Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite
zur Prüfung des physiognomischen Genies.
CC.
Ein züricherischer Landmann B.

Jch komme von Kleinjoggen auf einen andern Landmann aus meinem Vaterlande, der in
diesem Bilde außerordentlich kenntbar ist.

Ein Mann von der lebendigsten Thätigkeit; ein unternehmender, schnell, leicht und sicher
ausführender Geist -- der seinen Plan immer in der Ausführung verbessert, immer wegschafft,
herbeyschafft -- fortschafft -- den Kopf voll, die Hand voll -- hat; rechts und links wirkt,
winkt, gebietet, vorgeht, angreift, aus dem Wege räumt; es so -- dann so wendet, bis es ist,
was es seyn soll -- bis es da steht, vollendet auf den letzten Punkt, vom ersten tiefsten Funda-
mentstein an bis zur Wetterfahne des Thurms! -- Sieh! Er lächelt der Schwierigkeiten, und
liebäugelt den Hindernissen -- ohne verächtelnd herabzusehn: "Bin ich denn ein Hund, daß du
"mit Stecken zu mir kommst" -- weiß er's doch, fühlt's und darf's im Blick, in der errö-
thenden Wange sagen: Jch kann's -- Ha! wie sein schlagender Puls den ganzen Mann immer
bewegt -- wie er schnell und leicht herum schaut, wittert -- und sich wapnet: -- Jmmer ge-
genwärtig, und immer im Wirbel zerreissender Geschäffte -- Jmmer planmachend und planaus-
führend! Rath gebend! ordnend! darstellend!

Und nun bemerke den Umriß der offnen, freyen, heitern Stirne! den Vorbug derselben
voll Kraft und Lebensfülle! das tiefe denkende, rathschlagende Auge! --

Die Klugheit und das Feuer der Nase -- was Klugheit? wo seh ich die in der
Nase? -- Eh ich dir antworte, such erst ein halb Dutzend ähnliche Nasen und prüfe die, an de-
nen du sie findest, und findest du sie nicht klug, aber vergleiche wohl, und beobachte wohl, ob kein
widersprechender Zug, kein Zufall den Eindruck auslösche! -- Dann wiederhole deine Frage,
und ich will dir antworten; aber merke wohl -- Jch sage nicht: "Suche sechs Kluge -- und schau,
"ob sie nicht solche Nasen haben?" -- sondern ich sage: "Suche sechs solche Nasen und forsch,
"ob sie nicht an Klugen sind."

Auch lieb ich diese gefalteten, gekräuselten Backen; diese Falten an Mund und Kinne!
dieß Lächeln, das so gar nichts Süßes, Fades, Kraftleeres hat!

Bemerk'
zur Pruͤfung des phyſiognomiſchen Genies.
CC.
Ein zuͤricheriſcher Landmann B.

Jch komme von Kleinjoggen auf einen andern Landmann aus meinem Vaterlande, der in
dieſem Bilde außerordentlich kenntbar iſt.

Ein Mann von der lebendigſten Thaͤtigkeit; ein unternehmender, ſchnell, leicht und ſicher
ausfuͤhrender Geiſt — der ſeinen Plan immer in der Ausfuͤhrung verbeſſert, immer wegſchafft,
herbeyſchafft — fortſchafft — den Kopf voll, die Hand voll — hat; rechts und links wirkt,
winkt, gebietet, vorgeht, angreift, aus dem Wege raͤumt; es ſo — dann ſo wendet, bis es iſt,
was es ſeyn ſoll — bis es da ſteht, vollendet auf den letzten Punkt, vom erſten tiefſten Funda-
mentſtein an bis zur Wetterfahne des Thurms! — Sieh! Er laͤchelt der Schwierigkeiten, und
liebaͤugelt den Hinderniſſen — ohne veraͤchtelnd herabzuſehn: „Bin ich denn ein Hund, daß du
„mit Stecken zu mir kommſt“ — weiß er's doch, fuͤhlt's und darf's im Blick, in der erroͤ-
thenden Wange ſagen: Jch kann's — Ha! wie ſein ſchlagender Puls den ganzen Mann immer
bewegt — wie er ſchnell und leicht herum ſchaut, wittert — und ſich wapnet: — Jmmer ge-
genwaͤrtig, und immer im Wirbel zerreiſſender Geſchaͤffte — Jmmer planmachend und planaus-
fuͤhrend! Rath gebend! ordnend! darſtellend!

