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Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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niederzulegen. Während aber meine Aufmerksamkeit gar keinen Zweifel zu lassen schien, wie sehr ich die mütterlichen Leiden und Freuden nachempfand, sah ich doch zugleich mit Theilnahme, wie der Wirth hinter dem Schenktisch den landwirthschaftlichen Anzeiger aus der Kreisstadt zur triefenden Küchenlampe hielt und tief in der Stille forschte, wo die Vieh- und Körner-Preise verzeichnet waren, wie er dann auf den Stuhl sich warf, einnickte, aber plötzlich auffuhr, hastig nach demselben Blatte griff, als hätten sich die Preise inzwischen geändert, und wieder einnickte; wie bei jeder solchen Bewegung der große Haushund sich erhob, von Bank zu Bank schnuppernd die Runde machte und mit Ausnahme eines Winkels, den er anstarrte und wo er vielleicht den Kater zu sehen erwartete, Alles in Ordnung fand und sich wieder zum Ofen legte. Alles dies spielte sich trotz seiner Gewöhnlichkeit wie in einem Nebel der Behaglichkeit vor mir ab, bis plötzlich Wirth und Hund, Stube und Gäste vor mir zu versinken schienen, und Aug' und Ohr sich ganz und ausschließlich auf die schwatzende Wirthin richteten. Denn sie hatte eben unversehens den Namen der Freifrau von Börte genannt, worauf ich bisher gelauert, was ich aber gerade durch eine Anfrage hervorzurufen mich wohl gehütet hatte.

Wer hat sich an Ihr Bett gesetzt, Frau Wirthin und geweint und geschluchzt? fragte ich, als ob ich den Namen nicht verstanden hätte.

Der Bräutigam der Frau von Börte, wiederholte

niederzulegen. Während aber meine Aufmerksamkeit gar keinen Zweifel zu lassen schien, wie sehr ich die mütterlichen Leiden und Freuden nachempfand, sah ich doch zugleich mit Theilnahme, wie der Wirth hinter dem Schenktisch den landwirthschaftlichen Anzeiger aus der Kreisstadt zur triefenden Küchenlampe hielt und tief in der Stille forschte, wo die Vieh- und Körner-Preise verzeichnet waren, wie er dann auf den Stuhl sich warf, einnickte, aber plötzlich auffuhr, hastig nach demselben Blatte griff, als hätten sich die Preise inzwischen geändert, und wieder einnickte; wie bei jeder solchen Bewegung der große Haushund sich erhob, von Bank zu Bank schnuppernd die Runde machte und mit Ausnahme eines Winkels, den er anstarrte und wo er vielleicht den Kater zu sehen erwartete, Alles in Ordnung fand und sich wieder zum Ofen legte. Alles dies spielte sich trotz seiner Gewöhnlichkeit wie in einem Nebel der Behaglichkeit vor mir ab, bis plötzlich Wirth und Hund, Stube und Gäste vor mir zu versinken schienen, und Aug' und Ohr sich ganz und ausschließlich auf die schwatzende Wirthin richteten. Denn sie hatte eben unversehens den Namen der Freifrau von Börte genannt, worauf ich bisher gelauert, was ich aber gerade durch eine Anfrage hervorzurufen mich wohl gehütet hatte.

Wer hat sich an Ihr Bett gesetzt, Frau Wirthin und geweint und geschluchzt? fragte ich, als ob ich den Namen nicht verstanden hätte.

Der Bräutigam der Frau von Börte, wiederholte

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[0012] niederzulegen. Während aber meine Aufmerksamkeit gar keinen Zweifel zu lassen schien, wie sehr ich die mütterlichen Leiden und Freuden nachempfand, sah ich doch zugleich mit Theilnahme, wie der Wirth hinter dem Schenktisch den landwirthschaftlichen Anzeiger aus der Kreisstadt zur triefenden Küchenlampe hielt und tief in der Stille forschte, wo die Vieh- und Körner-Preise verzeichnet waren, wie er dann auf den Stuhl sich warf, einnickte, aber plötzlich auffuhr, hastig nach demselben Blatte griff, als hätten sich die Preise inzwischen geändert, und wieder einnickte; wie bei jeder solchen Bewegung der große Haushund sich erhob, von Bank zu Bank schnuppernd die Runde machte und mit Ausnahme eines Winkels, den er anstarrte und wo er vielleicht den Kater zu sehen erwartete, Alles in Ordnung fand und sich wieder zum Ofen legte. Alles dies spielte sich trotz seiner Gewöhnlichkeit wie in einem Nebel der Behaglichkeit vor mir ab, bis plötzlich Wirth und Hund, Stube und Gäste vor mir zu versinken schienen, und Aug' und Ohr sich ganz und ausschließlich auf die schwatzende Wirthin richteten. Denn sie hatte eben unversehens den Namen der Freifrau von Börte genannt, worauf ich bisher gelauert, was ich aber gerade durch eine Anfrage hervorzurufen mich wohl gehütet hatte. Wer hat sich an Ihr Bett gesetzt, Frau Wirthin und geweint und geschluchzt? fragte ich, als ob ich den Namen nicht verstanden hätte. Der Bräutigam der Frau von Börte, wiederholte

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:30:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:30:32Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/12>, abgerufen am 19.04.2024.