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Löwenfeld, Leopold: Student und Alkohol. München, 1910.

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Für Sie ergibt sich hieraus der gewiß sehr zu berücksichtigende Umstand, daß ein Studierender, der gewohnheitsmäßig Tag für Tag 2 l Bier konsumiert, -- dies ist ein Fall, der gewiß sehr häufig vorkommt --, seine geistige Arbeitskraft in einem Zustande andauernder Verminderung erhält.

Wie Sie ersehen, ist der habituelle, sogenannte mäßige Alkoholgenuß für den geistig Arbeitenden keine ganz gleichgiltige Sache. Daß die Unmäßigkeit in alcoholicis viel üblere Folgen hat, ist Ihnen wohl zur Genüge bekannt. Sie verringert nicht nur die Arbeitsfähigkeit in höherem Maße, sie führt auch zu einem Sinken des moralischen Niveaus, einer Abschwächung des Ehr- und Pflichtgefühls, einer Vernachlässigung der Rücksichten, die man seiner Stellung, seiner Familie und seinem Stande schuldet. An der Verbummelung von Semestern mit ihren unliebsamen Folgen, an den Durchfällen und schlechten Resultaten bei den Prüfungen, an dem gänzlichen Scheitern so mancher studentischen Existenz hat der Alkohol zweifellos den Hauptanteil, und auch diejenigen Studierenden, welche die ihnen durch den Alkohol zugefügte Schädigung ihrer Arbeitskraft durch große Willensanspannung allmählich überwinden, haben in ihrem späteren Leben häufig genug noch unter den Folgen ihres allzu flotten Studentenlebens zu leiden.

Was nun die dem Alkohol zugeschriebene anregende Wirkung auf die Produktivität der Dichter und bildenden Künstler anbelangt, so beruht dieselbe im wesentlichen auf einer Täuschung. Es mag wohl sein, daß durch den Alkohol im Einzelfalle die Fantasie zu lebhafterer Tätigkeit angeregt wird, allein damit wird noch nicht die Schaffung eines Kunstwerkes erleichtert. Die unter dem Einflusse des Alkohols entstandenen Geistesprodukte sind minderwertig, da an ihnen die erforderliche Kritik nicht geübt wird. Altmeister Goethe hat über diesen Sachverhalt keinen Zweifel gelassen. In seinen Gesprächen mit Eckermann bemerkt er bezüglich des dramatischen Dichters: "Wollte er (der dramatische Dichter) durch geistige Getränke die mangelnde Produktivität herbeinötigen, die unzulängliche dadurch steigern, so würde dies allenfalls auch wohl gehen, allein man würde es allen Szenen, die er auf solche Weise gewissermaßen forciert hätte, zu ihrem großen Nachteile anmerken."

Bezüglich seines großen Freundes Schiller bemerkt er: "Er hat nie viel getrunken, er war sehr mäßig; aber in solchen Augenblicken körperlicher Schwäche suchte er seine Kraft durch Likörs oder ähnliches Spirituoses zu steigern. Das aber zehrte an seiner Gesundheit und war auch der Produktion selbst schädlich, denn was gescheute Köpfe an seinen Sachen aussetzen, leite ich aus dieser Quelle her."

Für Sie ergibt sich hieraus der gewiß sehr zu berücksichtigende Umstand, daß ein Studierender, der gewohnheitsmäßig Tag für Tag 2 l Bier konsumiert, — dies ist ein Fall, der gewiß sehr häufig vorkommt —, seine geistige Arbeitskraft in einem Zustande andauernder Verminderung erhält.

Wie Sie ersehen, ist der habituelle, sogenannte mäßige Alkoholgenuß für den geistig Arbeitenden keine ganz gleichgiltige Sache. Daß die Unmäßigkeit in alcoholicis viel üblere Folgen hat, ist Ihnen wohl zur Genüge bekannt. Sie verringert nicht nur die Arbeitsfähigkeit in höherem Maße, sie führt auch zu einem Sinken des moralischen Niveaus, einer Abschwächung des Ehr- und Pflichtgefühls, einer Vernachlässigung der Rücksichten, die man seiner Stellung, seiner Familie und seinem Stande schuldet. An der Verbummelung von Semestern mit ihren unliebsamen Folgen, an den Durchfällen und schlechten Resultaten bei den Prüfungen, an dem gänzlichen Scheitern so mancher studentischen Existenz hat der Alkohol zweifellos den Hauptanteil, und auch diejenigen Studierenden, welche die ihnen durch den Alkohol zugefügte Schädigung ihrer Arbeitskraft durch große Willensanspannung allmählich überwinden, haben in ihrem späteren Leben häufig genug noch unter den Folgen ihres allzu flotten Studentenlebens zu leiden.

