Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite


IV.
Von dem Vortrage der Fabeln.

Wie soll die Fabel vorgetragen werden? Ist hier-
inn Aesopus, oder ist Phädrus, oder ist la Fon-
taine
das wahre Muster?

Es ist nicht ausgemacht, ob Aesopus seine Fa-
beln selbst aufgeschrieben, und in ein Buch zusam-
men getragen hat. Aber das ist so gut als aus-
gemacht, daß, wenn er es auch gethan hat, doch
keine einzige davon durchaus mit seinen eigenen Wor-
ten auf uns gekommen ist. Ich verstehe also hier
die allerschönsten Fabeln in den verschiedenen grie-
chischen Sammlungen, welchen man seinen Namen
vorgesetzt hat. Nach diesen zu urtheilen, war sein
Vortrag von der äussersten Präcision; er hielt sich
nirgends bey Beschreibungen auf; er kam sogleich
zur Sache und eilte mit jedem Worte näher zum
Ende; er kannte kein Mittel zwischen dem Noth-

wendigen


IV.
Von dem Vortrage der Fabeln.

Wie ſoll die Fabel vorgetragen werden? Iſt hier-
inn Aeſopus, oder iſt Phädrus, oder iſt la Fon-
taine
das wahre Muſter?

Es iſt nicht ausgemacht, ob Aeſopus ſeine Fa-
beln ſelbſt aufgeſchrieben, und in ein Buch zuſam-
men getragen hat. Aber das iſt ſo gut als aus-
gemacht, daß, wenn er es auch gethan hat, doch
keine einzige davon durchaus mit ſeinen eigenen Wor-
ten auf uns gekommen iſt. Ich verſtehe alſo hier
die allerſchönſten Fabeln in den verſchiedenen grie-
chiſchen Sammlungen, welchen man ſeinen Namen
vorgeſetzt hat. Nach dieſen zu urtheilen, war ſein
Vortrag von der äuſſerſten Präciſion; er hielt ſich
nirgends bey Beſchreibungen auf; er kam ſogleich
zur Sache und eilte mit jedem Worte näher zum
Ende; er kannte kein Mittel zwiſchen dem Noth-

wendigen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0236" n="[216]"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">IV.</hi></hi><lb/>
Von dem Vortrage der Fabeln.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">W</hi>ie &#x017F;oll die Fabel vorgetragen werden? I&#x017F;t hier-<lb/>
inn <hi rendition="#fr">Ae&#x017F;opus,</hi> oder i&#x017F;t <hi rendition="#fr">Phädrus,</hi> oder i&#x017F;t <hi rendition="#fr">la Fon-<lb/>
taine</hi> das wahre Mu&#x017F;ter?</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t nicht ausgemacht, ob <hi rendition="#fr">Ae&#x017F;opus</hi> &#x017F;eine Fa-<lb/>
beln &#x017F;elb&#x017F;t aufge&#x017F;chrieben, und in ein Buch zu&#x017F;am-<lb/>
men getragen hat. Aber das i&#x017F;t &#x017F;o gut als aus-<lb/>
gemacht, daß, wenn er es auch gethan hat, doch<lb/>
keine einzige davon durchaus mit &#x017F;einen eigenen Wor-<lb/>
ten auf uns gekommen i&#x017F;t. Ich ver&#x017F;tehe al&#x017F;o hier<lb/>
die aller&#x017F;chön&#x017F;ten Fabeln in den ver&#x017F;chiedenen grie-<lb/>
chi&#x017F;chen Sammlungen, welchen man &#x017F;einen Namen<lb/>
vorge&#x017F;etzt hat. Nach die&#x017F;en zu urtheilen, war &#x017F;ein<lb/>
Vortrag von der äu&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ten Präci&#x017F;ion; er hielt &#x017F;ich<lb/>
nirgends bey Be&#x017F;chreibungen auf; er kam &#x017F;ogleich<lb/>
zur Sache und eilte mit jedem Worte näher zum<lb/>
Ende; er kannte kein Mittel zwi&#x017F;chen dem Noth-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wendigen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[216]/0236] IV. Von dem Vortrage der Fabeln. Wie ſoll die Fabel vorgetragen werden? Iſt hier- inn Aeſopus, oder iſt Phädrus, oder iſt la Fon- taine das wahre Muſter? Es iſt nicht ausgemacht, ob Aeſopus ſeine Fa- beln ſelbſt aufgeſchrieben, und in ein Buch zuſam- men getragen hat. Aber das iſt ſo gut als aus- gemacht, daß, wenn er es auch gethan hat, doch keine einzige davon durchaus mit ſeinen eigenen Wor- ten auf uns gekommen iſt. Ich verſtehe alſo hier die allerſchönſten Fabeln in den verſchiedenen grie- chiſchen Sammlungen, welchen man ſeinen Namen vorgeſetzt hat. Nach dieſen zu urtheilen, war ſein Vortrag von der äuſſerſten Präciſion; er hielt ſich nirgends bey Beſchreibungen auf; er kam ſogleich zur Sache und eilte mit jedem Worte näher zum Ende; er kannte kein Mittel zwiſchen dem Noth- wendigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/236
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. [216]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/236>, abgerufen am 23.04.2024.