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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775.

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XVII. Fragment. Physiognomische Uebungen
MM.
Ein Profilporträt eines jungen Genies.

Verzeihe mir -- mein Lieber, daß ich dein so unvollkommnes Bild meinen Versuchen einver-
leibe! Fürchte dich nicht, daß ich dem Originale nicht werde Gerechtigkeit wiederfahren lassen. --
So tief unfreundlich, so dürr verachtend, so unerbittlich siehst du gewiß nie, oder äußerst sel-
ten aus! --

So viel Leben, und Witz, und Feuer und Geist und Kraft des Originals kann diese
furchtbare Trockenheit des Mundes nicht gestatten!

So unvollkommen indeß dieß Bild seyn mag, so wenig es von der morgenröthlichen Farbe,
dem witzreichen festen Lächeln, dem leichtschöpferischen fertigen Geiste des Originals hat; -- so
viel Aehnlichkeit hat's doch immer noch -- große, feste, unbewegliche Kraft, eisernen Muth, stolze
Verachtung des Unsinns und der Blödigkeit anderer, edle Hartnäckigkeit, Gefühl seiner Selbst
tiefdringendes, festhaltendes Genie auszudrücken.

So ein Gesicht läßt sich so leicht nichts angeben; nimmt nichts Abgefallenes auf; spricht
nicht ehrfurchtsvoll nach, was ein Gebieter vorspricht; es steht und geht und wirkt für sich selber!
Jn und durch sich selber! Dringt zur Rechten! zur Linken! vorwärts -- läßt sich nie zurückdrängen!

Weh dem, der diese Kraft beleidigt! wohl dem, den sie in ihren Schutz nimmt! Sie lächelt
unaussprechlich anmuthig, wenn die heitere Laune kömmt; und sie kömmt, so oft sie vollendet hat
und anschaut das Werk ihrer selbst, das sie herausgestellt ins Licht der Bewunderung.

Dieses Auge! o du solltest's in der Natur sehn! Stern des Genies! schneidende Kraft des
Blitzes! nicht des langsamen operosen Forschers!

Solch eine Nase mit dieser durch die Schatten ziemlich gut ausgedrückten eckigten Be-
stimmtheit wirst du eher -- an Menschen, die verachten können, als die sich durch Dummheit
verächtlich machen, finden.

Das Ohr mit diesem eckigten Ausschnitt zeigt einen starken, entschloßnen, festen, muthigen,
athletischen Mann, der den seichten Bewundrer oder Tadler zertrümmern kann.

Das folgende Blatt zeigt eben den Mann im Umriß und in der Silhouette.

Allenthalben derselbe Muth, dieselbe Festigkeit in der ungebognen Felsenstirne!

Der Umriß zeigt erstaunlich viel Genie! Er hat mehr Eckigtes, als das schattirte Porträt.

Jn beyden ist zu viel Sattheit ausgedrückt.

Die Silhouette, mithin der wahrheitreichste Umriß, hat mehr Edles und Liebliches, als
die beyden andern Zeichnungen.

Die
XVII. Fragment. Phyſiognomiſche Uebungen
MM.
Ein Profilportraͤt eines jungen Genies.

Verzeihe mir — mein Lieber, daß ich dein ſo unvollkommnes Bild meinen Verſuchen einver-
leibe! Fuͤrchte dich nicht, daß ich dem Originale nicht werde Gerechtigkeit wiederfahren laſſen. —
So tief unfreundlich, ſo duͤrr verachtend, ſo unerbittlich ſiehſt du gewiß nie, oder aͤußerſt ſel-
ten aus! —

So viel Leben, und Witz, und Feuer und Geiſt und Kraft des Originals kann dieſe
furchtbare Trockenheit des Mundes nicht geſtatten!

So unvollkommen indeß dieß Bild ſeyn mag, ſo wenig es von der morgenroͤthlichen Farbe,
dem witzreichen feſten Laͤcheln, dem leichtſchoͤpferiſchen fertigen Geiſte des Originals hat; — ſo
viel Aehnlichkeit hat's doch immer noch — große, feſte, unbewegliche Kraft, eiſernen Muth, ſtolze
Verachtung des Unſinns und der Bloͤdigkeit anderer, edle Hartnaͤckigkeit, Gefuͤhl ſeiner Selbſt
tiefdringendes, feſthaltendes Genie auszudruͤcken.

So ein Geſicht laͤßt ſich ſo leicht nichts angeben; nimmt nichts Abgefallenes auf; ſpricht
nicht ehrfurchtsvoll nach, was ein Gebieter vorſpricht; es ſteht und geht und wirkt fuͤr ſich ſelber!
Jn und durch ſich ſelber! Dringt zur Rechten! zur Linken! vorwaͤrts — laͤßt ſich nie zuruͤckdraͤngen!

