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Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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werden, und zittre noch mehr, wenn sie sich durchschlagen. Wer weiß, ob wir Pistor wiedersehen.

Diese Besorgnisse wurden endlich entschieden, die Liebenden sahen sich wieder, sahen sich fast täglich, da Mariane viel bei Frau von Pistor, Leo öfter als sonst in Ellinger's Hause war. Gleiche Kränkung drückte beide Männer, Pistor trug indessen sein Schicksal ruhiger, er arbeitete viel, indem er unter fremdem Namen über historische und kriegswissenschaftliche Gegenstände schrieb; eine neue Thätigkeit, die seinen Geist von der Gegenwart abzog, da hingegen Ellinger's Geschäfte fortwährend mit seinem Verdruß zusammenhingen. Je mehr indessen Leo die Stunden in Marianens Familienkreise als wirksamen Trost empfand, je größeres Bedürfniß wurde es ihm, seine Liebe von ihrem Vater gebilligt zu sehen. Sobald er also den ersten günstigen Erfolg seiner Thätigkeit erntete, beschloß er mit Ellinger zu sprechen. Marianen erschreckte und überraschte der Gedanke, sie war nicht ganz ohne Furcht vor dem entscheidenden Schritt; seit sie Leo wieder hatte, seit er etwas ruhiger geworden war, schien ihr ihre Lage glücklich genug, um nichts daran verrücken zu wollen, und eben jetzt, da des Vaters Stimmung täglich finsterer wurde, da er oft um geringer Anlässe willen hart sein konnte, fehlte ihr der Muth, das Vertrauen zu seiner Güte. Leo's offener männlicher Sinn kannte keine solche Bedenklichkeit, allein er sah ihre Angst, wollte ihr die peinliche Erwartung ersparen und ging deßhalb an einem Sommerabend, als Ma-

werden, und zittre noch mehr, wenn sie sich durchschlagen. Wer weiß, ob wir Pistor wiedersehen.

Diese Besorgnisse wurden endlich entschieden, die Liebenden sahen sich wieder, sahen sich fast täglich, da Mariane viel bei Frau von Pistor, Leo öfter als sonst in Ellinger's Hause war. Gleiche Kränkung drückte beide Männer, Pistor trug indessen sein Schicksal ruhiger, er arbeitete viel, indem er unter fremdem Namen über historische und kriegswissenschaftliche Gegenstände schrieb; eine neue Thätigkeit, die seinen Geist von der Gegenwart abzog, da hingegen Ellinger's Geschäfte fortwährend mit seinem Verdruß zusammenhingen. Je mehr indessen Leo die Stunden in Marianens Familienkreise als wirksamen Trost empfand, je größeres Bedürfniß wurde es ihm, seine Liebe von ihrem Vater gebilligt zu sehen. Sobald er also den ersten günstigen Erfolg seiner Thätigkeit erntete, beschloß er mit Ellinger zu sprechen. Marianen erschreckte und überraschte der Gedanke, sie war nicht ganz ohne Furcht vor dem entscheidenden Schritt; seit sie Leo wieder hatte, seit er etwas ruhiger geworden war, schien ihr ihre Lage glücklich genug, um nichts daran verrücken zu wollen, und eben jetzt, da des Vaters Stimmung täglich finsterer wurde, da er oft um geringer Anlässe willen hart sein konnte, fehlte ihr der Muth, das Vertrauen zu seiner Güte. Leo's offener männlicher Sinn kannte keine solche Bedenklichkeit, allein er sah ihre Angst, wollte ihr die peinliche Erwartung ersparen und ging deßhalb an einem Sommerabend, als Ma-

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Zitationshilfe: Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/17>, abgerufen am 24.04.2024.