Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite
Nottingham. Von Dir, Königinn? --
Wer ist es, der von Dir nicht mit Entzücken und
Bewunderung spräche? Der Nachruhm eines ver-
storbenen Heiligen ist nicht lauterer, als Dein Lob,
von dem aller Zungen ertönen. Nur dieses einzige
wünschet man, und wünschet es mit den heissesten
Thränen, die aus der reinsten Liebe gegen Dich ent-
springen, -- dieses einzige, daß Du geruhen möch-
test, ihren Beschwerden gegen diesen Essex abzuhel-
fen, einen solchen Verräther nicht länger zu schützen,
ihn nicht länger der Gerechtigkeit und der Schande
vorzuenthalten, ihn endlich der Rache zu überlie-
fern --
Die Königinn. Wer hat mir vorzuschreiben?
Nottingham. Dir vorzuschreiben! -- Schrei-
bet man dem Himmel vor, wenn man ihn in tiefe-
ster Unterwerfung anflehet? -- Und so flehet Dich
alles wider den Mann an, dessen Gemüthsart so
schlecht, so boshaft ist, daß er es auch nicht der
Mühe werth achtet, den Heuchler zu spielen. --
Wie stolz! wie aufgeblasen! Und wie unartig, pö-
belhaft stolz; nicht anders als ein elender Lakey auf
seinen bunten verbrämten Rock! -- Daß er tapfer
ist, räumt man ihm ein; aber so, wie es der Wolf
oder der Bär ist, blind zu, ohne Plan und Vor-
sicht. Die wahre Tapferkeit, welche eine edle
Seele über Glück und Unglück erhebt, ist fern von
ihm. Die geringste Beleidigung bringt ihn auf;
er tobt und raset über ein Nichts; alles soll sich vor
ihm
Nottingham. Von Dir, Königinn? —
Wer iſt es, der von Dir nicht mit Entzücken und
Bewunderung ſpräche? Der Nachruhm eines ver-
ſtorbenen Heiligen iſt nicht lauterer, als Dein Lob,
von dem aller Zungen ertönen. Nur dieſes einzige
wünſchet man, und wünſchet es mit den heiſſeſten
Thränen, die aus der reinſten Liebe gegen Dich ent-
ſpringen, — dieſes einzige, daß Du geruhen möch-
teſt, ihren Beſchwerden gegen dieſen Eſſex abzuhel-
fen, einen ſolchen Verräther nicht länger zu ſchützen,
ihn nicht länger der Gerechtigkeit und der Schande
vorzuenthalten, ihn endlich der Rache zu überlie-
fern —
Die Königinn. Wer hat mir vorzuſchreiben?
Nottingham. Dir vorzuſchreiben! — Schrei-
bet man dem Himmel vor, wenn man ihn in tiefe-
ſter Unterwerfung anflehet? — Und ſo flehet Dich
alles wider den Mann an, deſſen Gemüthsart ſo
ſchlecht, ſo boshaft iſt, daß er es auch nicht der
Mühe werth achtet, den Heuchler zu ſpielen. —
Wie ſtolz! wie aufgeblaſen! Und wie unartig, pö-
belhaft ſtolz; nicht anders als ein elender Lakey auf
ſeinen bunten verbrämten Rock! — Daß er tapfer
iſt, räumt man ihm ein; aber ſo, wie es der Wolf
oder der Bär iſt, blind zu, ohne Plan und Vor-
ſicht. Die wahre Tapferkeit, welche eine edle
Seele über Glück und Unglück erhebt, iſt fern von
ihm. Die geringſte Beleidigung bringt ihn auf;
er tobt und raſet über ein Nichts; alles ſoll ſich vor
ihm
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <pb facs="#f0044" n="38"/>
            <sp>
              <speaker><hi rendition="#g">Nottingham</hi>.</speaker>
              <p>Von Dir, Königinn? &#x2014;<lb/>
Wer i&#x017F;t es, der von Dir nicht mit Entzücken und<lb/>
Bewunderung &#x017F;präche? Der Nachruhm eines ver-<lb/>
&#x017F;torbenen Heiligen i&#x017F;t nicht lauterer, als Dein Lob,<lb/>
von dem aller Zungen ertönen. Nur die&#x017F;es einzige<lb/>
wün&#x017F;chet man, und wün&#x017F;chet es mit den hei&#x017F;&#x017F;e&#x017F;ten<lb/>