Und nun bemerke den Umriß der offnen, freyen, heitern Stirne! den Vorbug derſelben
voll Kraft und Lebensfuͤlle! das tiefe denkende, rathſchlagende Auge! —

Die Klugheit und das Feuer der Naſe — was Klugheit? wo ſeh ich die in der
Naſe? — Eh ich dir antworte, ſuch erſt ein halb Dutzend aͤhnliche Naſen und pruͤfe die, an de-
nen du ſie findeſt, und findeſt du ſie nicht klug, aber vergleiche wohl, und beobachte wohl, ob kein
widerſprechender Zug, kein Zufall den Eindruck ausloͤſche! — Dann wiederhole deine Frage,
und ich will dir antworten; aber merke wohl — Jch ſage nicht: „Suche ſechs Kluge — und ſchau,
„ob ſie nicht ſolche Naſen haben?“ — ſondern ich ſage: „Suche ſechs ſolche Naſen und forſch,
„ob ſie nicht an Klugen ſind.“

Auch lieb ich dieſe gefalteten, gekraͤuſelten Backen; dieſe Falten an Mund und Kinne!
dieß Laͤcheln, das ſo gar nichts Suͤßes, Fades, Kraftleeres hat!

Bemerk'
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0363" n="239"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">zur Pru&#x0364;fung des phy&#x017F;iognomi&#x017F;chen Genies.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">CC.</hi><lb/>
Ein zu&#x0364;richeri&#x017F;cher Landmann <hi rendition="#aq">B.</hi></hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">J</hi>ch komme von <hi rendition="#fr">Kleinjoggen</hi> auf einen andern Landmann aus meinem Vaterlande, der in<lb/>
die&#x017F;em Bilde außerordentlich kenntbar i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Ein Mann von der lebendig&#x017F;ten Tha&#x0364;tigkeit; ein unternehmender, &#x017F;chnell, leicht und &#x017F;icher<lb/>
ausfu&#x0364;hrender Gei&#x017F;t &#x2014; der &#x017F;einen Plan immer in der Ausfu&#x0364;hrung verbe&#x017F;&#x017F;ert, immer weg&#x017F;chafft,<lb/>
herbey&#x017F;chafft &#x2014; fort&#x017F;chafft &#x2014; den Kopf voll, die Hand voll &#x2014; hat; rechts und links wirkt,<lb/>
winkt, gebietet, vorgeht, angreift, aus dem Wege ra&#x0364;umt; es &#x017F;o &#x2014; dann &#x017F;o wendet, bis es i&#x017F;t,<lb/>
was es &#x017F;eyn &#x017F;oll &#x2014; bis es da &#x017F;teht, vollendet auf den letzten Punkt, vom er&#x017F;ten tief&#x017F;ten Funda-<lb/>
ment&#x017F;tein an bis zur Wetterfahne des Thurms! &#x2014; Sieh! Er la&#x0364;chelt der Schwierigkeiten, und<lb/>
lieba&#x0364;ugelt den Hinderni&#x017F;&#x017F;en &#x2014; ohne vera&#x0364;chtelnd herabzu&#x017F;ehn: &#x201E;Bin ich denn ein Hund, daß du<lb/>
&#x201E;mit Stecken zu mir komm&#x017F;t&#x201C; &#x2014; weiß er's doch, fu&#x0364;hlt's und darf's im Blick, in der erro&#x0364;-<lb/>
thenden Wange &#x017F;agen: Jch kann's &#x2014; Ha! wie &#x017F;ein &#x017F;chlagender Puls den ganzen Mann immer<lb/>
bewegt &#x2014; wie er &#x017F;chnell und leicht herum &#x017F;chaut, wittert &#x2014; und &#x017F;ich wapnet: &#x2014; Jmmer ge-<lb/>
genwa&#x0364;rtig, und immer im Wirbel zerrei&#x017F;&#x017F;ender Ge&#x017F;cha&#x0364;ffte &#x2014; Jmmer planmachend und planaus-<lb/>
fu&#x0364;hrend! Rath gebend! ordnend! dar&#x017F;tellend!</p><lb/>
            <p>Und nun bemerke den Umriß der offnen, freyen, heitern Stirne! den Vorbug der&#x017F;elben<lb/>
voll Kraft und Lebensfu&#x0364;lle! das tiefe denkende, rath&#x017F;chlagende Auge! &#x2014;</p><lb/>
            <p>Die <hi rendition="#fr">Klugheit</hi> und das <hi rendition="#fr">Feuer</hi> der Na&#x017F;e &#x2014; was Klugheit? wo &#x017F;eh ich die in der<lb/>
