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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)

ließ er das Haupt sincken, seufzte und gerieth in einen
sanften und lieblichen Schlummer, der einige Stun-
den dauerte, sich auch noch allezeit einstellet, so oft er
dieses heilsahme Werck lieset, wodurch ich dann, da
ich dieses schreibe, am 1. Mart. eine merckliche Besse-
rung gespüret. Seine Wirthin, eine fromme Ma-
trone, verwahret nunmehro dieses Gedicht, wovon
sie zwantzig Exemplaria gesammlet, mit grösserm
Fleiß, vermeint auch, dieses Hauß Mittel habe würck-
lich in gleichen Umständen bey ihrer eintzigen mann-
bahren Tochter schon von neuem seine Kraft bewie-
sen.

Jch finde diesen Casum ungemein merckwürdig,
und wünschte, daß die gelehrte Gesellschaften in und
ausser Deutschland solchen gründlich untersuchen
möchten. Durch langes Wachen waren freylich
die subtile flüchtigen Lebens Geister des Krancken,
sonderlich in parte cerebri corticali, in ausserordent-
liche Bewegung gesetzet worden. Den erfolgten
Schlummer konnte demnach nichts befördern, ohne
zugleich jene zu mäßigen und zu hemmen, (wie denn
Henricus Regius, der nebst dem du Hamel die Hirn-
Nerven zum Subjecto des Schlafes machet, folglich
vom Willisio abgehet, selbigen gleichwohl durch eine
subsidentiam s. arctationem cerebri & nervorum
erkläret:) wozu dann vor allen ein irrdisches, grobes,
ver dickendes, und einschläferndes Wesen, oder die
von einem neoterico so genannte vis inspissatoria er-
fodert wird. Da nun diese Kraft sich mitten im Le-
sen des oberwehnten Gedichtes geäussert, so mögen
andere ausmachen, ob sie in selbigem verborgen ge-
wesen und dem Patienten, nachdem sie dessen Ge-

dancken
(o)

ließ er das Haupt ſincken, ſeufzte und gerieth in einen
ſanften und lieblichen Schlummer, der einige Stun-
den dauerte, ſich auch noch allezeit einſtellet, ſo oft er
dieſes heilſahme Werck lieſet, wodurch ich dann, da
ich dieſes ſchreibe, am 1. Mart. eine merckliche Beſſe-
rung geſpuͤret. Seine Wirthin, eine fromme Ma-
trone, verwahret nunmehro dieſes Gedicht, wovon
ſie zwantzig Exemplaria geſammlet, mit groͤſſerm
Fleiß, vermeint auch, dieſes Hauß Mittel habe wuͤrck-
lich in gleichen Umſtaͤnden bey ihrer eintzigen mann-
bahren Tochter ſchon von neuem ſeine Kraft bewie-
ſen.

Jch finde dieſen Caſum ungemein merckwuͤrdig,
und wuͤnſchte, daß die gelehrte Geſellſchaften in und
auſſer Deutſchland ſolchen gruͤndlich unterſuchen
moͤchten. Durch langes Wachen waren freylich
die ſubtile fluͤchtigen Lebens Geiſter des Krancken,
ſonderlich in parte cerebri corticali, in auſſerordent-
liche Bewegung geſetzet worden. Den erfolgten
Schlummer konnte demnach nichts befoͤrdern, ohne
zugleich jene zu maͤßigen und zu hemmen, (wie denn
Henricus Regius, der nebſt dem du Hamel die Hirn-
Nerven zum Subjecto des Schlafes machet, folglich
vom Williſio abgehet, ſelbigen gleichwohl durch eine
ſubſidentiam ſ. arctationem cerebri & nervorum
erklaͤret:) wozu dann vor allen ein irrdiſches, grobes,
ver dickendes, und einſchlaͤferndes Weſen, oder die
von einem neoterico ſo genannte vis inſpiſſatoria er-
fodert wird. Da nun dieſe Kraft ſich mitten im Le-
ſen des oberwehnten Gedichtes geaͤuſſert, ſo moͤgen
andere ausmachen, ob ſie in ſelbigem verborgen ge-
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dancken
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[822/0914] (o) ließ er das Haupt ſincken, ſeufzte und gerieth in einen ſanften und lieblichen Schlummer, der einige Stun- den dauerte, ſich auch noch allezeit einſtellet, ſo oft er dieſes heilſahme Werck lieſet, wodurch ich dann, da ich dieſes ſchreibe, am 1. Mart. eine merckliche Beſſe- rung geſpuͤret. Seine Wirthin, eine fromme Ma- trone, verwahret nunmehro dieſes Gedicht, wovon ſie zwantzig Exemplaria geſammlet, mit groͤſſerm Fleiß, vermeint auch, dieſes Hauß Mittel habe wuͤrck- lich in gleichen Umſtaͤnden bey ihrer eintzigen mann- bahren Tochter ſchon von neuem ſeine Kraft bewie- ſen. Jch finde dieſen Caſum ungemein merckwuͤrdig, und wuͤnſchte, daß die gelehrte Geſellſchaften in und auſſer Deutſchland ſolchen gruͤndlich unterſuchen moͤchten. Durch langes Wachen waren freylich die ſubtile fluͤchtigen Lebens Geiſter des Krancken, ſonderlich in parte cerebri corticali, in auſſerordent- liche Bewegung geſetzet worden. Den erfolgten Schlummer konnte demnach nichts befoͤrdern, ohne zugleich jene zu maͤßigen und zu hemmen, (wie denn Henricus Regius, der nebſt dem du Hamel die Hirn- Nerven zum Subjecto des Schlafes machet, folglich vom Williſio abgehet, ſelbigen gleichwohl durch eine ſubſidentiam ſ. arctationem cerebri & nervorum erklaͤret:) wozu dann vor allen ein irrdiſches, grobes, ver dickendes, und einſchlaͤferndes Weſen, oder die von einem neoterico ſo genannte vis inſpiſſatoria er- fodert wird. Da nun dieſe Kraft ſich mitten im Le- ſen des oberwehnten Gedichtes geaͤuſſert, ſo moͤgen andere ausmachen, ob ſie in ſelbigem verborgen ge- weſen und dem Patienten, nachdem ſie deſſen Ge- dancken

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 822. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/914>, abgerufen am 24.04.2024.