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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Aufsaugung von den Blutgefässen.
letztern vermisst, so durfte man den unmittelbaren Uebergang in das Blut annehmen
(Flandrin, Tiedemann und Gmelin). Viertens endlich bestimmte man die Zeit,
welche verfloss, damit ein aufgelegtes Gift tödtlich wirkte, oder ein beliebiger Stoff
im Harn erschien. War der Zeitraum sehr kurz, so schloss man auf direkte Ueber-
führung in das Blut, da der Lymphstrom sich nur sehr langsam weiter bewegt.

2. Von den in den Geweben zerstreuten flüssigen Atomen kehren gerade-
wegs durch die Gefässhäute in das Blut wieder ein: Wasser, CO2, Salze der
Alkalien mit unorganischen und organischen Säuren, Zucker und Farbstoffe,
wahrscheinlich auch Leucin, Tyrosin, Harnstoff, Kreatin und Kreatinin
und andere lösliche Umsetzungsprodukte der Gewebe. Die Gewissheit,
dass die zuerst genannten Substanzen geradezu vom Blut aufgesogen
werden, schöpfen wir aus der Beobachtung, dass sie, die offenbar aus
den Geweben herstammen, im Blute, nicht aber in den Lymphgefässen
angetroffen werden, oder dass sie, wenn letzteres der Fall, wenigstens
in einer solchen Weise und an solchen Orten des Gefässsystems gefun-
den werden, die es verbietet, ihre Anwesenheit auf Rechnung der Ver-
bindungen zwischen Blut- und Lymphgefässen zu schieben. Den Ueber-
tritt der zuletzt aufgezählten Verbindungen erschliessen wir, weil die-
selben im Blute angetroffen werden und die Theorie der Diffusion es
zu fordern scheint, und zwar darum, weil sie sich im Wasser zerstreuen,
und sie in den Geweben offenbar in reichlicherem Maasse als im Blute
angetroffen werden. Ob einzelne Modifikationen der Eiweissstoffe, die
im Blute sparsamer als in besonderen Drüsen- und Gewebssäften vor-
kommen, direkt in die Gefässe treten, ist ungewiss, während es im
höchsten Grade wahrscheinlich ist, dass die reichlich im Blute vertrete-
nen Eiweisskörper nicht in dasselbe diffundiren (Kürschner).

3. Dem Vorstehenden entsprechend ist es unmöglich, anzugeben,
mit welcher Geschwindigkeit jeder einzelne der wirklich aufgesogenen
Stoffe eintrete, je nach dem Conzentrationsunterschiede innerhalb der
Gewebssäfte und dem Blute, der anderweiten Zusammensetzung der
Flüssigkeiten, in denen er gelöst ist, der Gefässabtheilung, durch deren
Wand er tritt, und dem Spannungsunterschied, der zwischen dem Blute
und dem Gewebssafte besteht. Die noch sehr unvollkommenen Ver-
suche lassen jedoch schliessen, dass der Vorgang nach den bekannten
Diffusionsgesetzen geregelt werde. Denn es ist der Strom aus dem Ge-
webe in das Blut um so lebhafter, je conzentrirter die äussere Lösung
ist, je zarter die Gefässwand, durch die er sich bewegt, also durch die
Capillarenwand rascher, als durch die der Venen, und durch diese end-
lich geschwinder, als durch die Arterien (Magendie). Schliesslich
nimmt auch die Geschwindigkeit ab, wenn die Spannung im Gefässrohr
steigt im Verhältniss zu der ausserhalb vorhandenen. So gelang es Ma-
gendie
, die aufsaugende Bewegung zu beschleunigen durch einen Ader-
lass, sie aber zu verlangsamen durch Einsprützung von Blut oder Wasser

Aufsaugung von den Blutgefässen.
letztern vermisst, so durfte man den unmittelbaren Uebergang in das Blut annehmen
(Flandrin, Tiedemann und Gmelin). Viertens endlich bestimmte man die Zeit,
welche verfloss, damit ein aufgelegtes Gift tödtlich wirkte, oder ein beliebiger Stoff
im Harn erschien. War der Zeitraum sehr kurz, so schloss man auf direkte Ueber-
führung in das Blut, da der Lymphstrom sich nur sehr langsam weiter bewegt.

2. Von den in den Geweben zerstreuten flüssigen Atomen kehren gerade-
wegs durch die Gefässhäute in das Blut wieder ein: Wasser, CO2, Salze der
Alkalien mit unorganischen und organischen Säuren, Zucker und Farbstoffe,
wahrscheinlich auch Leucin, Tyrosin, Harnstoff, Kreatin und Kreatinin
und andere lösliche Umsetzungsprodukte der Gewebe. Die Gewissheit,
dass die zuerst genannten Substanzen geradezu vom Blut aufgesogen
werden, schöpfen wir aus der Beobachtung, dass sie, die offenbar aus
den Geweben herstammen, im Blute, nicht aber in den Lymphgefässen
angetroffen werden, oder dass sie, wenn letzteres der Fall, wenigstens
in einer solchen Weise und an solchen Orten des Gefässsystems gefun-
den werden, die es verbietet, ihre Anwesenheit auf Rechnung der Ver-
bindungen zwischen Blut- und Lymphgefässen zu schieben. Den Ueber-
tritt der zuletzt aufgezählten Verbindungen erschliessen wir, weil die-
selben im Blute angetroffen werden und die Theorie der Diffusion es
zu fordern scheint, und zwar darum, weil sie sich im Wasser zerstreuen,
und sie in den Geweben offenbar in reichlicherem Maasse als im Blute
angetroffen werden. Ob einzelne Modifikationen der Eiweissstoffe, die
im Blute sparsamer als in besonderen Drüsen- und Gewebssäften vor-
kommen, direkt in die Gefässe treten, ist ungewiss, während es im
höchsten Grade wahrscheinlich ist, dass die reichlich im Blute vertrete-
nen Eiweisskörper nicht in dasselbe diffundiren (Kürschner).

