald ihr den Geſchmack bilden wollt auf Unkoſten des Herzens: — ſo
wird er verſchlimmert; und dann macht, was ihr wollt, er wird gewiß auch verhaͤßlichet, und
der Sohn und der Enkel, wenn's ſo fortgeht, wird's noch mehr; und wie ſehr habt ihr denn
gegen euren Zweck gearbeitet!

Taͤndelt ihr ewig mit den Menſchen ihr ſchoͤnen Kuͤnſtler? Was heißt das? Es
heißt: Jhr wollt ein praͤchtiges Haus bauen, und wollt den Bau durch den Rahmenſchnitzler
und Vergolder ausfuͤhren!

Jhr hofft, mit Wolluſt reizenden Stuͤcken ſeinen Geſchmack zu bilden? Was heißt dieß?
Es heißt: Jhr wollt einem Sohne die Weisheit Gottes in der Einrichtung des menſchlichen
Koͤrpers lehren, und geht hin, ihm die verborgenen Theile eines Cadavers zu anatomiren.

Doch hievon noch manches. —

Jch ende mit einem hohen Troſtworte fuͤr mich und alle, die wir noch Urſache genug
haben, uͤber manches Stuͤck unſerer Phyſiognomie und Bildung, die vielleicht hienieden nicht
mehr zu tilgen ſind, unzufrieden zu ſeyn, — und die dennoch emporſtreben nach Vervollkomm-
nung des innern Menſchen:

Es wird in Unehre geſaͤet und herrlich auferweckt.

am 2ten Jenner 1775.

[Abbildung]
Erſte
L 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0105" n="77"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der morali&#x017F;chen und ko&#x0364;rperlichen Scho&#x0364;nheit.</hi></hi></fw><lb/>
ihn zu verbe&#x017F;&#x017F;ern. So bald ihr ihn ver&#x017F;cho&#x0364;nern wollt, ohne auf &#x017F;eine morali&#x017F;che Gu&#x0364;te Ru&#x0364;ck-<lb/>
&#x017F;icht zu nehmen: &#x017F;o bald ihr den Ge&#x017F;chmack bilden wollt auf Unko&#x017F;ten des Herzens: &#x2014; &#x017F;o<lb/>
wird er ver&#x017F;chlimmert; und dann macht, was ihr wollt, er wird gewiß auch verha&#x0364;ßlichet, und<lb/>
der Sohn und der Enkel, wenn's &#x017F;o fortgeht, wird's noch mehr; und wie &#x017F;ehr habt ihr denn<lb/><hi rendition="#fr">gegen euren Zweck</hi> gearbeitet!</p><lb/>
          <p>Ta&#x0364;ndelt ihr ewig mit den Men&#x017F;chen ihr &#x017F;cho&#x0364;nen Ku&#x0364;n&#x017F;tler? Was heißt das? Es<lb/>
heißt: Jhr wollt ein pra&#x0364;chtiges Haus bauen, und wollt den Bau durch den Rahmen&#x017F;chnitzler<lb/>
und Vergolder ausfu&#x0364;hren!</p><lb/>
          <p>Jhr hofft, mit Wollu&#x017F;t reizenden Stu&#x0364;cken &#x017F;einen Ge&#x017F;chmack zu bilden? Was heißt dieß?<lb/>
Es heißt: Jhr wollt einem Sohne die Weisheit Gottes in der Einrichtung des men&#x017F;chlichen<lb/>
Ko&#x0364;rpers lehren, und geht hin, ihm die verborgenen Theile eines Cadavers zu anatomiren.</p><lb/>
          <p>Doch hievon noch manches. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Jch ende mit einem hohen Tro&#x017F;tworte fu&#x0364;r mich und alle, die wir noch Ur&#x017F;ache genug<lb/>
haben, u&#x0364;ber manches Stu&#x0364;ck un&#x017F;erer Phy&#x017F;iognomie und Bildung, die vielleicht hienieden nicht<lb/>
mehr zu tilgen &#x017F;ind, unzufrieden zu &#x017F;eyn, &#x2014; und die dennoch empor&#x017F;treben nach Vervollkomm-<lb/>
nung des innern Men&#x017F;chen:</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#fr">Es wird in Unehre ge&#x017F;a&#x0364;et und herrlich auferweckt.</hi> </p><lb/>
          <p>
            <date> <hi rendition="#et">am 2ten Jenner 1775.</hi> </date>
          </p><lb/>
          <figure/><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">L 3</fw>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Er&#x017F;te</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0105] der moraliſchen und koͤrperlichen Schoͤnheit. ihn zu verbeſſern. So bald ihr ihn verſchoͤnern wollt, ohne auf ſeine moraliſche Guͤte Ruͤck- ſicht zu nehmen: ſo bald ihr den Geſchmack bilden wollt auf Unkoſten des Herzens: — ſo wird er verſchlimmert; und dann macht, was ihr wollt, er wird gewiß auch verhaͤßlichet, und der Sohn und der Enkel, wenn's ſo fortgeht, wird's noch mehr; und wie ſehr habt ihr denn gegen euren Zweck gearbeitet! Taͤndelt ihr ewig mit den Menſchen ihr ſchoͤnen Kuͤnſtler? Was heißt das? Es heißt: Jhr wollt ein praͤchtiges Haus bauen, und wollt den Bau durch den Rahmenſchnitzler und Vergolder ausfuͤhren! Jhr hofft, mit Wolluſt reizenden Stuͤcken ſeinen Geſchmack zu bilden? Was heißt dieß? Es heißt: Jhr wollt einem Sohne die Weisheit Gottes in der Einrichtung des menſchlichen Koͤrpers lehren, und geht hin, ihm die verborgenen Theile eines Cadavers zu anatomiren. Doch hievon noch manches. — Jch ende mit einem hohen Troſtworte fuͤr mich und alle, die wir noch Urſache genug haben, uͤber manches Stuͤck unſerer Phyſiognomie und Bildung, die vielleicht hienieden nicht mehr zu tilgen ſind, unzufrieden zu ſeyn, — und die dennoch emporſtreben nach Vervollkomm- nung des innern Menſchen: Es wird in Unehre geſaͤet und herrlich auferweckt. am 2ten Jenner 1775. [Abbildung] Erſte L 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/105
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/105>, abgerufen am 19.04.2024.