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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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Aristoteles erwähnet dieses Kresphonts zwar
ohne Namen des Verfassers; da wir aber, bey
dem Cicero und mehrern Alten, einen Kresphont
des Euripides angezogen finden, so wird er wohl
kein anderes, als das Werk dieses Dichters ge-
meinet haben.

Der Pater Tournemine sagt in dem obge-
dachten Briefe: "Aristoteles, dieser weise Ge-
"setzgeber des Theaters, hat die Fabel der Me-
"rope in die erste Klasse der tragischen Fabeln
"gesetzt (a mis ce sujet au premier rang
"des sujets tragiques.
) Euripides hatte sie
"behandelt, und Aristoteles meldet, daß, so oft
"der Kresphont des Euripides auf dem Theater
"des witzigen Athens vorgestellet worden, die-
"ses an tragische Meisterstücke so gewöhnte
"Volk ganz ausserordentlich sey betroffen, ge-
"rührt und entzückt worden."
-- Hübsche Phra-
ses, aber nicht viel Wahrheit! Der Pater irret
sich in beiden Punkten. Bey dem letztern hat
er den Aristoteles mit dem Plutarch vermengt,
und bey dem erstern den Aristoteles nicht recht
verstanden. Jenes ist eine Kleinigkeit, aber
über dieses verlohnet es der Mühe, ein Paar
Worte zu sagen, weil mehrere den Aristoteles
eben so unrecht verstanden haben.

Die Sache verhält sich, wie folget. Ari-
stoteles untersucht, in dem vierzehnten Kapitel
seiner Dichtkunst, durch was eigentlich für Be-

geben-

Ariſtoteles erwaͤhnet dieſes Kreſphonts zwar
ohne Namen des Verfaſſers; da wir aber, bey
dem Cicero und mehrern Alten, einen Kreſphont
des Euripides angezogen finden, ſo wird er wohl
kein anderes, als das Werk dieſes Dichters ge-
meinet haben.

Der Pater Tournemine ſagt in dem obge-
dachten Briefe: 〟Ariſtoteles, dieſer weiſe Ge-
〟ſetzgeber des Theaters, hat die Fabel der Me-
〟rope in die erſte Klaſſe der tragiſchen Fabeln
〟geſetzt (a mis ce ſujet au premier rang
〟des ſujets tragiques.
) Euripides hatte ſie
〟behandelt, und Ariſtoteles meldet, daß, ſo oft
〟der Kreſphont des Euripides auf dem Theater
〟des witzigen Athens vorgeſtellet worden, die-
〟ſes an tragiſche Meiſterſtuͤcke ſo gewoͤhnte
〟Volk ganz auſſerordentlich ſey betroffen, ge-
〟ruͤhrt und entzuͤckt worden.〟
— Huͤbſche Phra-
ſes, aber nicht viel Wahrheit! Der Pater irret
ſich in beiden Punkten. Bey dem letztern hat
er den Ariſtoteles mit dem Plutarch vermengt,
und bey dem erſtern den Ariſtoteles nicht recht
verſtanden. Jenes iſt eine Kleinigkeit, aber
uͤber dieſes verlohnet es der Muͤhe, ein Paar
Worte zu ſagen, weil mehrere den Ariſtoteles
eben ſo unrecht verſtanden haben.

Die Sache verhaͤlt ſich, wie folget. Ari-
ſtoteles unterſucht, in dem vierzehnten Kapitel
ſeiner Dichtkunſt, durch was eigentlich fuͤr Be-

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[292/0306] Ariſtoteles erwaͤhnet dieſes Kreſphonts zwar ohne Namen des Verfaſſers; da wir aber, bey dem Cicero und mehrern Alten, einen Kreſphont des Euripides angezogen finden, ſo wird er wohl kein anderes, als das Werk dieſes Dichters ge- meinet haben. Der Pater Tournemine ſagt in dem obge- dachten Briefe: 〟Ariſtoteles, dieſer weiſe Ge- 〟ſetzgeber des Theaters, hat die Fabel der Me- 〟rope in die erſte Klaſſe der tragiſchen Fabeln 〟geſetzt (a mis ce ſujet au premier rang 〟des ſujets tragiques.) Euripides hatte ſie 〟behandelt, und Ariſtoteles meldet, daß, ſo oft 〟der Kreſphont des Euripides auf dem Theater 〟des witzigen Athens vorgeſtellet worden, die- 〟ſes an tragiſche Meiſterſtuͤcke ſo gewoͤhnte 〟Volk ganz auſſerordentlich ſey betroffen, ge- 〟ruͤhrt und entzuͤckt worden.〟 — Huͤbſche Phra- ſes, aber nicht viel Wahrheit! Der Pater irret ſich in beiden Punkten. Bey dem letztern hat er den Ariſtoteles mit dem Plutarch vermengt, und bey dem erſtern den Ariſtoteles nicht recht verſtanden. Jenes iſt eine Kleinigkeit, aber uͤber dieſes verlohnet es der Muͤhe, ein Paar Worte zu ſagen, weil mehrere den Ariſtoteles eben ſo unrecht verſtanden haben. Die Sache verhaͤlt ſich, wie folget. Ari- ſtoteles unterſucht, in dem vierzehnten Kapitel ſeiner Dichtkunſt, durch was eigentlich fuͤr Be- geben-

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/306>, abgerufen am 29.04.2024.