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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Fettzellen.
sonst günstigen Umständen häuft körperliche Ruhe das Fett, während es
durch Muskelanstrengung verzehrt wird. -- c) Das Auftreten neuer oder
die Steigerung bestehender fetthaltender Absonderungen (Eiter, Milch
u. s. w.) bedingt ein Schwinden des fettigen Zelleninhalts. -- d) Das
spätere Lebensalter, insbesondere bei Frauen die Zeit jenseits der Men-
strualperiode, sind der Fettablagerung günstig.

Um den Einfluss irgend einer Bedingung auf die Fetterzeugung zu bestimmen, wählt
man nach Chossat und Boussingault möglichst gleiche Exemplare eines und des-
selben Wurfs oder derselben Brut heraus, in denen man denselben Fettgehalt voraus-
setzen darf. Tödtet man ein Thier vor Beginn und das andere nach Vollendung der
Versuchsreihe, so ist der absolute Unterschied des Fettgehaltes beider Thiere wenig-
stens annähernd zu finden. Dieser Unterschied stellt nun aber wahrscheinlich nicht
die ganze Menge des Fetts dar, welches von Beginn bis zu Ende des Versuchs in
den Fettzellen deponirt war; denn der jeweilige Grad ihrer Füllung dürfte wiederum
nichts anderes sein, als der Unterschied der während der Versuchszeit in sie und
aus ihnen getretenen Mengen. Auf die Gegenwart eines solchen stetigen Verkehrs
deuten nemlich obige Thatsachen von selbst hin.

Die Anhäufung des Fetts in den Zellen geht gewissermaassen mit
einer Auswahl des Orts von Statten. Die meiste Anziehung zum Fett
haben die Zellen der Augenhöhle, die Wangenlücken, panniculus adiposus
der Fusssohle und der Fingerspitzen und die Markhöhlen, welche selbst
in der äussersten Abzehrung nie fettleer gefunden werden. Mehrt sich
das Fett, so tritt es zuerst im panniculus der Hinterbacken, dem Bauch,
den Waden, der Brust und gleichzeitig oder noch früher in der Umge-
bung des Kniegelenks und in den spongiösen Gelenkenden auf; erst wenn
hier die Füllung einen gewissen Grad erreicht hat, schwellen auch die
Zellen des Bauchfells und der Nierengegend.

Nach den Erfahrungen von Liebig und Gundlach, welche Bous-
singault
bestätigt hat, kann kein Zweifel darüber sein, dass das Fett
des Zelleninhaltes nicht unter allen Umständen seinen Ursprung verdanken
kann dem mit der Nahrung eingeführten Fett; aus welchen Atomen
es nun aber seinen Ursprung zieht, ob aus Amylon oder eiweissartigen
Stoffen, lässt sich nicht angeben. -- Noch weniger entschieden ist die
Frage, ob das Fett in die Zellen aus- und eingeführt werde, oder ob es
in ihnen entstehe und vergehe. -- Nachdem nemlich einmal die Möglich-
keit der Entstehung des Fettes aus andern in Wasser löslichen Atom-
gruppen nicht mehr bestritten werden kann, gewinnt die Annahme, dass
dieselbe innerhalb der Fettzellen vor sich gehe, an Wahrscheinlichkeit,
wenn man die Schwierigkeiten erwägt, welche sich dem Uebergang des
Fettes aus den Nahrungsmitteln in die Fettzellen entgegenstellen; kaum
ist es nemlich aus dem Darmrohr auf einem wie es scheint bequemen
Weg in die Lymphgefässe eingegangen, so wird jedes kleinste Tröpfchen
mit einer von Wasser getränkten Haut umgeben; um aus dem Blut in
seine neue Lagerstätte zu gelangen, muss das Fett die Hülle der Lymph-

Fettzellen.
sonst günstigen Umständen häuft körperliche Ruhe das Fett, während es
durch Muskelanstrengung verzehrt wird. — c) Das Auftreten neuer oder
die Steigerung bestehender fetthaltender Absonderungen (Eiter, Milch
u. s. w.) bedingt ein Schwinden des fettigen Zelleninhalts. — d) Das
spätere Lebensalter, insbesondere bei Frauen die Zeit jenseits der Men-
strualperiode, sind der Fettablagerung günstig.

Um den Einfluss irgend einer Bedingung auf die Fetterzeugung zu bestimmen, wählt
man nach Chossat und Boussingault möglichst gleiche Exemplare eines und des-
selben Wurfs oder derselben Brut heraus, in denen man denselben Fettgehalt voraus-
setzen darf. Tödtet man ein Thier vor Beginn und das andere nach Vollendung der
Versuchsreihe, so ist der absolute Unterschied des Fettgehaltes beider Thiere wenig-
stens annähernd zu finden. Dieser Unterschied stellt nun aber wahrscheinlich nicht
die ganze Menge des Fetts dar, welches von Beginn bis zu Ende des Versuchs in
den Fettzellen deponirt war; denn der jeweilige Grad ihrer Füllung dürfte wiederum
nichts anderes sein, als der Unterschied der während der Versuchszeit in sie und
aus ihnen getretenen Mengen. Auf die Gegenwart eines solchen stetigen Verkehrs
deuten nemlich obige Thatsachen von selbst hin.

