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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

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erträglich zu bleiben hoffen durste, erklärt die Fabel
durch eine unter die Allegorie einer Handlung
versteckte Lehre
*.

Als sich der Sohn des stolzen Tarquinius bey
den Gabiern nunmehr fest gesetzt hatte, schickte er
heimlich einen Bothen an seinen Vater, und ließ
ihn fragen, was er weiter thun solle? Der König,
als der Bothe zu ihm kam, befand sich eben auf dem
Felde, hub seinen Stab auf, schlug den höchsten
Mahnstängeln die Häupter ab, und sprach zu dem
Bothen: Geh, und erzehle meinem Sohne, was ich
itzt gethan habe! Der Sohn verstand den stummen
Befehl des Vaters, und ließ die Vornehmsten der
Gabier hinrichten **. -- Hier ist eine allegorische
Handlung; hier ist eine unter die Allegorie dieser
Handlung versteckte Lehre: aber ist hier eine Fabel?
Kann man sagen, daß Tarquinius seine Meinung
dem Sohne durch eine Fabel habe wissen lassen? Ge-
wiß nicht!

Jener
* La Fable est une instruction deguisee sous l'allegorie d'une
action. Discours sur la fable.
** Florus. lib. 1. cap. 7.

erträglich zu bleiben hoffen durſte, erklärt die Fabel
durch eine unter die Allegorie einer Handlung
verſteckte Lehre
*.

Als ſich der Sohn des ſtolzen Tarquinius bey
den Gabiern nunmehr feſt geſetzt hatte, ſchickte er
heimlich einen Bothen an ſeinen Vater, und ließ
ihn fragen, was er weiter thun ſolle? Der König,
als der Bothe zu ihm kam, befand ſich eben auf dem
Felde, hub ſeinen Stab auf, ſchlug den höchſten
Mahnſtängeln die Häupter ab, und ſprach zu dem
Bothen: Geh, und erzehle meinem Sohne, was ich
itzt gethan habe! Der Sohn verſtand den ſtummen
Befehl des Vaters, und ließ die Vornehmſten der
Gabier hinrichten **. — Hier iſt eine allegoriſche
Handlung; hier iſt eine unter die Allegorie dieſer
Handlung verſteckte Lehre: aber iſt hier eine Fabel?
Kann man ſagen, daß Tarquinius ſeine Meinung
dem Sohne durch eine Fabel habe wiſſen laſſen? Ge-
wiß nicht!

Jener
* La Fable eſt une inſtruction deguiſee ſous l’allegorie d’une
action. Diſcours ſur la fable.
** Florus. lib. 1. cap. 7.
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[118/0138] erträglich zu bleiben hoffen durſte, erklärt die Fabel durch eine unter die Allegorie einer Handlung verſteckte Lehre *. Als ſich der Sohn des ſtolzen Tarquinius bey den Gabiern nunmehr feſt geſetzt hatte, ſchickte er heimlich einen Bothen an ſeinen Vater, und ließ ihn fragen, was er weiter thun ſolle? Der König, als der Bothe zu ihm kam, befand ſich eben auf dem Felde, hub ſeinen Stab auf, ſchlug den höchſten Mahnſtängeln die Häupter ab, und ſprach zu dem Bothen: Geh, und erzehle meinem Sohne, was ich itzt gethan habe! Der Sohn verſtand den ſtummen Befehl des Vaters, und ließ die Vornehmſten der Gabier hinrichten **. — Hier iſt eine allegoriſche Handlung; hier iſt eine unter die Allegorie dieſer Handlung verſteckte Lehre: aber iſt hier eine Fabel? Kann man ſagen, daß Tarquinius ſeine Meinung dem Sohne durch eine Fabel habe wiſſen laſſen? Ge- wiß nicht! Jener * La Fable eſt une inſtruction deguiſee ſous l’allegorie d’une action. Diſcours ſur la fable. ** Florus. lib. 1. cap. 7.

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/138>, abgerufen am 19.04.2024.