Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

hingerichtet würde? Warum nicht? Laßt uns
erdichten, daß Rodogune mit dem Demetrius
noch nicht völlig vermählet gewesen; laßt uns
erdichten, daß nach seinem Tode sich die beiden
Söhne in die Braut des Vaters verliebt haben;
laßt uns erdichten, daß die beiden Söhne Zwil-
linge sind, daß dem ältesten der Thron gehöret,
daß die Mutter es aber beständig verborgen ge-
halten, welcher von ihnen der älteste sey; laßt
uns erdichten, daß sich endlich die Mutter ent-
schlossen, dieses Geheimniß zu entdecken, oder
vielmehr nicht zu entdecken, sondern an dessen
Statt denjenigen für den ältesten zu erklären,
und ihn dadurch auf den Thron zu setzen, wel-
cher eine gewisse Bedingung eingehen wolle; laßt
uns erdichten, daß diese Bedingung der Tod der
Rodogune sey. Nun hätten wir ja, was wir
haben wollten: beide Prinzen sind in Rodogu-
nen sterblich verliebt; wer von beiden seine
Geliebte umbringen will, der soll regieren.

Schön; aber könnten wir den Handel nicht
noch mehr verwickeln? Könnten wir die guten
Prinzen nicht noch in größere Verlegenheit setzen?
Wir wollen versuchen. Laßt uns also weiter
erdichten, daß Rodogune den Anschlag der Cleo-
patra erfährt; laßt uns weiter erdichten, daß sie
zwar einen von den Prinzen vorzüglich liebt,
aber es ihm nicht bekannt hat, auch sonst keinem

Men-

hingerichtet wuͤrde? Warum nicht? Laßt uns
erdichten, daß Rodogune mit dem Demetrius
noch nicht voͤllig vermaͤhlet geweſen; laßt uns
erdichten, daß nach ſeinem Tode ſich die beiden
Soͤhne in die Braut des Vaters verliebt haben;
laßt uns erdichten, daß die beiden Soͤhne Zwil-
linge ſind, daß dem aͤlteſten der Thron gehoͤret,
daß die Mutter es aber beſtaͤndig verborgen ge-
halten, welcher von ihnen der aͤlteſte ſey; laßt
uns erdichten, daß ſich endlich die Mutter ent-
ſchloſſen, dieſes Geheimniß zu entdecken, oder
vielmehr nicht zu entdecken, ſondern an deſſen
Statt denjenigen fuͤr den aͤlteſten zu erklaͤren,
und ihn dadurch auf den Thron zu ſetzen, wel-
cher eine gewiſſe Bedingung eingehen wolle; laßt
uns erdichten, daß dieſe Bedingung der Tod der
Rodogune ſey. Nun haͤtten wir ja, was wir
haben wollten: beide Prinzen ſind in Rodogu-
nen ſterblich verliebt; wer von beiden ſeine
Geliebte umbringen will, der ſoll regieren.

Schoͤn; aber koͤnnten wir den Handel nicht
noch mehr verwickeln? Koͤnnten wir die guten
Prinzen nicht noch in groͤßere Verlegenheit ſetzen?
Wir wollen verſuchen. Laßt uns alſo weiter
erdichten, daß Rodogune den Anſchlag der Cleo-
patra erfaͤhrt; laßt uns weiter erdichten, daß ſie
zwar einen von den Prinzen vorzuͤglich liebt,
aber es ihm nicht bekannt hat, auch ſonſt keinem