Na&#x017F;e? &#x2014; Eh ich dir antworte, &#x017F;uch er&#x017F;t ein halb Dutzend a&#x0364;hnliche Na&#x017F;en und pru&#x0364;fe die, an de-<lb/>
nen du &#x017F;ie finde&#x017F;t, und finde&#x017F;t du &#x017F;ie nicht klug, aber vergleiche wohl, und beobachte wohl, ob kein<lb/><hi rendition="#fr">wider&#x017F;prechender</hi> Zug, kein Zufall den Eindruck auslo&#x0364;&#x017F;che! &#x2014; Dann wiederhole deine Frage,<lb/>
und ich will dir antworten; aber merke wohl &#x2014; Jch &#x017F;age nicht: &#x201E;Suche &#x017F;echs Kluge &#x2014; und &#x017F;chau,<lb/>
&#x201E;ob &#x017F;ie nicht &#x017F;olche Na&#x017F;en haben?&#x201C; &#x2014; &#x017F;ondern ich &#x017F;age: &#x201E;Suche &#x017F;echs &#x017F;olche Na&#x017F;en und for&#x017F;ch,<lb/>
&#x201E;ob &#x017F;ie nicht an Klugen &#x017F;ind.&#x201C;</p><lb/>
            <p>Auch lieb ich die&#x017F;e gefalteten, gekra&#x0364;u&#x017F;elten Backen; die&#x017F;e Falten an Mund und Kinne!<lb/>
dieß La&#x0364;cheln, das &#x017F;o gar nichts Su&#x0364;ßes, Fades, Kraftleeres hat!</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Bemerk'</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0363] zur Pruͤfung des phyſiognomiſchen Genies. CC. Ein zuͤricheriſcher Landmann B. Jch komme von Kleinjoggen auf einen andern Landmann aus meinem Vaterlande, der in dieſem Bilde außerordentlich kenntbar iſt. Ein Mann von der lebendigſten Thaͤtigkeit; ein unternehmender, ſchnell, leicht und ſicher ausfuͤhrender Geiſt — der ſeinen Plan immer in der Ausfuͤhrung verbeſſert, immer wegſchafft, herbeyſchafft — fortſchafft — den Kopf voll, die Hand voll — hat; rechts und links wirkt, winkt, gebietet, vorgeht, angreift, aus dem Wege raͤumt; es ſo — dann ſo wendet, bis es iſt, was es ſeyn ſoll — bis es da ſteht, vollendet auf den letzten Punkt, vom erſten tiefſten Funda- mentſtein an bis zur Wetterfahne des Thurms! — Sieh! Er laͤchelt der Schwierigkeiten, und liebaͤugelt den Hinderniſſen — ohne veraͤchtelnd herabzuſehn: „Bin ich denn ein Hund, daß du „mit Stecken zu mir kommſt“ — weiß er's doch, fuͤhlt's und darf's im Blick, in der erroͤ- thenden Wange ſagen: Jch kann's — Ha! wie ſein ſchlagender Puls den ganzen Mann immer bewegt — wie er ſchnell und leicht herum ſchaut, wittert — und ſich wapnet: — Jmmer ge- genwaͤrtig, und immer im Wirbel zerreiſſender Geſchaͤffte — Jmmer planmachend und planaus- fuͤhrend! Rath gebend! ordnend! darſtellend! Und nun bemerke den Umriß der offnen, freyen, heitern Stirne! den Vorbug derſelben voll Kraft und Lebensfuͤlle! das tiefe denkende, rathſchlagende Auge! — Die Klugheit und das Feuer der Naſe — was Klugheit? wo ſeh ich die in der Naſe? — Eh ich dir antworte, ſuch erſt ein halb Dutzend aͤhnliche Naſen und pruͤfe die, an de- nen du ſie findeſt, und findeſt du ſie nicht klug, aber vergleiche wohl, und beobachte wohl, ob kein widerſprechender Zug, kein Zufall den Eindruck ausloͤſche! — Dann wiederhole deine Frage, und ich will dir antworten; aber merke wohl — Jch ſage nicht: „Suche ſechs Kluge — und ſchau, „ob ſie nicht ſolche Naſen haben?“ — ſondern ich ſage: „Suche ſechs ſolche Naſen und forſch, „ob ſie nicht an Klugen ſind.“ Auch lieb ich dieſe gefalteten, gekraͤuſelten Backen; dieſe Falten an Mund und Kinne! dieß Laͤcheln, das ſo gar nichts Suͤßes, Fades, Kraftleeres hat! Bemerk'

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/363
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/363>, abgerufen am 04.10.2024.