Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

"denn da es die Schilderung einer einfachen
"unvermischten Leidenschaft
ist, so feh-
"len ihr alle die Lichter und Schatten, deren
"richtige Verbindung allein ihr Kraft und Le-
"ben ertheilen könnte. Diese Lichter und Schat-
"ten sind die Vermischung verschiedener Leiden-
"schaften, welche mit der vornehmsten oder
"herrschenden Leidenschaft zusammen den
"menschlichen Charakter ausmachen; und diese
"Vermischung muß sich in jedem dramatischen
"Gemählde von Sitten finden, weil es zuge-
"standen ist, daß das Drama vornehmlich das
"wirkliche Leben abbilden soll. Doch aber muß
"die Zeichnung der herrschenden Leidenschaft
"so allgemein entworfen seyn, als es ihr Streit
"mit den andern in der Natur nur immer zulas-
"sen will, damit der vorzustellende Charakter
"sich desto kräftiger ausdrücke.



Ham-

„denn da es die Schilderung einer einfachen
„unvermiſchten Leidenſchaft
iſt, ſo feh-
„len ihr alle die Lichter und Schatten, deren
„richtige Verbindung allein ihr Kraft und Le-
„ben ertheilen könnte. Dieſe Lichter und Schat-
„ten ſind die Vermiſchung verſchiedener Leiden-
„ſchaften, welche mit der vornehmſten oder
herrſchenden Leidenſchaft zuſammen den
„menſchlichen Charakter ausmachen; und dieſe
„Vermiſchung muß ſich in jedem dramatiſchen
„Gemählde von Sitten finden, weil es zuge-
„ſtanden iſt, daß das Drama vornehmlich das
„wirkliche Leben abbilden ſoll. Doch aber muß
„die Zeichnung der herrſchenden Leidenſchaft
„ſo allgemein entworfen ſeyn, als es ihr Streit
„mit den andern in der Natur nur immer zulaſ-
„ſen will, damit der vorzuſtellende Charakter
„ſich deſto kräftiger ausdrücke.



Ham-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0326" n="320"/>
&#x201E;denn da es die Schilderung einer <hi rendition="#g">einfachen<lb/>
&#x201E;unvermi&#x017F;chten Leiden&#x017F;chaft</hi> i&#x017F;t, &#x017F;o feh-<lb/>
&#x201E;len ihr alle die Lichter und Schatten, deren<lb/>
&#x201E;richtige Verbindung allein ihr Kraft und Le-<lb/>
&#x201E;ben ertheilen könnte. Die&#x017F;e Lichter und Schat-<lb/>
&#x201E;ten &#x017F;ind die Vermi&#x017F;chung ver&#x017F;chiedener Leiden-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chaften, welche mit der vornehm&#x017F;ten oder<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#g">herr&#x017F;chenden</hi> Leiden&#x017F;chaft zu&#x017F;ammen den<lb/>
&#x201E;men&#x017F;chlichen Charakter ausmachen; und die&#x017F;e<lb/>
&#x201E;Vermi&#x017F;chung muß &#x017F;ich in jedem dramati&#x017F;chen<lb/>
&#x201E;Gemählde von Sitten finden, weil es zuge-<lb/>
&#x201E;&#x017F;tanden i&#x017F;t, daß das Drama vornehmlich das<lb/>
&#x201E;wirkliche Leben abbilden &#x017F;oll. Doch aber muß<lb/>
&#x201E;die Zeichnung der <hi rendition="#g">herr&#x017F;chenden</hi> Leiden&#x017F;chaft<lb/>
&#x201E;&#x017F;o allgemein entworfen &#x017F;eyn, als es ihr Streit<lb/>
&#x201E;mit den andern in der Natur nur immer zula&#x017F;-<lb/>
&#x201E;&#x017F;en will, damit der vorzu&#x017F;tellende Charakter<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich de&#x017F;to kräftiger ausdrücke.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Ham-</hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[320/0326] „denn da es die Schilderung einer einfachen „unvermiſchten Leidenſchaft iſt, ſo feh- „len ihr alle die Lichter und Schatten, deren „richtige Verbindung allein ihr Kraft und Le- „ben ertheilen könnte. Dieſe Lichter und Schat- „ten ſind die Vermiſchung verſchiedener Leiden- „ſchaften, welche mit der vornehmſten oder „herrſchenden Leidenſchaft zuſammen den „menſchlichen Charakter ausmachen; und dieſe „Vermiſchung muß ſich in jedem dramatiſchen „Gemählde von Sitten finden, weil es zuge- „ſtanden iſt, daß das Drama vornehmlich das „wirkliche Leben abbilden ſoll. Doch aber muß „die Zeichnung der herrſchenden Leidenſchaft „ſo allgemein entworfen ſeyn, als es ihr Streit „mit den andern in der Natur nur immer zulaſ- „ſen will, damit der vorzuſtellende Charakter „ſich deſto kräftiger ausdrücke. Ham-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/326
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/326>, abgerufen am 28.03.2024.