Thränen, die aus der rein&#x017F;ten Liebe gegen Dich ent-<lb/>
&#x017F;pringen, &#x2014; die&#x017F;es einzige, daß Du geruhen möch-<lb/>
te&#x017F;t, ihren Be&#x017F;chwerden gegen die&#x017F;en E&#x017F;&#x017F;ex abzuhel-<lb/>
fen, einen &#x017F;olchen Verräther nicht länger zu &#x017F;chützen,<lb/>
ihn nicht länger der Gerechtigkeit und der Schande<lb/>
vorzuenthalten, ihn endlich der Rache zu überlie-<lb/>
fern &#x2014;</p>
            </sp><lb/>
            <sp>
              <speaker><hi rendition="#g">Die Königinn</hi>.</speaker>
              <p>Wer hat mir vorzu&#x017F;chreiben?</p>
            </sp><lb/>
            <sp>
              <speaker><hi rendition="#g">Nottingham</hi>.</speaker>
              <p>Dir vorzu&#x017F;chreiben! &#x2014; Schrei-<lb/>
bet man dem Himmel vor, wenn man ihn in tiefe-<lb/>
&#x017F;ter Unterwerfung anflehet? &#x2014; Und &#x017F;o flehet Dich<lb/>
alles wider den Mann an, de&#x017F;&#x017F;en Gemüthsart &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chlecht, &#x017F;o boshaft i&#x017F;t, daß er es auch nicht der<lb/>
Mühe werth achtet, den Heuchler zu &#x017F;pielen. &#x2014;<lb/>
Wie &#x017F;tolz! wie aufgebla&#x017F;en! Und wie unartig, pö-<lb/>
belhaft &#x017F;tolz; nicht anders als ein elender Lakey auf<lb/>
&#x017F;einen bunten verbrämten Rock! &#x2014; Daß er tapfer<lb/>
i&#x017F;t, räumt man ihm ein; aber &#x017F;o, wie es der Wolf<lb/>
oder der Bär i&#x017F;t, blind zu, ohne Plan und Vor-<lb/>
&#x017F;icht. Die wahre Tapferkeit, welche eine edle<lb/>
Seele über Glück und Unglück erhebt, i&#x017F;t fern von<lb/>
ihm. Die gering&#x017F;te Beleidigung bringt ihn auf;<lb/>
er tobt und ra&#x017F;et über ein Nichts; alles &#x017F;oll &#x017F;ich vor<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ihm</fw><lb/></p>
            </sp>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0044] Nottingham. Von Dir, Königinn? — Wer iſt es, der von Dir nicht mit Entzücken und Bewunderung ſpräche? Der Nachruhm eines ver- ſtorbenen Heiligen iſt nicht lauterer, als Dein Lob, von dem aller Zungen ertönen. Nur dieſes einzige wünſchet man, und wünſchet es mit den heiſſeſten Thränen, die aus der reinſten Liebe gegen Dich ent- ſpringen, — dieſes einzige, daß Du geruhen möch- teſt, ihren Beſchwerden gegen dieſen Eſſex abzuhel- fen, einen ſolchen Verräther nicht länger zu ſchützen, ihn nicht länger der Gerechtigkeit und der Schande vorzuenthalten, ihn endlich der Rache zu überlie- fern — Die Königinn. Wer hat mir vorzuſchreiben? Nottingham. Dir vorzuſchreiben! — Schrei- bet man dem Himmel vor, wenn man ihn in tiefe- ſter Unterwerfung anflehet? — Und ſo flehet Dich alles wider den Mann an, deſſen Gemüthsart ſo ſchlecht, ſo boshaft iſt, daß er es auch nicht der Mühe werth achtet, den Heuchler zu ſpielen. — Wie ſtolz! wie aufgeblaſen! Und wie unartig, pö- belhaft ſtolz; nicht anders als ein elender Lakey auf ſeinen bunten verbrämten Rock! — Daß er tapfer iſt, räumt man ihm ein; aber ſo, wie es der Wolf oder der Bär iſt, blind zu, ohne Plan und Vor- ſicht. Die wahre Tapferkeit, welche eine edle Seele über Glück und Unglück erhebt, iſt fern von ihm. Die geringſte Beleidigung bringt ihn auf; er tobt und raſet über ein Nichts; alles ſoll ſich vor ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/44
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/44>, abgerufen am 28.03.2024.