Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

Bild:
<< vorherige Seite
Schattenrissen sehen lasse.
Achte Tafel.
Vier weibliche Silhouetten.

Wir haben eben einen der höchsten weiblichen Charaktere betrachtet; laßt uns nun herabsteigen
zu gemeinern.

Diese 4. weiblichen Silhouetten sind 4. Stufen Eines Charakters.

Die erste -- Charakter unüberlegender gutmüthiger Kindheit.

Die zweyte -- derselbe Charakter, nur stärker -- fräulicher, ohn' einen Zusatz von
Männlichkeit, und schwächer, als 1. in demselben Alter seyn wird.

Die dritte -- herzliche Güte -- mit viel empfänglichem Verstande, mehr Jmagina-
tion, und ergiebiger Beredsamkeit.

Die vierte -- die denkendste, geschickteste, festeste.

Vier Grade von Lenksamkeit. -- Wer sieht nicht, daß 4. mehr Widerstehenskraft hat,
als 3. -- 3 mehr als 2. -- 2 mehr als 1. -- 1 itzo nämlich. Nie aber wird 1 -- die Wi-
derstehenskraft von 4 haben, wenn auch das Alter dasselbe wäre.

1. -- Nimmt ohn' Jnteresse an, giebt ohn' Jnteresse aus. Lebt ohne Prätension --
wird viele Geschicklichkeiten erlangen, lernt leicht, versteht richtig, aber wird sehr lange eine Tink-
tur von Kindheit behalten.

2. -- Ein nicht so ganz prätensionsloses, gutes, gemein verständiges Gesicht. -- Ein
reiner weiblicher alltäglicher Charakter ohn' alle Schnellkraft.

3. und 4.
P 2
Schattenriſſen ſehen laſſe.
Achte Tafel.
Vier weibliche Silhouetten.

Wir haben eben einen der hoͤchſten weiblichen Charaktere betrachtet; laßt uns nun herabſteigen
zu gemeinern.

Dieſe 4. weiblichen Silhouetten ſind 4. Stufen Eines Charakters.

Die erſte — Charakter unuͤberlegender gutmuͤthiger Kindheit.

Die zweyte — derſelbe Charakter, nur ſtaͤrker — fraͤulicher, ohn’ einen Zuſatz von
Maͤnnlichkeit, und ſchwaͤcher, als 1. in demſelben Alter ſeyn wird.

Die dritte — herzliche Guͤte — mit viel empfaͤnglichem Verſtande, mehr Jmagina-
tion, und ergiebiger Beredſamkeit.

Die vierte — die denkendſte, geſchickteſte, feſteſte.

Vier Grade von Lenkſamkeit. — Wer ſieht nicht, daß 4. mehr Widerſtehenskraft hat,
als 3. — 3 mehr als 2. — 2 mehr als 1. — 1 itzo naͤmlich. Nie aber wird 1 — die Wi-
derſtehenskraft von 4 haben, wenn auch das Alter daſſelbe waͤre.

1. — Nimmt ohn’ Jntereſſe an, giebt ohn’ Jntereſſe aus. Lebt ohne Praͤtenſion —
wird viele Geſchicklichkeiten erlangen, lernt leicht, verſteht richtig, aber wird ſehr lange eine Tink-
tur von Kindheit behalten.

2. — Ein nicht ſo ganz praͤtenſionsloſes, gutes, gemein verſtaͤndiges Geſicht. — Ein
reiner weiblicher alltaͤglicher Charakter ohn’ alle Schnellkraft.

