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Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Er las und begab sich mit dem Briefe in der Hand in das Zimmer seiner Tochter. Eine besondere Aufregung hatte Gewalt über ihn gewonnen, in dem Grade, daß sie ihm Anfangs das Sprechen verwehrte. Endlich beantwortete er das stumme Erstaunen des Mädchens mit der Aufforderung, sich an seiner Seite niederzulassen und genau auf seine Worte zu achten.

Es ist dir unbekannt, begann er, daß unser Haus zwei Seitenlinien hat, welche beide den gräflichen Namen Rudenkron-Börte führen. Uralte Familienfeindschaft, die noch aus der Zeit des Glaubenswechsels während der Reformation stammt, hat sie uns bisher ferne gehalten, obgleich die Freiherren von Börte die eigentlichen Stammhalter des Geschlechtes sind. Von den beiden Linien ist die eine reich begütert, die andere ziemlich herabgekommen. Die Majoratsherren beider Häuser, noch unvermählt, führen beide den Vornamen Lothar. Einer von ihnen wirbt um deine Hand. Er will, von meinen finanziellen Verhältnissen unterrichtet, die äußerliche Stellung meines Hauses neu begründen helfen; er ist also der reiche Lothar. Durch die Verbindung will er zugleich eine traditionelle Feindschaft, die längst jedes berechtigte Motiv verloren hat, gründlich beenden. Ich stimme bei -- du natürlich auch.

Das Mädchen stand auf, legte die Hand auf die Stirne des Freiherrn und fragte mit ernster Besorgniß: Bist du nicht wohl, Papa?

Er drängte ihre Hand etwas unsanft zurück.

Er las und begab sich mit dem Briefe in der Hand in das Zimmer seiner Tochter. Eine besondere Aufregung hatte Gewalt über ihn gewonnen, in dem Grade, daß sie ihm Anfangs das Sprechen verwehrte. Endlich beantwortete er das stumme Erstaunen des Mädchens mit der Aufforderung, sich an seiner Seite niederzulassen und genau auf seine Worte zu achten.

Es ist dir unbekannt, begann er, daß unser Haus zwei Seitenlinien hat, welche beide den gräflichen Namen Rudenkron-Börte führen. Uralte Familienfeindschaft, die noch aus der Zeit des Glaubenswechsels während der Reformation stammt, hat sie uns bisher ferne gehalten, obgleich die Freiherren von Börte die eigentlichen Stammhalter des Geschlechtes sind. Von den beiden Linien ist die eine reich begütert, die andere ziemlich herabgekommen. Die Majoratsherren beider Häuser, noch unvermählt, führen beide den Vornamen Lothar. Einer von ihnen wirbt um deine Hand. Er will, von meinen finanziellen Verhältnissen unterrichtet, die äußerliche Stellung meines Hauses neu begründen helfen; er ist also der reiche Lothar. Durch die Verbindung will er zugleich eine traditionelle Feindschaft, die längst jedes berechtigte Motiv verloren hat, gründlich beenden. Ich stimme bei — du natürlich auch.

Das Mädchen stand auf, legte die Hand auf die Stirne des Freiherrn und fragte mit ernster Besorgniß: Bist du nicht wohl, Papa?

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[0043] Er las und begab sich mit dem Briefe in der Hand in das Zimmer seiner Tochter. Eine besondere Aufregung hatte Gewalt über ihn gewonnen, in dem Grade, daß sie ihm Anfangs das Sprechen verwehrte. Endlich beantwortete er das stumme Erstaunen des Mädchens mit der Aufforderung, sich an seiner Seite niederzulassen und genau auf seine Worte zu achten. Es ist dir unbekannt, begann er, daß unser Haus zwei Seitenlinien hat, welche beide den gräflichen Namen Rudenkron-Börte führen. Uralte Familienfeindschaft, die noch aus der Zeit des Glaubenswechsels während der Reformation stammt, hat sie uns bisher ferne gehalten, obgleich die Freiherren von Börte die eigentlichen Stammhalter des Geschlechtes sind. Von den beiden Linien ist die eine reich begütert, die andere ziemlich herabgekommen. Die Majoratsherren beider Häuser, noch unvermählt, führen beide den Vornamen Lothar. Einer von ihnen wirbt um deine Hand. Er will, von meinen finanziellen Verhältnissen unterrichtet, die äußerliche Stellung meines Hauses neu begründen helfen; er ist also der reiche Lothar. Durch die Verbindung will er zugleich eine traditionelle Feindschaft, die längst jedes berechtigte Motiv verloren hat, gründlich beenden. Ich stimme bei — du natürlich auch. Das Mädchen stand auf, legte die Hand auf die Stirne des Freiherrn und fragte mit ernster Besorgniß: Bist du nicht wohl, Papa? Er drängte ihre Hand etwas unsanft zurück.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:30:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:30:32Z)

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Zitationshilfe: Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/43>, abgerufen am 20.04.2024.