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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Einleitung. II. Das Strafgesetz.
§. 15.
Allgemeine und besondere Strafgesetze.1

I. Die Einteilung der Strafrechtssätze in allgemeine und
besondere hat nur dann Bedeutung, wenn sie maßgebend
wird für die wissenschaftliche Darstellung des Strafrechtes,
so daß aus dieser die besonderen Rechtssätze ausgeschieden
werden. Bei der Bestimmung der Grenzlinie zwischen den
allgemeinen und den besonderen Strafgesetzen kann man von
einem verschiedenen Standpunkte ausgehen.

1. Man kann als allgemeine Strafrechtssätze die in dem
Strafgesetzbuche selbst, als besondere die in Spezialge-
setzen
enthaltenen betrachten. Dies der gewöhnliche Stand-
punkt der Lehrbücher (mit einer kleinen aber darum um so
weniger gerechtfertigten Ausnahme bezüglich des Nachdrucks).
Dieser Standpunkt ist durchaus unhaltbar. In den Spe-
zialgesetzen finden sich theoretisch und praktisch außerordentlich
wichtige Bestimmungen, ohne deren Berücksichtigung Kenntnis
und Verständnis des deutschen Strafrechts mangelhaft bleiben
müssen. Dazu kommt, daß die Aufnahme eines Rechtssatzes
in das Strafgesetzbuch selbst oder in ein Spezialgesetz vielfach
durch rein zufällige Umstände bestimmt wird; so fanden sich
die Bestimmungen über Bankbruch früher in dem StGB.,
während sie jetzt in der Konkursordnung stehen.

2. Man könnte als Sonderrecht jene Normen be-
zeichnen, die sich nicht an alle Staatsbürger wenden, son-
dern nur von gewissen Gruppen -- Beamten, Geistlichen,
Militärpersonen, Gewerbetreibenden -- Gehorsam heischen.
Diese Unterscheidung, prinzipiell gewiß richtig, empfiehlt sich

1 Vgl. dazu Binding Grundriß S. 47.
Einleitung. II. Das Strafgeſetz.
§. 15.
Allgemeine und beſondere Strafgeſetze.1

I. Die Einteilung der Strafrechtsſätze in allgemeine und
beſondere hat nur dann Bedeutung, wenn ſie maßgebend
wird für die wiſſenſchaftliche Darſtellung des Strafrechtes,
ſo daß aus dieſer die beſonderen Rechtsſätze ausgeſchieden
werden. Bei der Beſtimmung der Grenzlinie zwiſchen den
allgemeinen und den beſonderen Strafgeſetzen kann man von
einem verſchiedenen Standpunkte ausgehen.

1. Man kann als allgemeine Strafrechtsſätze die in dem
Strafgeſetzbuche ſelbſt, als beſondere die in Spezialge-
ſetzen
enthaltenen betrachten. Dies der gewöhnliche Stand-
punkt der Lehrbücher (mit einer kleinen aber darum um ſo
weniger gerechtfertigten Ausnahme bezüglich des Nachdrucks).
Dieſer Standpunkt iſt durchaus unhaltbar. In den Spe-
zialgeſetzen finden ſich theoretiſch und praktiſch außerordentlich
wichtige Beſtimmungen, ohne deren Berückſichtigung Kenntnis
und Verſtändnis des deutſchen Strafrechts mangelhaft bleiben
müſſen. Dazu kommt, daß die Aufnahme eines Rechtsſatzes
in das Strafgeſetzbuch ſelbſt oder in ein Spezialgeſetz vielfach
durch rein zufällige Umſtände beſtimmt wird; ſo fanden ſich
die Beſtimmungen über Bankbruch früher in dem StGB.,
während ſie jetzt in der Konkursordnung ſtehen.

2. Man könnte als Sonderrecht jene Normen be-
zeichnen, die ſich nicht an alle Staatsbürger wenden, ſon-
dern nur von gewiſſen Gruppen — Beamten, Geiſtlichen,
Militärperſonen, Gewerbetreibenden — Gehorſam heiſchen.
Dieſe Unterſcheidung, prinzipiell gewiß richtig, empfiehlt ſich

1 Vgl. dazu Binding Grundriß S. 47.
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[60/0086] Einleitung. II. Das Strafgeſetz. §. 15. Allgemeine und beſondere Strafgeſetze. 1 I. Die Einteilung der Strafrechtsſätze in allgemeine und beſondere hat nur dann Bedeutung, wenn ſie maßgebend wird für die wiſſenſchaftliche Darſtellung des Strafrechtes, ſo daß aus dieſer die beſonderen Rechtsſätze ausgeſchieden werden. Bei der Beſtimmung der Grenzlinie zwiſchen den allgemeinen und den beſonderen Strafgeſetzen kann man von einem verſchiedenen Standpunkte ausgehen. 1. Man kann als allgemeine Strafrechtsſätze die in dem Strafgeſetzbuche ſelbſt, als beſondere die in Spezialge- ſetzen enthaltenen betrachten. Dies der gewöhnliche Stand- punkt der Lehrbücher (mit einer kleinen aber darum um ſo weniger gerechtfertigten Ausnahme bezüglich des Nachdrucks). Dieſer Standpunkt iſt durchaus unhaltbar. In den Spe- zialgeſetzen finden ſich theoretiſch und praktiſch außerordentlich wichtige Beſtimmungen, ohne deren Berückſichtigung Kenntnis und Verſtändnis des deutſchen Strafrechts mangelhaft bleiben müſſen. Dazu kommt, daß die Aufnahme eines Rechtsſatzes in das Strafgeſetzbuch ſelbſt oder in ein Spezialgeſetz vielfach durch rein zufällige Umſtände beſtimmt wird; ſo fanden ſich die Beſtimmungen über Bankbruch früher in dem StGB., während ſie jetzt in der Konkursordnung ſtehen. 2. Man könnte als Sonderrecht jene Normen be- zeichnen, die ſich nicht an alle Staatsbürger wenden, ſon- dern nur von gewiſſen Gruppen — Beamten, Geiſtlichen, Militärperſonen, Gewerbetreibenden — Gehorſam heiſchen. Dieſe Unterſcheidung, prinzipiell gewiß richtig, empfiehlt ſich 1 Vgl. dazu Binding Grundriß S. 47.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/86>, abgerufen am 28.03.2024.