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Ludwig, Otto: Der Erbförster. Band 1: Dramatische Werke. Leipzig, 1853.

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Der Erbförster.
Andres.
Mutter! Mutter! (Er und der Pastor um sie beschäftigt am
Tische rechts.)
Stein (der unterdeß den Förster von ihr abzuhalten sucht).
Laß sie los, Wahnsinniger!
Förster.
Wahnsinnig? Gott gebe, daß ich's bin!
(Es pocht; entsetzt tritt er einen Schritt zurück und streckt abwehrend die
Hand gegen die Thür.)

Dummes Zeug! Was wollt Ihr denn? Ihr Alle da?
Das ist ja die Marie. Sie steht draußen und traut sich
nicht herein, weil sie in die Nacht hinausgelaufen ist.
Sie hat das Herz nicht; ich bin streng -- o ich bin
streng. Dummes Mädel!
(Er reißt sich selber auf.) Komme,
was da will!
(Er stürzt nach der Thür; eh' er sie erreicht, pocht
es nochmals; er tritt wieder entsetzt und ohnmächtig zurück.)
Das
hitzige Fieber grassirt -- weiter ist's nichts. Das sind
die Vorboten; Zähneklappen und Frösteln am Rückgrat
herab. Hollunderthee -- 's ist um eine Nacht Schweiß
oder zwei. -- Was hat das Pochen mit dem Fieber?
Warum macht Niemand auf? Ruf' doch eins herein.
Warum seid Ihr Alle so bleich und bringt die Zähne
nicht von einander? Hat eins Märchen erzählt und Ihr
graut Euch? Meine Marie war ein lebendig Märchen --
sie ist -- sie ist, will ich sagen. Daß die Marie todt wär,
das thut sie mir nicht zu Leid. Sie weiß, daß ich nicht
leben kann ohne meine Marie. Hört Ihr sie kichern
Der Erbförſter.
Andres.
Mutter! Mutter! (Er und der Paſtor um ſie beſchäftigt am
Tiſche rechts.)
Stein (der unterdeß den Förſter von ihr abzuhalten ſucht).
Laß ſie los, Wahnſinniger!
Förſter.
Wahnſinnig? Gott gebe, daß ich’s bin!
(Es pocht; entſetzt tritt er einen Schritt zurück und ſtreckt abwehrend die
Hand gegen die Thür.)

Dummes Zeug! Was wollt Ihr denn? Ihr Alle da?
Das iſt ja die Marie. Sie ſteht draußen und traut ſich
nicht herein, weil ſie in die Nacht hinausgelaufen iſt.
Sie hat das Herz nicht; ich bin ſtreng — o ich bin
ſtreng. Dummes Mädel!
(Er reißt ſich ſelber auf.) Komme,
was da will!
(Er ſtürzt nach der Thür; eh’ er ſie erreicht, pocht
es nochmals; er tritt wieder entſetzt und ohnmächtig zurück.)
Das
hitzige Fieber graſſirt — weiter iſt’s nichts. Das ſind
die Vorboten; Zähneklappen und Fröſteln am Rückgrat
herab. Hollunderthee — ’s iſt um eine Nacht Schweiß
oder zwei. — Was hat das Pochen mit dem Fieber?
Warum macht Niemand auf? Ruf’ doch eins herein.
Warum ſeid Ihr Alle ſo bleich und bringt die Zähne
nicht von einander? Hat eins Märchen erzählt und Ihr
graut Euch? Meine Marie war ein lebendig Märchen —
ſie iſt — ſie iſt, will ich ſagen. Daß die Marie todt wär,
das thut ſie mir nicht zu Leid. Sie weiß, daß ich nicht
leben kann ohne meine Marie. Hört Ihr ſie kichern
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[170/0184] Der Erbförſter. Andres. Mutter! Mutter! (Er und der Paſtor um ſie beſchäftigt am Tiſche rechts.) Stein (der unterdeß den Förſter von ihr abzuhalten ſucht). Laß ſie los, Wahnſinniger! Förſter. Wahnſinnig? Gott gebe, daß ich’s bin! (Es pocht; entſetzt tritt er einen Schritt zurück und ſtreckt abwehrend die Hand gegen die Thür.) Dummes Zeug! Was wollt Ihr denn? Ihr Alle da? Das iſt ja die Marie. Sie ſteht draußen und traut ſich nicht herein, weil ſie in die Nacht hinausgelaufen iſt. Sie hat das Herz nicht; ich bin ſtreng — o ich bin ſtreng. Dummes Mädel! (Er reißt ſich ſelber auf.) Komme, was da will! (Er ſtürzt nach der Thür; eh’ er ſie erreicht, pocht es nochmals; er tritt wieder entſetzt und ohnmächtig zurück.) Das hitzige Fieber graſſirt — weiter iſt’s nichts. Das ſind die Vorboten; Zähneklappen und Fröſteln am Rückgrat herab. Hollunderthee — ’s iſt um eine Nacht Schweiß oder zwei. — Was hat das Pochen mit dem Fieber? Warum macht Niemand auf? Ruf’ doch eins herein. Warum ſeid Ihr Alle ſo bleich und bringt die Zähne nicht von einander? Hat eins Märchen erzählt und Ihr graut Euch? Meine Marie war ein lebendig Märchen — ſie iſt — ſie iſt, will ich ſagen. Daß die Marie todt wär, das thut ſie mir nicht zu Leid. Sie weiß, daß ich nicht leben kann ohne meine Marie. Hört Ihr ſie kichern

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Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Der Erbförster. Band 1: Dramatische Werke. Leipzig, 1853, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_erbfoerster_1853/184>, abgerufen am 29.03.2024.