Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite
nien einerley Veränderung der Instrumente an-
wendet. Es ist allemal besser und angenehmer,
wenn man diesen Uebelstand vermeidet."

Dieses sind die wichtigsten Regeln, um auch
hier die Tonkunst und Poesie in eine genauere
Verbindung zu bringen. Ich habe sie lieber
mit den Worten eines Tonkünstlers, und zwar
desjenigen vortragen wollen, der sich die Ehre
der Erfindung anmaßen kann, als mit meinen.
Denn die Dichter und Kunstrichter bekommen
nicht selten von den Musicis den Vorwurf, daß
sie weit mehr von ihnen erwarten und verlangen,
als die Kunst zu leisten im Stande sey. Die
mehresten müssen es von ihren Kunstverwandten
erst hören, daß die Sache zu bewerkstelligen ist,
ehe sie die geringste Aufmerksamkeit darauf wen-
den.

Zwar die Regeln selbst waren leicht zu machen;
sie lehren nur was geschehen soll, ohne zu sagen,
wie es geschehen kann. Der Ausdruck der Lei-
denschaften, auf welchen alles dabey ankömmt,
ist noch einzig das Werk des Genies. Denn ob
es schon Tonkünstler giebt und gegeben, die bis
zur Bewunderung darinn glücklich sind, so man-
gelt es doch unstreitig noch an einem Philosophen,
der ihnen die Wege abgelernt, und allgemeine
Grundsätze aus ihren Beyspielen hergeleitet
hätte. Aber je häufiger diese Beyspiele werden,
je mehr sich die Materialien zu dieser Herleitung

sam-
nien einerley Veraͤnderung der Inſtrumente an-
wendet. Es iſt allemal beſſer und angenehmer,
wenn man dieſen Uebelſtand vermeidet.〟

Dieſes ſind die wichtigſten Regeln, um auch
hier die Tonkunſt und Poeſie in eine genauere
Verbindung zu bringen. Ich habe ſie lieber
mit den Worten eines Tonkuͤnſtlers, und zwar
desjenigen vortragen wollen, der ſich die Ehre
der Erfindung anmaßen kann, als mit meinen.
Denn die Dichter und Kunſtrichter bekommen
nicht ſelten von den Muſicis den Vorwurf, daß
ſie weit mehr von ihnen erwarten und verlangen,
als die Kunſt zu leiſten im Stande ſey. Die
mehreſten muͤſſen es von ihren Kunſtverwandten
erſt hoͤren, daß die Sache zu bewerkſtelligen iſt,
ehe ſie die geringſte Aufmerkſamkeit darauf wen-
den.

Zwar die Regeln ſelbſt waren leicht zu machen;
ſie lehren nur was geſchehen ſoll, ohne zu ſagen,
wie es geſchehen kann. Der Ausdruck der Lei-
denſchaften, auf welchen alles dabey ankoͤmmt,
iſt noch einzig das Werk des Genies. Denn ob
es ſchon Tonkuͤnſtler giebt und gegeben, die bis
zur Bewunderung darinn gluͤcklich ſind, ſo man-
gelt es doch unſtreitig noch an einem Philoſophen,
der ihnen die Wege abgelernt, und allgemeine
Grundſaͤtze aus ihren Beyſpielen hergeleitet
haͤtte. Aber je haͤufiger dieſe Beyſpiele werden,
je mehr ſich die Materialien zu dieſer Herleitung