Weh dem, der dieſe Kraft beleidigt! wohl dem, den ſie in ihren Schutz nimmt! Sie laͤchelt
unausſprechlich anmuthig, wenn die heitere Laune koͤmmt; und ſie koͤmmt, ſo oft ſie vollendet hat
und anſchaut das Werk ihrer ſelbſt, das ſie herausgeſtellt ins Licht der Bewunderung.

Dieſes Auge! o du ſollteſt's in der Natur ſehn! Stern des Genies! ſchneidende Kraft des
Blitzes! nicht des langſamen operoſen Forſchers!

Solch eine Naſe mit dieſer durch die Schatten ziemlich gut ausgedruͤckten eckigten Be-
ſtimmtheit wirſt du eher — an Menſchen, die verachten koͤnnen, als die ſich durch Dummheit
veraͤchtlich machen, finden.

Das Ohr mit dieſem eckigten Ausſchnitt zeigt einen ſtarken, entſchloßnen, feſten, muthigen,
athletiſchen Mann, der den ſeichten Bewundrer oder Tadler zertruͤmmern kann.

Das folgende Blatt zeigt eben den Mann im Umriß und in der Silhouette.

Allenthalben derſelbe Muth, dieſelbe Feſtigkeit in der ungebognen Felſenſtirne!

Der Umriß zeigt erſtaunlich viel Genie! Er hat mehr Eckigtes, als das ſchattirte Portraͤt.

Jn beyden iſt zu viel Sattheit ausgedruͤckt.

Die Silhouette, mithin der wahrheitreichſte Umriß, hat mehr Edles und Liebliches, als
die beyden andern Zeichnungen.

Die
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[258/0408] XVII. Fragment. Phyſiognomiſche Uebungen MM. Ein Profilportraͤt eines jungen Genies. Verzeihe mir — mein Lieber, daß ich dein ſo unvollkommnes Bild meinen Verſuchen einver- leibe! Fuͤrchte dich nicht, daß ich dem Originale nicht werde Gerechtigkeit wiederfahren laſſen. — So tief unfreundlich, ſo duͤrr verachtend, ſo unerbittlich ſiehſt du gewiß nie, oder aͤußerſt ſel- ten aus! — So viel Leben, und Witz, und Feuer und Geiſt und Kraft des Originals kann dieſe furchtbare Trockenheit des Mundes nicht geſtatten! So unvollkommen indeß dieß Bild ſeyn mag, ſo wenig es von der morgenroͤthlichen Farbe, dem witzreichen feſten Laͤcheln, dem leichtſchoͤpferiſchen fertigen Geiſte des Originals hat; — ſo viel Aehnlichkeit hat's doch immer noch — große, feſte, unbewegliche Kraft, eiſernen Muth, ſtolze Verachtung des Unſinns und der Bloͤdigkeit anderer, edle Hartnaͤckigkeit, Gefuͤhl ſeiner Selbſt tiefdringendes, feſthaltendes Genie auszudruͤcken. So ein Geſicht laͤßt ſich ſo leicht nichts angeben; nimmt nichts Abgefallenes auf; ſpricht nicht ehrfurchtsvoll nach, was ein Gebieter vorſpricht; es ſteht und geht und wirkt fuͤr ſich ſelber! Jn und durch ſich ſelber! Dringt zur Rechten! zur Linken! vorwaͤrts — laͤßt ſich nie zuruͤckdraͤngen! Weh dem, der dieſe Kraft beleidigt! wohl dem, den ſie in ihren Schutz nimmt! Sie laͤchelt unausſprechlich anmuthig, wenn die heitere Laune koͤmmt; und ſie koͤmmt, ſo oft ſie vollendet hat und anſchaut das Werk ihrer ſelbſt, das ſie herausgeſtellt ins Licht der Bewunderung. Dieſes Auge! o du ſollteſt's in der Natur ſehn! Stern des Genies! ſchneidende Kraft des Blitzes! nicht des langſamen operoſen Forſchers! Solch eine Naſe mit dieſer durch die Schatten ziemlich gut ausgedruͤckten eckigten Be- ſtimmtheit wirſt du eher — an Menſchen, die verachten koͤnnen, als die ſich durch Dummheit veraͤchtlich machen, finden. Das Ohr mit dieſem eckigten Ausſchnitt zeigt einen ſtarken, entſchloßnen, feſten, muthigen, athletiſchen Mann, der den ſeichten Bewundrer oder Tadler zertruͤmmern kann. Das folgende Blatt zeigt eben den Mann im Umriß und in der Silhouette. Allenthalben derſelbe Muth, dieſelbe Feſtigkeit in der ungebognen Felſenſtirne! Der Umriß zeigt erſtaunlich viel Genie! Er hat mehr Eckigtes, als das ſchattirte Portraͤt. Jn beyden iſt zu viel Sattheit ausgedruͤckt. Die Silhouette, mithin der wahrheitreichſte Umriß, hat mehr Edles und Liebliches, als die beyden andern Zeichnungen. Die

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/408>, abgerufen am 28.03.2024.