Was nun die dem Alkohol zugeschriebene anregende Wirkung auf die Produktivität der Dichter und bildenden Künstler anbelangt, so beruht dieselbe im wesentlichen auf einer Täuschung. Es mag wohl sein, daß durch den Alkohol im Einzelfalle die Fantasie zu lebhafterer Tätigkeit angeregt wird, allein damit wird noch nicht die Schaffung eines Kunstwerkes erleichtert. Die unter dem Einflusse des Alkohols entstandenen Geistesprodukte sind minderwertig, da an ihnen die erforderliche Kritik nicht geübt wird. Altmeister Goethe hat über diesen Sachverhalt keinen Zweifel gelassen. In seinen Gesprächen mit Eckermann bemerkt er bezüglich des dramatischen Dichters: „Wollte er (der dramatische Dichter) durch geistige Getränke die mangelnde Produktivität herbeinötigen, die unzulängliche dadurch steigern, so würde dies allenfalls auch wohl gehen, allein man würde es allen Szenen, die er auf solche Weise gewissermaßen forciert hätte, zu ihrem großen Nachteile anmerken.“

Bezüglich seines großen Freundes Schiller bemerkt er: „Er hat nie viel getrunken, er war sehr mäßig; aber in solchen Augenblicken körperlicher Schwäche suchte er seine Kraft durch Likörs oder ähnliches Spirituoses zu steigern. Das aber zehrte an seiner Gesundheit und war auch der Produktion selbst schädlich, denn was gescheute Köpfe an seinen Sachen aussetzen, leite ich aus dieser Quelle her.“

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[11/0013] Für Sie ergibt sich hieraus der gewiß sehr zu berücksichtigende Umstand, daß ein Studierender, der gewohnheitsmäßig Tag für Tag 2 l Bier konsumiert, — dies ist ein Fall, der gewiß sehr häufig vorkommt —, seine geistige Arbeitskraft in einem Zustande andauernder Verminderung erhält. Wie Sie ersehen, ist der habituelle, sogenannte mäßige Alkoholgenuß für den geistig Arbeitenden keine ganz gleichgiltige Sache. Daß die Unmäßigkeit in alcoholicis viel üblere Folgen hat, ist Ihnen wohl zur Genüge bekannt. Sie verringert nicht nur die Arbeitsfähigkeit in höherem Maße, sie führt auch zu einem Sinken des moralischen Niveaus, einer Abschwächung des Ehr- und Pflichtgefühls, einer Vernachlässigung der Rücksichten, die man seiner Stellung, seiner Familie und seinem Stande schuldet. An der Verbummelung von Semestern mit ihren unliebsamen Folgen, an den Durchfällen und schlechten Resultaten bei den Prüfungen, an dem gänzlichen Scheitern so mancher studentischen Existenz hat der Alkohol zweifellos den Hauptanteil, und auch diejenigen Studierenden, welche die ihnen durch den Alkohol zugefügte Schädigung ihrer Arbeitskraft durch große Willensanspannung allmählich überwinden, haben in ihrem späteren Leben häufig genug noch unter den Folgen ihres allzu flotten Studentenlebens zu leiden. Was nun die dem Alkohol zugeschriebene anregende Wirkung auf die Produktivität der Dichter und bildenden Künstler anbelangt, so beruht dieselbe im wesentlichen auf einer Täuschung. Es mag wohl sein, daß durch den Alkohol im Einzelfalle die Fantasie zu lebhafterer Tätigkeit angeregt wird, allein damit wird noch nicht die Schaffung eines Kunstwerkes erleichtert. Die unter dem Einflusse des Alkohols entstandenen Geistesprodukte sind minderwertig, da an ihnen die erforderliche Kritik nicht geübt wird. Altmeister Goethe hat über diesen Sachverhalt keinen Zweifel gelassen. In seinen Gesprächen mit Eckermann bemerkt er bezüglich des dramatischen Dichters: „Wollte er (der dramatische Dichter) durch geistige Getränke die mangelnde Produktivität herbeinötigen, die unzulängliche dadurch steigern, so würde dies allenfalls auch wohl gehen, allein man würde es allen Szenen, die er auf solche Weise gewissermaßen forciert hätte, zu ihrem großen Nachteile anmerken.“ Bezüglich seines großen Freundes Schiller bemerkt er: „Er hat nie viel getrunken, er war sehr mäßig; aber in solchen Augenblicken körperlicher Schwäche suchte er seine Kraft durch Likörs oder ähnliches Spirituoses zu steigern. Das aber zehrte an seiner Gesundheit und war auch der Produktion selbst schädlich, denn was gescheute Köpfe an seinen Sachen aussetzen, leite ich aus dieser Quelle her.“

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Zitationshilfe: Löwenfeld, Leopold: Student und Alkohol. München, 1910, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/loewenfeld_student_1910/13>, abgerufen am 19.04.2024.