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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.

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IX. Fragment. 19. Zugabe. Von der Harmonie
Neunzehnte Zugabe.
Acht Umrisse.

Diese acht Umrisse sind unvollkommne Nachrisse von sogenannten Propheten, Aposteln, Heili-
gen etc. zu denen sich unten ein schwacher und ein verzerrter Kopf gesellt. Ganz eigentlich Loci
communes,
doch immer noch gut genug, um ein und die andre belehrende Anmerkung an die
Hand zu geben.

Die erste Anmerkung betrifft die Stirnen.

Sie sind überhaupt alle von sonderbarer Höhe.

Da die Stirne, nach der Natur des Menschen, und nach unzähligen Beobachtungen,
die jeder alle Augenblicke machen kann, das unverstellbarste, sicherste Monument, die Festung,
die Residenz, die Gränze des menschlichen Geistes ist, so werd ich alle Gelegenheit ergreifen,
einzelne, allgemeine und besondere Anmerkungen drüber darzulegen.

Jch kanns nicht genug wiederholen, daß ich nichts, in keinem Fache nichts Vollständi-
ges liefern kann, daß über jedes Glied ein Buch zu schreiben wäre; daß diese Arbeit nur Neben-
geschäfft für mich ist; daß ich also aus meinem kleinen Vorrathe von Beobachtungen hier oder
da, wo es die Gelegenheit mit sich bringt, was hervorbringen werde. Uebrigens werd ich dem
Leser durch ein ausführliches Register leicht machen, alles zu finden, woran ihm irgend etwas
gelegen seyn kann.

Diese Stirnen sind also von besonderer Höhe; -- alle zeugen von Stärke; aber nicht
alle sind edel.

Die Stirne des ersten ist nichts Außerordentliches; Aug und Augenbraunen, nicht
dumm, aber nicht edel; Haar und Bart ziemlich gut -- Nase sehr gemein -- die Entfernung
der Unterlippe von der Nase und ihr Umriß sicherlich -- unedel. --

Die zweyte Stirne für Moses und den langen Bart ebenfalls zu alltäglich, wie denn
überhaupt dieß zweyte Gesicht sehr gemein, die Nase ohn allen großen Character, das Auge schlecht
ist, und die Augbraunen erbärmlich sind.

Die
IX. Fragment. 19. Zugabe. Von der Harmonie
Neunzehnte Zugabe.
Acht Umriſſe.

Dieſe acht Umriſſe ſind unvollkommne Nachriſſe von ſogenannten Propheten, Apoſteln, Heili-
gen ꝛc. zu denen ſich unten ein ſchwacher und ein verzerrter Kopf geſellt. Ganz eigentlich Loci
communes,
doch immer noch gut genug, um ein und die andre belehrende Anmerkung an die
Hand zu geben.

Die erſte Anmerkung betrifft die Stirnen.

Sie ſind uͤberhaupt alle von ſonderbarer Hoͤhe.

Da die Stirne, nach der Natur des Menſchen, und nach unzaͤhligen Beobachtungen,
die jeder alle Augenblicke machen kann, das unverſtellbarſte, ſicherſte Monument, die Feſtung,
die Reſidenz, die Graͤnze des menſchlichen Geiſtes iſt, ſo werd ich alle Gelegenheit ergreifen,
einzelne, allgemeine und beſondere Anmerkungen druͤber darzulegen.

Jch kanns nicht genug wiederholen, daß ich nichts, in keinem Fache nichts Vollſtaͤndi-
ges liefern kann, daß uͤber jedes Glied ein Buch zu ſchreiben waͤre; daß dieſe Arbeit nur Neben-
geſchaͤfft fuͤr mich iſt; daß ich alſo aus meinem kleinen Vorrathe von Beobachtungen hier oder
da, wo es die Gelegenheit mit ſich bringt, was hervorbringen werde. Uebrigens werd ich dem
Leſer durch ein ausfuͤhrliches Regiſter leicht machen, alles zu finden, woran ihm irgend etwas
gelegen ſeyn kann.

Dieſe Stirnen ſind alſo von beſonderer Hoͤhe; — alle zeugen von Staͤrke; aber nicht
alle ſind edel.

Die Stirne des erſten iſt nichts Außerordentliches; Aug und Augenbraunen, nicht
dumm, aber nicht edel; Haar und Bart ziemlich gut — Naſe ſehr gemein — die Entfernung
der Unterlippe von der Naſe und ihr Umriß ſicherlich — unedel. —

Die zweyte Stirne fuͤr Moſes und den langen Bart ebenfalls zu alltaͤglich, wie denn
uͤberhaupt dieß zweyte Geſicht ſehr gemein, die Naſe ohn allen großen Character, das Auge ſchlecht
iſt, und die Augbraunen erbaͤrmlich ſind.

Die
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[124/0186] IX. Fragment. 19. Zugabe. Von der Harmonie Neunzehnte Zugabe. Acht Umriſſe. Dieſe acht Umriſſe ſind unvollkommne Nachriſſe von ſogenannten Propheten, Apoſteln, Heili- gen ꝛc. zu denen ſich unten ein ſchwacher und ein verzerrter Kopf geſellt. Ganz eigentlich Loci communes, doch immer noch gut genug, um ein und die andre belehrende Anmerkung an die Hand zu geben. Die erſte Anmerkung betrifft die Stirnen. Sie ſind uͤberhaupt alle von ſonderbarer Hoͤhe. Da die Stirne, nach der Natur des Menſchen, und nach unzaͤhligen Beobachtungen, die jeder alle Augenblicke machen kann, das unverſtellbarſte, ſicherſte Monument, die Feſtung, die Reſidenz, die Graͤnze des menſchlichen Geiſtes iſt, ſo werd ich alle Gelegenheit ergreifen, einzelne, allgemeine und beſondere Anmerkungen druͤber darzulegen. Jch kanns nicht genug wiederholen, daß ich nichts, in keinem Fache nichts Vollſtaͤndi- ges liefern kann, daß uͤber jedes Glied ein Buch zu ſchreiben waͤre; daß dieſe Arbeit nur Neben- geſchaͤfft fuͤr mich iſt; daß ich alſo aus meinem kleinen Vorrathe von Beobachtungen hier oder da, wo es die Gelegenheit mit ſich bringt, was hervorbringen werde. Uebrigens werd ich dem Leſer durch ein ausfuͤhrliches Regiſter leicht machen, alles zu finden, woran ihm irgend etwas gelegen ſeyn kann. Dieſe Stirnen ſind alſo von beſonderer Hoͤhe; — alle zeugen von Staͤrke; aber nicht alle ſind edel. Die Stirne des erſten iſt nichts Außerordentliches; Aug und Augenbraunen, nicht dumm, aber nicht edel; Haar und Bart ziemlich gut — Naſe ſehr gemein — die Entfernung der Unterlippe von der Naſe und ihr Umriß ſicherlich — unedel. — Die zweyte Stirne fuͤr Moſes und den langen Bart ebenfalls zu alltaͤglich, wie denn uͤberhaupt dieß zweyte Geſicht ſehr gemein, die Naſe ohn allen großen Character, das Auge ſchlecht iſt, und die Augbraunen erbaͤrmlich ſind. Die

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/186>, abgerufen am 19.04.2024.