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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Umsetzung des Harns in der Blase.
welcher bei gleichzeitiger Anfüllung der Blase und der Ureteren auf jene
Schleimhautnerven ausgeübt werde, die gewöhnliche Veranlassung zur
reflektorischen Erregung abgebe. Eine Erregung der Nerven des De-
trusors hält einige Zeit an und verschwindet dann wieder, selbst wenn
die Blase nicht entleert wurde. -- Die harnaustreibende Wirkung des
m. detrusor kann durch die Zusammenziehung der Bauchmuskeln unter-
stützt werden. -- Der Sphincter der Blase ist willkührlich beweglich.
Reflektorisch erregbar ist er von der Schleimhaut in der Blasenmündung
und in dem Beginn der Harnröhre (Ch. Bell).

3. Die Schleimhaut der Ureteren und der Blase ist mit einem ge-
schichteten, aus cylindrischen und platten Zellen zusammengefügten Epi-
thelium bekleidet. In der Umgebung der Blasenmündung sind in die
Schleimhaut einfach traubige Drüsen eingebettet, welche einen schleim-
haltigen Saft absondern.

4. Umsetzung des Harns in der Blase; Harngährung. Während des
Aufenthaltes in der Blase verändert sich der Harn; die hervorstechendste
Eigenschaft, die aus dieser Umsetzung hervorgeht, besteht darin, dass er
entweder eine stark alkalische oder stark saure Reaktion annimmt.

Die alkalische Reaktion ist abhängig von einer Umwandlung des
Harnstoffs, welcher unter Aufnahme von Wasser in kohlensaures Ammo-
niak übergeht. In Folge dieser Ammoniakbildung wird der Harn durch
einen Niederschlag von phosphorsaurem Kalk getrübt. Sie erreignet sich
selten und scheint vorzugsweise bei Rückenmarkslähmungen, bei denen
sich auch eine reichliche Blasenschleimabsonderung einstellt, beobachtet
zu werden. In diesen Fällen geht die Umsetzung des Harnstoffs so rasch
vor sich, dass sie selbst eintritt, wenn der Harn nur kurze Zeit in der
Blase verweilte, nachdem diese vorher mit lauem Wasser wiederholt aus-
gespült worden war (Smith) *).

Die saure Gährung **) wird eingeleitet durch den Harnblasenschleim,
wie daraus hervorgeht, dass sie, die in dem gelassenen Harn noch fort-
geht, unterbrochen werden kann durch Filtration desselben, wobei der
Schleim auf dem Filtrum zurückgehalten wird. In den späteren Stadien
derselben entstehen aber auch Pilze (Virchow, Lehmann). Ihre
hervorragendsten Produkte sind Essig-, Benzoe-, Oxal- und Milchsäure.
An der Bildung der ersten betheiligt sich wahrscheinlich der Farbstoff
(Liebig), während die Benzoesäure aus der Zerfallung der Hippursäure
hervorgeht. Ist die saure Gährung ausgeprägt vorhanden, so trübt sich
der Harn durch Ausscheidung von Harnsäure oder saurem harnsauren
Natron. Scherer macht darauf aufmerksam, dass dieser Prozess Ver-
anlassung zur Entstehung von Harnsäureconcretion werden kann.

*) Romberg, l. c. p. 735.
**) Scherer, Liebig's Annalen. 42. Bd. 171. -- Liebig, ibid. 50. Bd. 161. -- Virchow's
Archiv für pathol. Anatomie. VI. Bd. 259. -- Lehmann, Physiolog. Chemie. II. Bd. 401.

Umsetzung des Harns in der Blase.
welcher bei gleichzeitiger Anfüllung der Blase und der Ureteren auf jene
Schleimhautnerven ausgeübt werde, die gewöhnliche Veranlassung zur
reflektorischen Erregung abgebe. Eine Erregung der Nerven des De-
trusors hält einige Zeit an und verschwindet dann wieder, selbst wenn
die Blase nicht entleert wurde. — Die harnaustreibende Wirkung des
m. detrusor kann durch die Zusammenziehung der Bauchmuskeln unter-
stützt werden. — Der Sphincter der Blase ist willkührlich beweglich.
Reflektorisch erregbar ist er von der Schleimhaut in der Blasenmündung
und in dem Beginn der Harnröhre (Ch. Bell).

3. Die Schleimhaut der Ureteren und der Blase ist mit einem ge-
schichteten, aus cylindrischen und platten Zellen zusammengefügten Epi-
thelium bekleidet. In der Umgebung der Blasenmündung sind in die
Schleimhaut einfach traubige Drüsen eingebettet, welche einen schleim-
haltigen Saft absondern.

4. Umsetzung des Harns in der Blase; Harngährung. Während des
Aufenthaltes in der Blase verändert sich der Harn; die hervorstechendste
Eigenschaft, die aus dieser Umsetzung hervorgeht, besteht darin, dass er
entweder eine stark alkalische oder stark saure Reaktion annimmt.