ſam-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <cit>
          <quote><pb facs="#f0221" n="207"/>
nien einerley Vera&#x0364;nderung der In&#x017F;trumente an-<lb/>
wendet. Es i&#x017F;t allemal be&#x017F;&#x017F;er und angenehmer,<lb/>
wenn man die&#x017F;en Uebel&#x017F;tand vermeidet.&#x301F;</quote>
        </cit><lb/>
        <p>Die&#x017F;es &#x017F;ind die wichtig&#x017F;ten Regeln, um auch<lb/>
hier die Tonkun&#x017F;t und Poe&#x017F;ie in eine genauere<lb/>
Verbindung zu bringen. Ich habe &#x017F;ie lieber<lb/>
mit den Worten eines Tonku&#x0364;n&#x017F;tlers, und zwar<lb/>
desjenigen vortragen wollen, der &#x017F;ich die Ehre<lb/>
der Erfindung anmaßen kann, als mit meinen.<lb/>
Denn die Dichter und Kun&#x017F;trichter bekommen<lb/>
nicht &#x017F;elten von den Mu&#x017F;icis den Vorwurf, daß<lb/>
&#x017F;ie weit mehr von ihnen erwarten und verlangen,<lb/>
als die Kun&#x017F;t zu lei&#x017F;ten im Stande &#x017F;ey. Die<lb/>
mehre&#x017F;ten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en es von ihren Kun&#x017F;tverwandten<lb/>
er&#x017F;t ho&#x0364;ren, daß die Sache zu bewerk&#x017F;telligen i&#x017F;t,<lb/>
ehe &#x017F;ie die gering&#x017F;te Aufmerk&#x017F;amkeit darauf wen-<lb/>
den.</p><lb/>
        <p>Zwar die Regeln &#x017F;elb&#x017F;t waren leicht zu machen;<lb/>
&#x017F;ie lehren nur was ge&#x017F;chehen &#x017F;oll, ohne zu &#x017F;agen,<lb/>
wie es ge&#x017F;chehen kann. Der Ausdruck der Lei-<lb/>
den&#x017F;chaften, auf welchen alles dabey anko&#x0364;mmt,<lb/>
i&#x017F;t noch einzig das Werk des Genies. Denn ob<lb/>
es &#x017F;chon Tonku&#x0364;n&#x017F;tler giebt und gegeben, die bis<lb/>
zur Bewunderung darinn glu&#x0364;cklich &#x017F;ind, &#x017F;o man-<lb/>
gelt es doch un&#x017F;treitig noch an einem Philo&#x017F;ophen,<lb/>
der ihnen die Wege abgelernt, und allgemeine<lb/>
Grund&#x017F;a&#x0364;tze aus ihren Bey&#x017F;pielen hergeleitet<lb/>
ha&#x0364;tte. Aber je ha&#x0364;ufiger die&#x017F;e Bey&#x017F;piele werden,<lb/>
je mehr &#x017F;ich die Materialien zu die&#x017F;er Herleitung<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;am-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[207/0221] nien einerley Veraͤnderung der Inſtrumente an- wendet. Es iſt allemal beſſer und angenehmer, wenn man dieſen Uebelſtand vermeidet.〟 Dieſes ſind die wichtigſten Regeln, um auch hier die Tonkunſt und Poeſie in eine genauere Verbindung zu bringen. Ich habe ſie lieber mit den Worten eines Tonkuͤnſtlers, und zwar desjenigen vortragen wollen, der ſich die Ehre der Erfindung anmaßen kann, als mit meinen. Denn die Dichter und Kunſtrichter bekommen nicht ſelten von den Muſicis den Vorwurf, daß ſie weit mehr von ihnen erwarten und verlangen, als die Kunſt zu leiſten im Stande ſey. Die mehreſten muͤſſen es von ihren Kunſtverwandten erſt hoͤren, daß die Sache zu bewerkſtelligen iſt, ehe ſie die geringſte Aufmerkſamkeit darauf wen- den. Zwar die Regeln ſelbſt waren leicht zu machen; ſie lehren nur was geſchehen ſoll, ohne zu ſagen, wie es geſchehen kann. Der Ausdruck der Lei- denſchaften, auf welchen alles dabey ankoͤmmt, iſt noch einzig das Werk des Genies. Denn ob es ſchon Tonkuͤnſtler giebt und gegeben, die bis zur Bewunderung darinn gluͤcklich ſind, ſo man- gelt es doch unſtreitig noch an einem Philoſophen, der ihnen die Wege abgelernt, und allgemeine Grundſaͤtze aus ihren Beyſpielen hergeleitet haͤtte. Aber je haͤufiger dieſe Beyſpiele werden, je mehr ſich die Materialien zu dieſer Herleitung ſam-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/221
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/221>, abgerufen am 29.04.2024.