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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

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unrichtig, weil auch verkleidet den Nebenbegriff
einer mühsamen Erkennung mit sich führet. Und
es muß gar keine Mühe kosten, die Lehre in der
Fabel zu erkennen; es müßte vielmehr, wenn ich
so reden darf, Mühe und Zwang kosten, sie darinn
nicht zu erkennen. Aufs höchste würde sich dieses
verkleidet nur in Ansehung der zusammengesetz-
ten
Fabel entschuldigen lassen. In Ansehung der
einfachen ist es durchaus nicht zu dulden. Von
zwey ähnlichen einzeln Fällen kann zwar einer durch
den andern ausgedrückt, einer in den andern ver-
kleidet
werden: aber wie man das Allgemeine in
das Besondere verkleiden könne, das begreife ich
ganz und gar nicht. Wollte man mit aller Gewalt
ein ähnliches Wort hier brauchen, so müßte es an-
statt verkleiden wenigstens einkleiden heissen.

Von einem deutschen Kunstrichter hätte ich über-
haupt dergleichen figürliche Wörter in einer Erklä-
rung nicht erwartet. Ein Breitinger hätte es den
schön vernünstelnden Franzosen überlassen sollen, sich
damit aus dem Handel zu wickeln; und ihm würde
es sehr wohl angestanden haben, wenn er uns mit

den

unrichtig, weil auch verkleidet den Nebenbegriff
einer mühſamen Erkennung mit ſich führet. Und
es muß gar keine Mühe koſten, die Lehre in der
Fabel zu erkennen; es müßte vielmehr, wenn ich
ſo reden darf, Mühe und Zwang koſten, ſie darinn
nicht zu erkennen. Aufs höchſte würde ſich dieſes
verkleidet nur in Anſehung der zuſammengeſetz-
ten
Fabel entſchuldigen laſſen. In Anſehung der
einfachen iſt es durchaus nicht zu dulden. Von
zwey ähnlichen einzeln Fällen kann zwar einer durch
den andern ausgedrückt, einer in den andern ver-
kleidet
werden: aber wie man das Allgemeine in
das Beſondere verkleiden könne, das begreife ich
ganz und gar nicht. Wollte man mit aller Gewalt
ein ähnliches Wort hier brauchen, ſo müßte es an-
ſtatt verkleiden wenigſtens einkleiden heiſſen.

Von einem deutſchen Kunſtrichter hätte ich über-
haupt dergleichen figürliche Wörter in einer Erklä-
rung nicht erwartet. Ein Breitinger hätte es den
ſchön vernünſtelnden Franzoſen überlaſſen ſollen, ſich
damit aus dem Handel zu wickeln; und ihm würde
es ſehr wohl angeſtanden haben, wenn er uns mit

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[142/0162] unrichtig, weil auch verkleidet den Nebenbegriff einer mühſamen Erkennung mit ſich führet. Und es muß gar keine Mühe koſten, die Lehre in der Fabel zu erkennen; es müßte vielmehr, wenn ich ſo reden darf, Mühe und Zwang koſten, ſie darinn nicht zu erkennen. Aufs höchſte würde ſich dieſes verkleidet nur in Anſehung der zuſammengeſetz- ten Fabel entſchuldigen laſſen. In Anſehung der einfachen iſt es durchaus nicht zu dulden. Von zwey ähnlichen einzeln Fällen kann zwar einer durch den andern ausgedrückt, einer in den andern ver- kleidet werden: aber wie man das Allgemeine in das Beſondere verkleiden könne, das begreife ich ganz und gar nicht. Wollte man mit aller Gewalt ein ähnliches Wort hier brauchen, ſo müßte es an- ſtatt verkleiden wenigſtens einkleiden heiſſen. Von einem deutſchen Kunſtrichter hätte ich über- haupt dergleichen figürliche Wörter in einer Erklä- rung nicht erwartet. Ein Breitinger hätte es den ſchön vernünſtelnden Franzoſen überlaſſen ſollen, ſich damit aus dem Handel zu wickeln; und ihm würde es ſehr wohl angeſtanden haben, wenn er uns mit den

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/162>, abgerufen am 26.04.2024.