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Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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liches fassen, wie ihr heute in Gottes Natur zu Theil geworden war. Den Vater, die Kinder und Börner fand sie schon bei Tische, setzte sich und erzählte, nahm keinen Theil an dem Mahle, sorgte aber mit liebenswürdiger Wirthlichkeit um so mehr für die Andern. Sie ward es nicht gewahr, daß ihr Vater bei ihren Scherzen, bei ihrer Freude stiller und düsterer wurde, und wenn sie auch zuweilen einem durchdringenden, sonderbaren Blicke von Börner begegnete, der heute kein Auge von ihr wandte, dachte sie sich doch nichts dabei. Nun verließ sie der Gast, sie sagte dem Vater gute Nacht, an jede ihrer Hände hing sich eine Schwester, und so ging der fröhliche Lauf nach Justinens Zimmer. Mariane, sagte Lottchen, der Hauptmann war da; will er verreisen? Er nahm Abschied von uns, und -- du wirst es nicht glauben -- es kam mir vor, als ob er weinte.

Wunderliches Kind, erwiderte Mariane, das werde ich dir freilich nicht glauben. Solch ein Mann weint nicht, wie ich und du. Ich denke, er würde selbst den Abschied von Ellinger's Lottchen standhaft ertragen.

Es ist kein Mensch vor Thränen sicher, sagte Justine leise, darüber darf man nicht spaßen.

Ach, da hast du recht, liebe Justine, antwortete Mariane, ein einziger ernstlicher Gedanke an solche Möglichkeit möchte mich wohl lange vor allem Muthwillen bewahren. Sollte ich jemals Thränen in Leo's Augen sehen, sie würden mich mehr erschüttern, als aller Jam-

liches fassen, wie ihr heute in Gottes Natur zu Theil geworden war. Den Vater, die Kinder und Börner fand sie schon bei Tische, setzte sich und erzählte, nahm keinen Theil an dem Mahle, sorgte aber mit liebenswürdiger Wirthlichkeit um so mehr für die Andern. Sie ward es nicht gewahr, daß ihr Vater bei ihren Scherzen, bei ihrer Freude stiller und düsterer wurde, und wenn sie auch zuweilen einem durchdringenden, sonderbaren Blicke von Börner begegnete, der heute kein Auge von ihr wandte, dachte sie sich doch nichts dabei. Nun verließ sie der Gast, sie sagte dem Vater gute Nacht, an jede ihrer Hände hing sich eine Schwester, und so ging der fröhliche Lauf nach Justinens Zimmer. Mariane, sagte Lottchen, der Hauptmann war da; will er verreisen? Er nahm Abschied von uns, und — du wirst es nicht glauben — es kam mir vor, als ob er weinte.

Wunderliches Kind, erwiderte Mariane, das werde ich dir freilich nicht glauben. Solch ein Mann weint nicht, wie ich und du. Ich denke, er würde selbst den Abschied von Ellinger's Lottchen standhaft ertragen.

Es ist kein Mensch vor Thränen sicher, sagte Justine leise, darüber darf man nicht spaßen.

Ach, da hast du recht, liebe Justine, antwortete Mariane, ein einziger ernstlicher Gedanke an solche Möglichkeit möchte mich wohl lange vor allem Muthwillen bewahren. Sollte ich jemals Thränen in Leo's Augen sehen, sie würden mich mehr erschüttern, als aller Jam-

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Zitationshilfe: Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 63–137. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohmann_hochkirch_1910/24>, abgerufen am 28.03.2024.