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Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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schein, daß er die ganze Nacht schrieb, wenn er nicht laut mit sich selbst sprach. Nachdem er des andern Tages abermals vom Schloß zurückgekehrt war, ohne daß sich in seinem Aussehen oder seiner Stimmung etwas geändert hatte, befahl er sein Pferd zu satteln. Er beschenkte die Leute mit Geld, mit Sachen, nicht wie sonst im überschwänglichen Drang, so viel als möglich von seinem Glücke mitzutheilen, sondern sichtlich nur, um so viel es anging von den Dingen dieser Welt los zu werden. Dann eilte er ohne Abschiedswort davon, und man sah ihn erst etwa ein Jahr später wieder, als der Freiherr von Börte gestorben und begraben war. Da schien der junge Mann einen verzweifelten Versuch zu machen, sich seiner ehemaligen Braut wieder zu nähern. Als dies aber vergebliche Mühe blieb, schied er, um nicht mehr wiederzukehren.

Begreiflicherweise hatte der räthselhafte Vorgang in der ganzen Gegend großes Aufsehen erregt und die lebhafteste Neugier nach der Erklärung desselben angefacht. Was man jedoch aus den in halber Geistesabwesenheit ausgestoßenen Aeußerungen des jungen Mannes und aus den Berichten der im Schlosse Bediensteten zusammenstellte, war wenig. Dennoch schien es zur Erklärung vollkommen auszureichen.

Die Tochter des Freiherrn von Börte hatte ganz einfach ihren Bräutigam nicht mehr sehen wollen, als er sich am Morgen nach der im Wirthshaus durchwachten Nacht im Schlosse eingefunden hatte. Vergebens waren

schein, daß er die ganze Nacht schrieb, wenn er nicht laut mit sich selbst sprach. Nachdem er des andern Tages abermals vom Schloß zurückgekehrt war, ohne daß sich in seinem Aussehen oder seiner Stimmung etwas geändert hatte, befahl er sein Pferd zu satteln. Er beschenkte die Leute mit Geld, mit Sachen, nicht wie sonst im überschwänglichen Drang, so viel als möglich von seinem Glücke mitzutheilen, sondern sichtlich nur, um so viel es anging von den Dingen dieser Welt los zu werden. Dann eilte er ohne Abschiedswort davon, und man sah ihn erst etwa ein Jahr später wieder, als der Freiherr von Börte gestorben und begraben war. Da schien der junge Mann einen verzweifelten Versuch zu machen, sich seiner ehemaligen Braut wieder zu nähern. Als dies aber vergebliche Mühe blieb, schied er, um nicht mehr wiederzukehren.

Begreiflicherweise hatte der räthselhafte Vorgang in der ganzen Gegend großes Aufsehen erregt und die lebhafteste Neugier nach der Erklärung desselben angefacht. Was man jedoch aus den in halber Geistesabwesenheit ausgestoßenen Aeußerungen des jungen Mannes und aus den Berichten der im Schlosse Bediensteten zusammenstellte, war wenig. Dennoch schien es zur Erklärung vollkommen auszureichen.

Die Tochter des Freiherrn von Börte hatte ganz einfach ihren Bräutigam nicht mehr sehen wollen, als er sich am Morgen nach der im Wirthshaus durchwachten Nacht im Schlosse eingefunden hatte. Vergebens waren

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[0019] schein, daß er die ganze Nacht schrieb, wenn er nicht laut mit sich selbst sprach. Nachdem er des andern Tages abermals vom Schloß zurückgekehrt war, ohne daß sich in seinem Aussehen oder seiner Stimmung etwas geändert hatte, befahl er sein Pferd zu satteln. Er beschenkte die Leute mit Geld, mit Sachen, nicht wie sonst im überschwänglichen Drang, so viel als möglich von seinem Glücke mitzutheilen, sondern sichtlich nur, um so viel es anging von den Dingen dieser Welt los zu werden. Dann eilte er ohne Abschiedswort davon, und man sah ihn erst etwa ein Jahr später wieder, als der Freiherr von Börte gestorben und begraben war. Da schien der junge Mann einen verzweifelten Versuch zu machen, sich seiner ehemaligen Braut wieder zu nähern. Als dies aber vergebliche Mühe blieb, schied er, um nicht mehr wiederzukehren. Begreiflicherweise hatte der räthselhafte Vorgang in der ganzen Gegend großes Aufsehen erregt und die lebhafteste Neugier nach der Erklärung desselben angefacht. Was man jedoch aus den in halber Geistesabwesenheit ausgestoßenen Aeußerungen des jungen Mannes und aus den Berichten der im Schlosse Bediensteten zusammenstellte, war wenig. Dennoch schien es zur Erklärung vollkommen auszureichen. Die Tochter des Freiherrn von Börte hatte ganz einfach ihren Bräutigam nicht mehr sehen wollen, als er sich am Morgen nach der im Wirthshaus durchwachten Nacht im Schlosse eingefunden hatte. Vergebens waren

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:30:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:30:32Z)

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Zitationshilfe: Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/19>, abgerufen am 28.03.2024.