etwas wirklich Geschehenes. Der Commentator müßte also diese Stelle so umschreiben: Die Exem- pel werden entweder aus der Geschichte genommen, oder in Ermanglung derselben erdichtet. Bey jedem geschehenen Dinge läßt sich die innere Möglichkeit von seiner Wirklichkeit unterscheiden, obgleich nicht trennen, wenn es ein geschehenes Ding bleiben soll. Die Kraft, die es als ein Exempel haben soll, liegt also entweder in seiner blossen Möglichkeit, oder zugleich in seiner Wirklichkeit. Soll sie bloß in jener liegen, so brauchen wir, in seiner Ermanglung, auch nur ein bloß mögliches Ding zu erdichten; soll sie aber in dieser liegen, so müssen wir auch unsere Erdichtung von der Möglichkeit zur Wirklichkeit erheben. In dem er- sten Falle erdichten wir eine Parabel, und in dem andern eine Fabel. -- (Was für eine weitere Ein- theilung der Fabel hieraus folge, wird sich in der dritten Abhandlung zeigen).
Und so weit ist wider die Lehre des Griechen eigent- lich nichts zu erinnern. Aber nunmehr kömmt er auf den Werth dieser verschiedenen Arten von Exem- peln, und sagt: Eisi d oi logoi demegorikoi: kai
ekhouson
L 5
etwas wirklich Geſchehenes. Der Commentator müßte alſo dieſe Stelle ſo umſchreiben: Die Exem- pel werden entweder aus der Geſchichte genommen, oder in Ermanglung derſelben erdichtet. Bey jedem geſchehenen Dinge läßt ſich die innere Möglichkeit von ſeiner Wirklichkeit unterſcheiden, obgleich nicht trennen, wenn es ein geſchehenes Ding bleiben ſoll. Die Kraft, die es als ein Exempel haben ſoll, liegt alſo entweder in ſeiner bloſſen Möglichkeit, oder zugleich in ſeiner Wirklichkeit. Soll ſie bloß in jener liegen, ſo brauchen wir, in ſeiner Ermanglung, auch nur ein bloß mögliches Ding zu erdichten; ſoll ſie aber in dieſer liegen, ſo müſſen wir auch unſere Erdichtung von der Möglichkeit zur Wirklichkeit erheben. In dem er- ſten Falle erdichten wir eine Parabel, und in dem andern eine Fabel. — (Was für eine weitere Ein- theilung der Fabel hieraus folge, wird ſich in der dritten Abhandlung zeigen).
Und ſo weit iſt wider die Lehre des Griechen eigent- lich nichts zu erinnern. Aber nunmehr kömmt er auf den Werth dieſer verſchiedenen Arten von Exem- peln, und ſagt: Εισι δ̛ οἱ λογοι δημηγορικοι: ϰαι
ἐχουσον
L 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0189"n="169"/>
etwas wirklich Geſchehenes. Der Commentator<lb/>
müßte alſo dieſe Stelle ſo umſchreiben: Die Exem-<lb/>
pel werden entweder aus der Geſchichte genommen,<lb/>
oder in Ermanglung derſelben erdichtet. Bey jedem<lb/>
geſchehenen Dinge läßt ſich die innere Möglichkeit<lb/>
von ſeiner Wirklichkeit unterſcheiden, obgleich nicht<lb/>
trennen, wenn es ein geſchehenes Ding bleiben ſoll.<lb/>
Die Kraft, die es als ein Exempel haben ſoll, liegt alſo<lb/>
entweder in ſeiner bloſſen Möglichkeit, oder zugleich in<lb/>ſeiner Wirklichkeit. Soll ſie bloß in jener liegen, ſo<lb/>
brauchen wir, in ſeiner Ermanglung, auch nur ein bloß<lb/>
mögliches Ding zu erdichten; ſoll ſie aber in dieſer<lb/>
liegen, ſo müſſen wir auch unſere Erdichtung von der<lb/>
Möglichkeit zur Wirklichkeit erheben. In dem er-<lb/>ſten Falle erdichten wir eine <hirendition="#fr">Parabel,</hi> und in dem<lb/>
andern eine <hirendition="#fr">Fabel.</hi>— (Was für eine weitere Ein-<lb/>
theilung der <hirendition="#fr">Fabel</hi> hieraus folge, wird ſich in der<lb/>
dritten Abhandlung zeigen).</p><lb/><p>Und ſo weit iſt wider die Lehre des Griechen eigent-<lb/>
lich nichts zu erinnern. Aber nunmehr kömmt er<lb/>
auf den Werth dieſer verſchiedenen Arten von Exem-<lb/>
peln, und ſagt: <cit><quote>Εισιδ̛οἱλογοιδημηγορικοι: ϰαι<lb/><fwplace="bottom"type="sig">L 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">ἐχουσον</fw><lb/></quote></cit></p></div></div></div></body></text></TEI>
[169/0189]
etwas wirklich Geſchehenes. Der Commentator
müßte alſo dieſe Stelle ſo umſchreiben: Die Exem-
pel werden entweder aus der Geſchichte genommen,
oder in Ermanglung derſelben erdichtet. Bey jedem
geſchehenen Dinge läßt ſich die innere Möglichkeit
von ſeiner Wirklichkeit unterſcheiden, obgleich nicht
trennen, wenn es ein geſchehenes Ding bleiben ſoll.
Die Kraft, die es als ein Exempel haben ſoll, liegt alſo
entweder in ſeiner bloſſen Möglichkeit, oder zugleich in
ſeiner Wirklichkeit. Soll ſie bloß in jener liegen, ſo
brauchen wir, in ſeiner Ermanglung, auch nur ein bloß
mögliches Ding zu erdichten; ſoll ſie aber in dieſer
liegen, ſo müſſen wir auch unſere Erdichtung von der
Möglichkeit zur Wirklichkeit erheben. In dem er-
ſten Falle erdichten wir eine Parabel, und in dem
andern eine Fabel. — (Was für eine weitere Ein-
theilung der Fabel hieraus folge, wird ſich in der
dritten Abhandlung zeigen).
Und ſo weit iſt wider die Lehre des Griechen eigent-
lich nichts zu erinnern. Aber nunmehr kömmt er
auf den Werth dieſer verſchiedenen Arten von Exem-
peln, und ſagt: Εισι δ̛ οἱ λογοι δημηγορικοι: ϰαι
ἐχουσον
L 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/189>, abgerufen am 15.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.