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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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dem Gebrauche der lasterhaften Personen in der
Tragödie sagt, ist das nicht, was Corneille
will. Du Bos will sie nur zu den Nebenrol-
len erlauben; blos zu Werkzeugen, die Haupt-
personen weniger schuldig zu machen; blos zur
Abstechung. Corneille aber will das vornehm-
ste Jnteresse auf sie beruhen lassen, so wie in der
Rodogune: und das ist es eigentlich, was mit
der Absicht der Tragödie streitet, und nicht
jenes. Du Bos merket dabey auch sehr richtig
an, daß das Unglück dieser subalternen Böse-
wichter keinen Eindruck auf uns mache. Kaum,
sagt er, daß man den Tod des Narciß im Bri-
tannicus bemerkt. Aber also sollte sich der
Dichter, auch schon deswegen, ihrer so viel als
möglich enthalten. Denn wenn ihr Unglück die
Absicht der Tragödie nicht unmittelbar beför-
dert, wenn sie bloße Hülfsmittel sind, durch
die sie der Dichter desto besser mit andern Per-
sonen zu erreichen sucht: so ist es unstreitig, daß
das Stück noch besser seyn würde, wenn es die
nehmliche Wirkung ohne sie hätte. Je simpler
eine Maschine ist, je weniger Federn und Räder
und Gewichte sie hat, desto vollkommener ist sie.



Ham-

dem Gebrauche der laſterhaften Perſonen in der
Tragödie ſagt, iſt das nicht, was Corneille
will. Du Bos will ſie nur zu den Nebenrol-
len erlauben; blos zu Werkzeugen, die Haupt-
perſonen weniger ſchuldig zu machen; blos zur
Abſtechung. Corneille aber will das vornehm-
ſte Jntereſſe auf ſie beruhen laſſen, ſo wie in der
Rodogune: und das iſt es eigentlich, was mit
der Abſicht der Tragödie ſtreitet, und nicht
jenes. Du Bos merket dabey auch ſehr richtig
an, daß das Unglück dieſer ſubalternen Böſe-
wichter keinen Eindruck auf uns mache. Kaum,
ſagt er, daß man den Tod des Narciß im Bri-
tannicus bemerkt. Aber alſo ſollte ſich der
Dichter, auch ſchon deswegen, ihrer ſo viel als
möglich enthalten. Denn wenn ihr Unglück die
Abſicht der Tragödie nicht unmittelbar beför-
dert, wenn ſie bloße Hülfsmittel ſind, durch
die ſie der Dichter deſto beſſer mit andern Per-
ſonen zu erreichen ſucht: ſo iſt es unſtreitig, daß
das Stück noch beſſer ſeyn würde, wenn es die
nehmliche Wirkung ohne ſie hätte. Je ſimpler
eine Maſchine iſt, je weniger Federn und Räder
und Gewichte ſie hat, deſto vollkommener iſt ſie.



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[240/0246] dem Gebrauche der laſterhaften Perſonen in der Tragödie ſagt, iſt das nicht, was Corneille will. Du Bos will ſie nur zu den Nebenrol- len erlauben; blos zu Werkzeugen, die Haupt- perſonen weniger ſchuldig zu machen; blos zur Abſtechung. Corneille aber will das vornehm- ſte Jntereſſe auf ſie beruhen laſſen, ſo wie in der Rodogune: und das iſt es eigentlich, was mit der Abſicht der Tragödie ſtreitet, und nicht jenes. Du Bos merket dabey auch ſehr richtig an, daß das Unglück dieſer ſubalternen Böſe- wichter keinen Eindruck auf uns mache. Kaum, ſagt er, daß man den Tod des Narciß im Bri- tannicus bemerkt. Aber alſo ſollte ſich der Dichter, auch ſchon deswegen, ihrer ſo viel als möglich enthalten. Denn wenn ihr Unglück die Abſicht der Tragödie nicht unmittelbar beför- dert, wenn ſie bloße Hülfsmittel ſind, durch die ſie der Dichter deſto beſſer mit andern Per- ſonen zu erreichen ſucht: ſo iſt es unſtreitig, daß das Stück noch beſſer ſeyn würde, wenn es die nehmliche Wirkung ohne ſie hätte. Je ſimpler eine Maſchine iſt, je weniger Federn und Räder und Gewichte ſie hat, deſto vollkommener iſt ſie. Ham-

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/246>, abgerufen am 23.04.2024.