3. und 4.
P 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <pb facs="#f0159" n="115"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Schattenri&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ehen la&#x017F;&#x017F;e.</hi> </fw><lb/>
        <div n="3">
          <head> <hi rendition="#g"> <hi rendition="#fr">Achte Tafel.</hi><lb/> <hi rendition="#b">Vier weibliche Silhouetten.</hi> </hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">W</hi>ir haben eben einen der ho&#x0364;ch&#x017F;ten weiblichen Charaktere betrachtet; laßt uns nun herab&#x017F;teigen<lb/>
zu gemeinern.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e 4. weiblichen Silhouetten &#x017F;ind 4. Stufen Eines Charakters.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#fr">er&#x017F;te</hi> &#x2014; Charakter unu&#x0364;berlegender gutmu&#x0364;thiger <hi rendition="#fr">Kindheit.</hi></p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#fr">zweyte</hi> &#x2014; der&#x017F;elbe Charakter, nur &#x017F;ta&#x0364;rker &#x2014; fra&#x0364;ulicher, ohn&#x2019; einen Zu&#x017F;atz von<lb/>
Ma&#x0364;nnlichkeit, und &#x017F;chwa&#x0364;cher, als 1. in dem&#x017F;elben Alter &#x017F;eyn wird.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#fr">dritte</hi> &#x2014; herzliche Gu&#x0364;te &#x2014; mit viel empfa&#x0364;nglichem Ver&#x017F;tande, mehr Jmagina-<lb/>
tion, und ergiebiger Bered&#x017F;amkeit.</p><lb/>
          <p>Die <hi rendition="#fr">vierte</hi> &#x2014; die denkend&#x017F;te, ge&#x017F;chickte&#x017F;te, fe&#x017F;te&#x017F;te.</p><lb/>
          <p>Vier Grade von Lenk&#x017F;amkeit. &#x2014; Wer &#x017F;ieht nicht, daß 4. mehr Wider&#x017F;tehenskraft hat,<lb/>
als 3. &#x2014; 3 mehr als 2. &#x2014; 2 mehr als 1. &#x2014; 1 itzo na&#x0364;mlich. Nie aber wird 1 &#x2014; die Wi-<lb/>
der&#x017F;tehenskraft von 4 haben, wenn auch das Alter da&#x017F;&#x017F;elbe wa&#x0364;re.</p><lb/>
          <p>1. &#x2014; Nimmt ohn&#x2019; Jntere&#x017F;&#x017F;e an, giebt ohn&#x2019; Jntere&#x017F;&#x017F;e aus. Lebt ohne Pra&#x0364;ten&#x017F;ion &#x2014;<lb/>
wird viele Ge&#x017F;chicklichkeiten erlangen, lernt leicht, ver&#x017F;teht richtig, aber wird &#x017F;ehr lange eine Tink-<lb/>
tur von Kindheit behalten.</p><lb/>
          <p>2. &#x2014; Ein nicht &#x017F;o ganz pra&#x0364;ten&#x017F;ionslo&#x017F;es, gutes, gemein ver&#x017F;ta&#x0364;ndiges Ge&#x017F;icht. &#x2014; Ein<lb/>
reiner weiblicher allta&#x0364;glicher Charakter ohn&#x2019; alle Schnellkraft.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">P 2</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">3. und 4.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0159] Schattenriſſen ſehen laſſe. Achte Tafel. Vier weibliche Silhouetten. Wir haben eben einen der hoͤchſten weiblichen Charaktere betrachtet; laßt uns nun herabſteigen zu gemeinern. Dieſe 4. weiblichen Silhouetten ſind 4. Stufen Eines Charakters. Die erſte — Charakter unuͤberlegender gutmuͤthiger Kindheit. Die zweyte — derſelbe Charakter, nur ſtaͤrker — fraͤulicher, ohn’ einen Zuſatz von Maͤnnlichkeit, und ſchwaͤcher, als 1. in demſelben Alter ſeyn wird. Die dritte — herzliche Guͤte — mit viel empfaͤnglichem Verſtande, mehr Jmagina- tion, und ergiebiger Beredſamkeit. Die vierte — die denkendſte, geſchickteſte, feſteſte. Vier Grade von Lenkſamkeit. — Wer ſieht nicht, daß 4. mehr Widerſtehenskraft hat, als 3. — 3 mehr als 2. — 2 mehr als 1. — 1 itzo naͤmlich. Nie aber wird 1 — die Wi- derſtehenskraft von 4 haben, wenn auch das Alter daſſelbe waͤre. 1. — Nimmt ohn’ Jntereſſe an, giebt ohn’ Jntereſſe aus. Lebt ohne Praͤtenſion — wird viele Geſchicklichkeiten erlangen, lernt leicht, verſteht richtig, aber wird ſehr lange eine Tink- tur von Kindheit behalten. 2. — Ein nicht ſo ganz praͤtenſionsloſes, gutes, gemein verſtaͤndiges Geſicht. — Ein reiner weiblicher alltaͤglicher Charakter ohn’ alle Schnellkraft. 3. und 4. P 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/159
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/159>, abgerufen am 24.04.2024.