Die Anhäufung des Fetts in den Zellen geht gewissermaassen mit
einer Auswahl des Orts von Statten. Die meiste Anziehung zum Fett
haben die Zellen der Augenhöhle, die Wangenlücken, panniculus adiposus
der Fusssohle und der Fingerspitzen und die Markhöhlen, welche selbst
in der äussersten Abzehrung nie fettleer gefunden werden. Mehrt sich
das Fett, so tritt es zuerst im panniculus der Hinterbacken, dem Bauch,
den Waden, der Brust und gleichzeitig oder noch früher in der Umge-
bung des Kniegelenks und in den spongiösen Gelenkenden auf; erst wenn
hier die Füllung einen gewissen Grad erreicht hat, schwellen auch die
Zellen des Bauchfells und der Nierengegend.

Nach den Erfahrungen von Liebig und Gundlach, welche Bous-
singault
bestätigt hat, kann kein Zweifel darüber sein, dass das Fett
des Zelleninhaltes nicht unter allen Umständen seinen Ursprung verdanken
kann dem mit der Nahrung eingeführten Fett; aus welchen Atomen
es nun aber seinen Ursprung zieht, ob aus Amylon oder eiweissartigen
Stoffen, lässt sich nicht angeben. — Noch weniger entschieden ist die
Frage, ob das Fett in die Zellen aus- und eingeführt werde, oder ob es
in ihnen entstehe und vergehe. — Nachdem nemlich einmal die Möglich-
keit der Entstehung des Fettes aus andern in Wasser löslichen Atom-
gruppen nicht mehr bestritten werden kann, gewinnt die Annahme, dass
dieselbe innerhalb der Fettzellen vor sich gehe, an Wahrscheinlichkeit,
wenn man die Schwierigkeiten erwägt, welche sich dem Uebergang des
Fettes aus den Nahrungsmitteln in die Fettzellen entgegenstellen; kaum
ist es nemlich aus dem Darmrohr auf einem wie es scheint bequemen
Weg in die Lymphgefässe eingegangen, so wird jedes kleinste Tröpfchen
mit einer von Wasser getränkten Haut umgeben; um aus dem Blut in
seine neue Lagerstätte zu gelangen, muss das Fett die Hülle der Lymph-

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[204/0220] Fettzellen. sonst günstigen Umständen häuft körperliche Ruhe das Fett, während es durch Muskelanstrengung verzehrt wird. — c) Das Auftreten neuer oder die Steigerung bestehender fetthaltender Absonderungen (Eiter, Milch u. s. w.) bedingt ein Schwinden des fettigen Zelleninhalts. — d) Das spätere Lebensalter, insbesondere bei Frauen die Zeit jenseits der Men- strualperiode, sind der Fettablagerung günstig. Um den Einfluss irgend einer Bedingung auf die Fetterzeugung zu bestimmen, wählt man nach Chossat und Boussingault möglichst gleiche Exemplare eines und des- selben Wurfs oder derselben Brut heraus, in denen man denselben Fettgehalt voraus- setzen darf. Tödtet man ein Thier vor Beginn und das andere nach Vollendung der Versuchsreihe, so ist der absolute Unterschied des Fettgehaltes beider Thiere wenig- stens annähernd zu finden. Dieser Unterschied stellt nun aber wahrscheinlich nicht die ganze Menge des Fetts dar, welches von Beginn bis zu Ende des Versuchs in den Fettzellen deponirt war; denn der jeweilige Grad ihrer Füllung dürfte wiederum nichts anderes sein, als der Unterschied der während der Versuchszeit in sie und aus ihnen getretenen Mengen. Auf die Gegenwart eines solchen stetigen Verkehrs deuten nemlich obige Thatsachen von selbst hin. Die Anhäufung des Fetts in den Zellen geht gewissermaassen mit einer Auswahl des Orts von Statten. Die meiste Anziehung zum Fett haben die Zellen der Augenhöhle, die Wangenlücken, panniculus adiposus der Fusssohle und der Fingerspitzen und die Markhöhlen, welche selbst in der äussersten Abzehrung nie fettleer gefunden werden. Mehrt sich das Fett, so tritt es zuerst im panniculus der Hinterbacken, dem Bauch, den Waden, der Brust und gleichzeitig oder noch früher in der Umge- bung des Kniegelenks und in den spongiösen Gelenkenden auf; erst wenn hier die Füllung einen gewissen Grad erreicht hat, schwellen auch die Zellen des Bauchfells und der Nierengegend. Nach den Erfahrungen von Liebig und Gundlach, welche Bous- singault bestätigt hat, kann kein Zweifel darüber sein, dass das Fett des Zelleninhaltes nicht unter allen Umständen seinen Ursprung verdanken kann dem mit der Nahrung eingeführten Fett; aus welchen Atomen es nun aber seinen Ursprung zieht, ob aus Amylon oder eiweissartigen Stoffen, lässt sich nicht angeben. — Noch weniger entschieden ist die Frage, ob das Fett in die Zellen aus- und eingeführt werde, oder ob es in ihnen entstehe und vergehe. — Nachdem nemlich einmal die Möglich- keit der Entstehung des Fettes aus andern in Wasser löslichen Atom- gruppen nicht mehr bestritten werden kann, gewinnt die Annahme, dass dieselbe innerhalb der Fettzellen vor sich gehe, an Wahrscheinlichkeit, wenn man die Schwierigkeiten erwägt, welche sich dem Uebergang des Fettes aus den Nahrungsmitteln in die Fettzellen entgegenstellen; kaum ist es nemlich aus dem Darmrohr auf einem wie es scheint bequemen Weg in die Lymphgefässe eingegangen, so wird jedes kleinste Tröpfchen mit einer von Wasser getränkten Haut umgeben; um aus dem Blut in seine neue Lagerstätte zu gelangen, muss das Fett die Hülle der Lymph-

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/220>, abgerufen am 28.03.2024.