Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite
So wiegt der Bursche seine Maid',
Bevor mit ihr zum Tanz er fliegt.--
Der eine von den Freunden sann
Hinunter in den Wogendrang,
Und seine Stimme nun begann
Zu tönen, ernst, wie Grabgesang:
Vergänglichkeit! wie rauschen deine Wellen
Durch's weite Labyrinth des Lebens fort!
In deine Wirbel flüchten alle Quellen,
Dir baut kein Damm entgegen sich, kein Hort!
Es wächst dein Strom mit jeglicher Minute,
Stets lauter klagt der dumpfe Wellenschlag;
Doch wie die Fluth auch unaufhaltsam fluthe,
Ist Mancher doch, der sie nicht hören mag.
Wenn auch die Wellen ihre Ufer fressen,
Und du zum Meer hinwucherst, unermessen;
Doch steh'n an deinem Ufer frohe Thoren,
In ihren Traum "Unsterblichkeit" verloren.
Am Ufer? -- nein! es ist von deinem Bronnen
Tiefinnerst jede Creatur durchronnen;
Es braust in meines Herzens wildem Takt,
Vergänglichkeit, dein lauter Katarakt!
Wenn ich dem Strome zu entfliehen meine,
Aufblickend zu der Sterne hellem Scheine,
So wiegt der Burſche ſeine Maid',
Bevor mit ihr zum Tanz er fliegt.—
Der eine von den Freunden ſann
Hinunter in den Wogendrang,
Und ſeine Stimme nun begann
Zu toͤnen, ernſt, wie Grabgeſang:
Vergaͤnglichkeit! wie rauſchen deine Wellen
Durch's weite Labyrinth des Lebens fort!
In deine Wirbel fluͤchten alle Quellen,
Dir baut kein Damm entgegen ſich, kein Hort!
Es waͤchſt dein Strom mit jeglicher Minute,
Stets lauter klagt der dumpfe Wellenſchlag;
Doch wie die Fluth auch unaufhaltſam fluthe,
Iſt Mancher doch, der ſie nicht hoͤren mag.
Wenn auch die Wellen ihre Ufer freſſen,
Und du zum Meer hinwucherſt, unermeſſen;
Doch ſteh'n an deinem Ufer frohe Thoren,
In ihren Traum „Unſterblichkeit“ verloren.
Am Ufer? — nein! es iſt von deinem Bronnen
Tiefinnerſt jede Creatur durchronnen;
Es brauſt in meines Herzens wildem Takt,
Vergaͤnglichkeit, dein lauter Katarakt!
Wenn ich dem Strome zu entfliehen meine,
Aufblickend zu der Sterne hellem Scheine,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0183" n="169"/>
            <l>So wiegt der Bur&#x017F;che &#x017F;eine Maid',</l><lb/>
            <l>Bevor mit ihr zum Tanz er fliegt.&#x2014;</l><lb/>
            <l>Der eine von den Freunden &#x017F;ann</l><lb/>
            <l>Hinunter in den Wogendrang,</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;eine Stimme nun begann</l><lb/>
            <l>Zu to&#x0364;nen, ern&#x017F;t, wie Grabge&#x017F;ang:</l><lb/>
            <l>Verga&#x0364;nglichkeit! wie rau&#x017F;chen deine Wellen</l><lb/>
            <l>Durch's weite Labyrinth des Lebens fort!</l><lb/>
            <l>In deine Wirbel flu&#x0364;chten alle Quellen,</l><lb/>
            <l>Dir baut kein Damm entgegen &#x017F;ich, kein Hort!</l><lb/>
            <l>Es wa&#x0364;ch&#x017F;t dein Strom mit jeglicher Minute,</l><lb/>
            <l>Stets lauter klagt der dumpfe Wellen&#x017F;chlag;</l><lb/>
            <l>Doch wie die Fluth auch unaufhalt&#x017F;am fluthe,</l><lb/>
            <l>I&#x017F;t Mancher doch, der &#x017F;ie nicht ho&#x0364;ren mag.</l><lb/>
            <l>Wenn auch die Wellen ihre Ufer fre&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>Und du zum Meer hinwucher&#x017F;t, unerme&#x017F;&#x017F;en;</l><lb/>
            <l>Doch &#x017F;teh'n an deinem Ufer frohe Thoren,</l><lb/>
            <l>In ihren Traum &#x201E;Un&#x017F;terblichkeit&#x201C; verloren.</l><lb/>
            <l>Am Ufer? &#x2014; nein! es i&#x017F;t von deinem Bronnen</l><lb/>
            <l>Tiefinner&#x017F;t jede Creatur durchronnen;</l><lb/>
            <l>Es brau&#x017F;t in meines Herzens wildem Takt,</l><lb/>
            <l>Verga&#x0364;nglichkeit, dein lauter Katarakt!</l><lb/>
            <l>Wenn ich dem Strome zu entfliehen meine,</l><lb/>
            <l>Aufblickend zu der Sterne hellem Scheine,</l><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[169/0183] So wiegt der Burſche ſeine Maid', Bevor mit ihr zum Tanz er fliegt.— Der eine von den Freunden ſann Hinunter in den Wogendrang, Und ſeine Stimme nun begann Zu toͤnen, ernſt, wie Grabgeſang: Vergaͤnglichkeit! wie rauſchen deine Wellen Durch's weite Labyrinth des Lebens fort! In deine Wirbel fluͤchten alle Quellen, Dir baut kein Damm entgegen ſich, kein Hort! Es waͤchſt dein Strom mit jeglicher Minute, Stets lauter klagt der dumpfe Wellenſchlag; Doch wie die Fluth auch unaufhaltſam fluthe, Iſt Mancher doch, der ſie nicht hoͤren mag. Wenn auch die Wellen ihre Ufer freſſen, Und du zum Meer hinwucherſt, unermeſſen; Doch ſteh'n an deinem Ufer frohe Thoren, In ihren Traum „Unſterblichkeit“ verloren. Am Ufer? — nein! es iſt von deinem Bronnen Tiefinnerſt jede Creatur durchronnen; Es brauſt in meines Herzens wildem Takt, Vergaͤnglichkeit, dein lauter Katarakt! Wenn ich dem Strome zu entfliehen meine, Aufblickend zu der Sterne hellem Scheine,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832/183
Zitationshilfe: Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenau_gedichte_1832/183>, abgerufen am 03.05.2024.