Men-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0258" n="244"/>
hingerichtet wu&#x0364;rde? Warum nicht? Laßt uns<lb/>
erdichten, daß Rodogune mit dem Demetrius<lb/>
noch nicht vo&#x0364;llig verma&#x0364;hlet gewe&#x017F;en; laßt uns<lb/>
erdichten, daß nach &#x017F;einem Tode &#x017F;ich die beiden<lb/>
So&#x0364;hne in die Braut des Vaters verliebt haben;<lb/>
laßt uns erdichten, daß die beiden So&#x0364;hne Zwil-<lb/>
linge &#x017F;ind, daß dem a&#x0364;lte&#x017F;ten der Thron geho&#x0364;ret,<lb/>
daß die Mutter es aber be&#x017F;ta&#x0364;ndig verborgen ge-<lb/>
halten, welcher von ihnen der a&#x0364;lte&#x017F;te &#x017F;ey; laßt<lb/>
uns erdichten, daß &#x017F;ich endlich die Mutter ent-<lb/>
&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, die&#x017F;es Geheimniß zu entdecken, oder<lb/>
vielmehr nicht zu entdecken, &#x017F;ondern an de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Statt denjenigen fu&#x0364;r den a&#x0364;lte&#x017F;ten zu erkla&#x0364;ren,<lb/>
und ihn dadurch auf den Thron zu &#x017F;etzen, wel-<lb/>
cher eine gewi&#x017F;&#x017F;e Bedingung eingehen wolle; laßt<lb/>
uns erdichten, daß die&#x017F;e Bedingung der Tod der<lb/>
Rodogune &#x017F;ey. Nun ha&#x0364;tten wir ja, was wir<lb/>
haben wollten: beide Prinzen &#x017F;ind in Rodogu-<lb/>
nen &#x017F;terblich verliebt; wer von beiden &#x017F;eine<lb/>
Geliebte umbringen will, der &#x017F;oll regieren.</p><lb/>
        <p>Scho&#x0364;n; aber ko&#x0364;nnten wir den Handel nicht<lb/>
noch mehr verwickeln? Ko&#x0364;nnten wir die guten<lb/>
Prinzen nicht noch in gro&#x0364;ßere Verlegenheit &#x017F;etzen?<lb/>
Wir wollen ver&#x017F;uchen. Laßt uns al&#x017F;o weiter<lb/>
erdichten, daß Rodogune den An&#x017F;chlag der Cleo-<lb/>
patra erfa&#x0364;hrt; laßt uns weiter erdichten, daß &#x017F;ie<lb/>
zwar einen von den Prinzen vorzu&#x0364;glich liebt,<lb/>
aber es ihm nicht bekannt hat, auch &#x017F;on&#x017F;t keinem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Men-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[244/0258] hingerichtet wuͤrde? Warum nicht? Laßt uns erdichten, daß Rodogune mit dem Demetrius noch nicht voͤllig vermaͤhlet geweſen; laßt uns erdichten, daß nach ſeinem Tode ſich die beiden Soͤhne in die Braut des Vaters verliebt haben; laßt uns erdichten, daß die beiden Soͤhne Zwil- linge ſind, daß dem aͤlteſten der Thron gehoͤret, daß die Mutter es aber beſtaͤndig verborgen ge- halten, welcher von ihnen der aͤlteſte ſey; laßt uns erdichten, daß ſich endlich die Mutter ent- ſchloſſen, dieſes Geheimniß zu entdecken, oder vielmehr nicht zu entdecken, ſondern an deſſen Statt denjenigen fuͤr den aͤlteſten zu erklaͤren, und ihn dadurch auf den Thron zu ſetzen, wel- cher eine gewiſſe Bedingung eingehen wolle; laßt uns erdichten, daß dieſe Bedingung der Tod der Rodogune ſey. Nun haͤtten wir ja, was wir haben wollten: beide Prinzen ſind in Rodogu- nen ſterblich verliebt; wer von beiden ſeine Geliebte umbringen will, der ſoll regieren. Schoͤn; aber koͤnnten wir den Handel nicht noch mehr verwickeln? Koͤnnten wir die guten Prinzen nicht noch in groͤßere Verlegenheit ſetzen? Wir wollen verſuchen. Laßt uns alſo weiter erdichten, daß Rodogune den Anſchlag der Cleo- patra erfaͤhrt; laßt uns weiter erdichten, daß ſie zwar einen von den Prinzen vorzuͤglich liebt, aber es ihm nicht bekannt hat, auch ſonſt keinem Men-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/258
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/258>, abgerufen am 09.05.2024.