3. Dem Vorstehenden entsprechend ist es unmöglich, anzugeben,
mit welcher Geschwindigkeit jeder einzelne der wirklich aufgesogenen
Stoffe eintrete, je nach dem Conzentrationsunterschiede innerhalb der
Gewebssäfte und dem Blute, der anderweiten Zusammensetzung der
Flüssigkeiten, in denen er gelöst ist, der Gefässabtheilung, durch deren
Wand er tritt, und dem Spannungsunterschied, der zwischen dem Blute
und dem Gewebssafte besteht. Die noch sehr unvollkommenen Ver-
suche lassen jedoch schliessen, dass der Vorgang nach den bekannten
Diffusionsgesetzen geregelt werde. Denn es ist der Strom aus dem Ge-
webe in das Blut um so lebhafter, je conzentrirter die äussere Lösung
ist, je zarter die Gefässwand, durch die er sich bewegt, also durch die
Capillarenwand rascher, als durch die der Venen, und durch diese end-
lich geschwinder, als durch die Arterien (Magendie). Schliesslich
nimmt auch die Geschwindigkeit ab, wenn die Spannung im Gefässrohr
steigt im Verhältniss zu der ausserhalb vorhandenen. So gelang es Ma-
gendie
, die aufsaugende Bewegung zu beschleunigen durch einen Ader-
lass, sie aber zu verlangsamen durch Einsprützung von Blut oder Wasser

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[366/0382] Aufsaugung von den Blutgefässen. letztern vermisst, so durfte man den unmittelbaren Uebergang in das Blut annehmen (Flandrin, Tiedemann und Gmelin). Viertens endlich bestimmte man die Zeit, welche verfloss, damit ein aufgelegtes Gift tödtlich wirkte, oder ein beliebiger Stoff im Harn erschien. War der Zeitraum sehr kurz, so schloss man auf direkte Ueber- führung in das Blut, da der Lymphstrom sich nur sehr langsam weiter bewegt. 2. Von den in den Geweben zerstreuten flüssigen Atomen kehren gerade- wegs durch die Gefässhäute in das Blut wieder ein: Wasser, CO2, Salze der Alkalien mit unorganischen und organischen Säuren, Zucker und Farbstoffe, wahrscheinlich auch Leucin, Tyrosin, Harnstoff, Kreatin und Kreatinin und andere lösliche Umsetzungsprodukte der Gewebe. Die Gewissheit, dass die zuerst genannten Substanzen geradezu vom Blut aufgesogen werden, schöpfen wir aus der Beobachtung, dass sie, die offenbar aus den Geweben herstammen, im Blute, nicht aber in den Lymphgefässen angetroffen werden, oder dass sie, wenn letzteres der Fall, wenigstens in einer solchen Weise und an solchen Orten des Gefässsystems gefun- den werden, die es verbietet, ihre Anwesenheit auf Rechnung der Ver- bindungen zwischen Blut- und Lymphgefässen zu schieben. Den Ueber- tritt der zuletzt aufgezählten Verbindungen erschliessen wir, weil die- selben im Blute angetroffen werden und die Theorie der Diffusion es zu fordern scheint, und zwar darum, weil sie sich im Wasser zerstreuen, und sie in den Geweben offenbar in reichlicherem Maasse als im Blute angetroffen werden. Ob einzelne Modifikationen der Eiweissstoffe, die im Blute sparsamer als in besonderen Drüsen- und Gewebssäften vor- kommen, direkt in die Gefässe treten, ist ungewiss, während es im höchsten Grade wahrscheinlich ist, dass die reichlich im Blute vertrete- nen Eiweisskörper nicht in dasselbe diffundiren (Kürschner). 3. Dem Vorstehenden entsprechend ist es unmöglich, anzugeben, mit welcher Geschwindigkeit jeder einzelne der wirklich aufgesogenen Stoffe eintrete, je nach dem Conzentrationsunterschiede innerhalb der Gewebssäfte und dem Blute, der anderweiten Zusammensetzung der Flüssigkeiten, in denen er gelöst ist, der Gefässabtheilung, durch deren Wand er tritt, und dem Spannungsunterschied, der zwischen dem Blute und dem Gewebssafte besteht. Die noch sehr unvollkommenen Ver- suche lassen jedoch schliessen, dass der Vorgang nach den bekannten Diffusionsgesetzen geregelt werde. Denn es ist der Strom aus dem Ge- webe in das Blut um so lebhafter, je conzentrirter die äussere Lösung ist, je zarter die Gefässwand, durch die er sich bewegt, also durch die Capillarenwand rascher, als durch die der Venen, und durch diese end- lich geschwinder, als durch die Arterien (Magendie). Schliesslich nimmt auch die Geschwindigkeit ab, wenn die Spannung im Gefässrohr steigt im Verhältniss zu der ausserhalb vorhandenen. So gelang es Ma- gendie, die aufsaugende Bewegung zu beschleunigen durch einen Ader- lass, sie aber zu verlangsamen durch Einsprützung von Blut oder Wasser

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/382>, abgerufen am 25.04.2024.