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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

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seinem Gesichte tiefer und flattern nicht mehr so schnell
darüber hin. Er betrachtet die schönen Züge der jun¬
gen Frau genauer, ja es ist, als ob er sie belauere,
als ob er sorgenvoll sich frage, ob sie den Ausdruck
von Widerwillen, der über ihnen hängt, behalten werde,
bis -- und klingt dann zufällig ein stärkerer Tritt von
der Straße herein an sein Ohr, dann schrickt er auf,
aber er vermeidet ihre schönen offenen Augen, die sie
nach ihm hin aufschlagen kann vom Klange des Tritts
geweckt.

Im Gärtchen kann der alte Valentin einem eben
so alten Herrn im blauen Rock nichts recht machen.
Er ist zu aufgeregt und horcht und sieht zu viel durch
den Zaun nach der Straße, darüber thut er bald zu
wenig, bald zu viel. Und der alte Herr schilt manch¬
mal, scheint es auch nur, um seine eigene Bewegung
zu verbergen. Die Hände zittern merklich, mit denen
er untersucht, ob die Buchsbaumeinfassung der kleinen
Beete auch so eigensinnig gleichmäßig geschoren ist, wie
er sie geschoren haben würde, besäß' er noch das scharfe
Aug' von ehedem. Der alte Valentin müßte eine
Thräne von den hohlen Backen wischen, wie es so oft
geschieht, über die Hülflosigkeit des alten Herrn und
tausend Vergleiche zwischen sonst und jetzt, die ihm
der Anblick derselben herbeiruft; aber seine Augen
und seine Gedanken sind auf der Straße vor dem
Zaun.

ſeinem Geſichte tiefer und flattern nicht mehr ſo ſchnell
darüber hin. Er betrachtet die ſchönen Züge der jun¬
gen Frau genauer, ja es iſt, als ob er ſie belauere,
als ob er ſorgenvoll ſich frage, ob ſie den Ausdruck
von Widerwillen, der über ihnen hängt, behalten werde,
bis — und klingt dann zufällig ein ſtärkerer Tritt von
der Straße herein an ſein Ohr, dann ſchrickt er auf,
aber er vermeidet ihre ſchönen offenen Augen, die ſie
nach ihm hin aufſchlagen kann vom Klange des Tritts
geweckt.

Im Gärtchen kann der alte Valentin einem eben
ſo alten Herrn im blauen Rock nichts recht machen.
Er iſt zu aufgeregt und horcht und ſieht zu viel durch
den Zaun nach der Straße, darüber thut er bald zu
wenig, bald zu viel. Und der alte Herr ſchilt manch¬
mal, ſcheint es auch nur, um ſeine eigene Bewegung
zu verbergen. Die Hände zittern merklich, mit denen
er unterſucht, ob die Buchsbaumeinfaſſung der kleinen
Beete auch ſo eigenſinnig gleichmäßig geſchoren iſt, wie
er ſie geſchoren haben würde, beſäß' er noch das ſcharfe
Aug' von ehedem. Der alte Valentin müßte eine
Thräne von den hohlen Backen wiſchen, wie es ſo oft
geſchieht, über die Hülfloſigkeit des alten Herrn und
tauſend Vergleiche zwiſchen ſonſt und jetzt, die ihm
der Anblick derſelben herbeiruft; aber ſeine Augen
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[37/0046] ſeinem Geſichte tiefer und flattern nicht mehr ſo ſchnell darüber hin. Er betrachtet die ſchönen Züge der jun¬ gen Frau genauer, ja es iſt, als ob er ſie belauere, als ob er ſorgenvoll ſich frage, ob ſie den Ausdruck von Widerwillen, der über ihnen hängt, behalten werde, bis — und klingt dann zufällig ein ſtärkerer Tritt von der Straße herein an ſein Ohr, dann ſchrickt er auf, aber er vermeidet ihre ſchönen offenen Augen, die ſie nach ihm hin aufſchlagen kann vom Klange des Tritts geweckt. Im Gärtchen kann der alte Valentin einem eben ſo alten Herrn im blauen Rock nichts recht machen. Er iſt zu aufgeregt und horcht und ſieht zu viel durch den Zaun nach der Straße, darüber thut er bald zu wenig, bald zu viel. Und der alte Herr ſchilt manch¬ mal, ſcheint es auch nur, um ſeine eigene Bewegung zu verbergen. Die Hände zittern merklich, mit denen er unterſucht, ob die Buchsbaumeinfaſſung der kleinen Beete auch ſo eigenſinnig gleichmäßig geſchoren iſt, wie er ſie geſchoren haben würde, beſäß' er noch das ſcharfe Aug' von ehedem. Der alte Valentin müßte eine Thräne von den hohlen Backen wiſchen, wie es ſo oft geſchieht, über die Hülfloſigkeit des alten Herrn und tauſend Vergleiche zwiſchen ſonſt und jetzt, die ihm der Anblick derſelben herbeiruft; aber ſeine Augen und ſeine Gedanken ſind auf der Straße vor dem Zaun.

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Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/46>, abgerufen am 19.04.2024.