Die alkalische Reaktion ist abhängig von einer Umwandlung des
Harnstoffs, welcher unter Aufnahme von Wasser in kohlensaures Ammo-
niak übergeht. In Folge dieser Ammoniakbildung wird der Harn durch
einen Niederschlag von phosphorsaurem Kalk getrübt. Sie erreignet sich
selten und scheint vorzugsweise bei Rückenmarkslähmungen, bei denen
sich auch eine reichliche Blasenschleimabsonderung einstellt, beobachtet
zu werden. In diesen Fällen geht die Umsetzung des Harnstoffs so rasch
vor sich, dass sie selbst eintritt, wenn der Harn nur kurze Zeit in der
Blase verweilte, nachdem diese vorher mit lauem Wasser wiederholt aus-
gespült worden war (Smith) *).

Die saure Gährung **) wird eingeleitet durch den Harnblasenschleim,
wie daraus hervorgeht, dass sie, die in dem gelassenen Harn noch fort-
geht, unterbrochen werden kann durch Filtration desselben, wobei der
Schleim auf dem Filtrum zurückgehalten wird. In den späteren Stadien
derselben entstehen aber auch Pilze (Virchow, Lehmann). Ihre
hervorragendsten Produkte sind Essig-, Benzoe-, Oxal- und Milchsäure.
An der Bildung der ersten betheiligt sich wahrscheinlich der Farbstoff
(Liebig), während die Benzoesäure aus der Zerfallung der Hippursäure
hervorgeht. Ist die saure Gährung ausgeprägt vorhanden, so trübt sich
der Harn durch Ausscheidung von Harnsäure oder saurem harnsauren
Natron. Scherer macht darauf aufmerksam, dass dieser Prozess Ver-
anlassung zur Entstehung von Harnsäureconcretion werden kann.

*) Romberg, l. c. p. 735.
**) Scherer, Liebig’s Annalen. 42. Bd. 171. — Liebig, ibid. 50. Bd. 161. — Virchow’s
Archiv für pathol. Anatomie. VI. Bd. 259. — Lehmann, Physiolog. Chemie. II. Bd. 401.
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[277/0293] Umsetzung des Harns in der Blase. welcher bei gleichzeitiger Anfüllung der Blase und der Ureteren auf jene Schleimhautnerven ausgeübt werde, die gewöhnliche Veranlassung zur reflektorischen Erregung abgebe. Eine Erregung der Nerven des De- trusors hält einige Zeit an und verschwindet dann wieder, selbst wenn die Blase nicht entleert wurde. — Die harnaustreibende Wirkung des m. detrusor kann durch die Zusammenziehung der Bauchmuskeln unter- stützt werden. — Der Sphincter der Blase ist willkührlich beweglich. Reflektorisch erregbar ist er von der Schleimhaut in der Blasenmündung und in dem Beginn der Harnröhre (Ch. Bell). 3. Die Schleimhaut der Ureteren und der Blase ist mit einem ge- schichteten, aus cylindrischen und platten Zellen zusammengefügten Epi- thelium bekleidet. In der Umgebung der Blasenmündung sind in die Schleimhaut einfach traubige Drüsen eingebettet, welche einen schleim- haltigen Saft absondern. 4. Umsetzung des Harns in der Blase; Harngährung. Während des Aufenthaltes in der Blase verändert sich der Harn; die hervorstechendste Eigenschaft, die aus dieser Umsetzung hervorgeht, besteht darin, dass er entweder eine stark alkalische oder stark saure Reaktion annimmt. Die alkalische Reaktion ist abhängig von einer Umwandlung des Harnstoffs, welcher unter Aufnahme von Wasser in kohlensaures Ammo- niak übergeht. In Folge dieser Ammoniakbildung wird der Harn durch einen Niederschlag von phosphorsaurem Kalk getrübt. Sie erreignet sich selten und scheint vorzugsweise bei Rückenmarkslähmungen, bei denen sich auch eine reichliche Blasenschleimabsonderung einstellt, beobachtet zu werden. In diesen Fällen geht die Umsetzung des Harnstoffs so rasch vor sich, dass sie selbst eintritt, wenn der Harn nur kurze Zeit in der Blase verweilte, nachdem diese vorher mit lauem Wasser wiederholt aus- gespült worden war (Smith) *). Die saure Gährung **) wird eingeleitet durch den Harnblasenschleim, wie daraus hervorgeht, dass sie, die in dem gelassenen Harn noch fort- geht, unterbrochen werden kann durch Filtration desselben, wobei der Schleim auf dem Filtrum zurückgehalten wird. In den späteren Stadien derselben entstehen aber auch Pilze (Virchow, Lehmann). Ihre hervorragendsten Produkte sind Essig-, Benzoe-, Oxal- und Milchsäure. An der Bildung der ersten betheiligt sich wahrscheinlich der Farbstoff (Liebig), während die Benzoesäure aus der Zerfallung der Hippursäure hervorgeht. Ist die saure Gährung ausgeprägt vorhanden, so trübt sich der Harn durch Ausscheidung von Harnsäure oder saurem harnsauren Natron. Scherer macht darauf aufmerksam, dass dieser Prozess Ver- anlassung zur Entstehung von Harnsäureconcretion werden kann. *) Romberg, l. c. p. 735. **) Scherer, Liebig’s Annalen. 42. Bd. 171. — Liebig, ibid. 50. Bd. 161. — Virchow’s Archiv für pathol. Anatomie. VI. Bd. 259. — Lehmann, Physiolog. Chemie. II. Bd. 401.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/293>, abgerufen am 19.04.2024.