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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Regeln über das Verhältniss von Einnabme und Ausgabe.

Die bis dahin zusammengestellten Thatsachen führen zu einigen all-
gemeinen Sätzen, welche sich beziehen auf die Gesammtausgabe, den
Verlust an bestimmten Atomen und deren Verbindungen, auf das Verhält-
niss der Ausgaben durch die einzelnen Ausscheidungswerkzeuge, auf die
Beziehungen zwischen der Aufnahme von Sauerstoff und festen Speisen
und endlich auf den Verbrauch und Ansatz von Organbestandtheilen.

Der Gesammtverlust. 1. Mit dem Gewichte der qualitativ
gleichen Nahrung steigt auch dasjenige der Endausgaben, diese Regel gilt
durchgreifend; beim Hungern wird immer weniger ausgegeben als bei
beschränkter Fütterung und bei dieser weniger als bei reichlicher Speise-
zufuhr. Dieses ist aber nicht so zu verstehen, dass sich unter allen
Umständen sogleich ein Gleichgewicht herstellt zwischen den Einnah-
men und Ausgaben. Steigert sich jenseits gewisser Grenzen das Gewicht
der täglichen Nahrung, so mehren sich zwar die Ausgaben, zugleich aber
wächst auch das Gewicht des Körpers; diese Zunahme des Körpergewichts
schreitet aber nur bis zu einem gewissen Grade fort, und mit diesem wächst
zugleich die Summe der Ausgaben, so dass alsbald wieder ein Punkt
erreicht wird, in welchem die Masse des Körpers constant bleibt, mit
anderen Worten, in welchem Ausgaben und Einnahmen gleich gross ge-
worden sind. Sinkt umgekehrt die Menge der Nahrung ab, so vermin-
dert sich die Ausgabe und das Körpergewicht, so jedoch, dass ursprünglich
die ersteren noch über die Einnahmen überwiegen, bis schliesslich
abermals das Körpergewicht stabil und Einnahme und Ausgabe gleich
gross wird. Einer bestimmten Menge von Speisen entspricht also ein
bestimmtes Körpergewicht. Weil aber die Gewichte der Ausgaben rascher
steigen als die des Gesammtkörpers, oder anders ausgedrückt, weil die
Gewichtseinheit des reichlicher gefütterten Thieres mehr Gesammtausga-
ben macht, als die des spärlich ernährten (siehe Katze I. und II. und
Hund IV. und VI.), so folgt daraus, dass die gesteigerte Umsetzung nicht
allein abzuleiten ist von der Ausbreitung der zersetzenden Herde, son-
dern von einer grösseren Lebhaftigkeit der Umsetzung in jedem der letz-
teren. Dieses ist selbstverständlich, wenn die Gewichtseinheit des gemä-
steten Thieres eine andere chemische Zusammensetzung besitzt, als die
des abgemagerten.

2. Gleiche Gewichte ungleich beschaffener Nahrung erzeugen un-
gleiche Ausgaben. Nach reiner Fleischkost erfolgen die Ausscheidungen
reichlicher, als nach Fleisch und Fett, oder Fleisch und Amylon. Darum
leitet ein geringeres Gewicht gemischter Nahrung die Mästung eher ein,
als ein grösseres reiner Fleischkost.

3. Die Art und Individualität des Thieres übt einen wesentlichen Ein-
fluss auf die Lebhaftigkeit der Ausscheidungen. So bedarf die Gewichts-
einheit Taube, um sich auf constantem Körpergewichte zu erhalten, viel
mehr Futter, als die Gewichtseinheit Hund, Katze, Mensch. Wie sich die

Regeln über das Verhältniss von Einnabme und Ausgabe.

Die bis dahin zusammengestellten Thatsachen führen zu einigen all-
gemeinen Sätzen, welche sich beziehen auf die Gesammtausgabe, den
Verlust an bestimmten Atomen und deren Verbindungen, auf das Verhält-
niss der Ausgaben durch die einzelnen Ausscheidungswerkzeuge, auf die
Beziehungen zwischen der Aufnahme von Sauerstoff und festen Speisen
und endlich auf den Verbrauch und Ansatz von Organbestandtheilen.

Der Gesammtverlust. 1. Mit dem Gewichte der qualitativ
gleichen Nahrung steigt auch dasjenige der Endausgaben, diese Regel gilt
durchgreifend; beim Hungern wird immer weniger ausgegeben als bei
beschränkter Fütterung und bei dieser weniger als bei reichlicher Speise-
zufuhr. Dieses ist aber nicht so zu verstehen, dass sich unter allen
Umständen sogleich ein Gleichgewicht herstellt zwischen den Einnah-
men und Ausgaben. Steigert sich jenseits gewisser Grenzen das Gewicht
der täglichen Nahrung, so mehren sich zwar die Ausgaben, zugleich aber
wächst auch das Gewicht des Körpers; diese Zunahme des Körpergewichts
schreitet aber nur bis zu einem gewissen Grade fort, und mit diesem wächst
zugleich die Summe der Ausgaben, so dass alsbald wieder ein Punkt
erreicht wird, in welchem die Masse des Körpers constant bleibt, mit
anderen Worten, in welchem Ausgaben und Einnahmen gleich gross ge-
worden sind. Sinkt umgekehrt die Menge der Nahrung ab, so vermin-
dert sich die Ausgabe und das Körpergewicht, so jedoch, dass ursprünglich
die ersteren noch über die Einnahmen überwiegen, bis schliesslich
abermals das Körpergewicht stabil und Einnahme und Ausgabe gleich
gross wird. Einer bestimmten Menge von Speisen entspricht also ein
bestimmtes Körpergewicht. Weil aber die Gewichte der Ausgaben rascher
steigen als die des Gesammtkörpers, oder anders ausgedrückt, weil die
Gewichtseinheit des reichlicher gefütterten Thieres mehr Gesammtausga-
ben macht, als die des spärlich ernährten (siehe Katze I. und II. und
Hund IV. und VI.), so folgt daraus, dass die gesteigerte Umsetzung nicht
allein abzuleiten ist von der Ausbreitung der zersetzenden Herde, son-
dern von einer grösseren Lebhaftigkeit der Umsetzung in jedem der letz-
teren. Dieses ist selbstverständlich, wenn die Gewichtseinheit des gemä-
steten Thieres eine andere chemische Zusammensetzung besitzt, als die
des abgemagerten.

2. Gleiche Gewichte ungleich beschaffener Nahrung erzeugen un-
gleiche Ausgaben. Nach reiner Fleischkost erfolgen die Ausscheidungen
reichlicher, als nach Fleisch und Fett, oder Fleisch und Amylon. Darum
leitet ein geringeres Gewicht gemischter Nahrung die Mästung eher ein,
als ein grösseres reiner Fleischkost.

3. Die Art und Individualität des Thieres übt einen wesentlichen Ein-
fluss auf die Lebhaftigkeit der Ausscheidungen. So bedarf die Gewichts-
einheit Taube, um sich auf constantem Körpergewichte zu erhalten, viel
mehr Futter, als die Gewichtseinheit Hund, Katze, Mensch. Wie sich die

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[447/0463] Regeln über das Verhältniss von Einnabme und Ausgabe. Die bis dahin zusammengestellten Thatsachen führen zu einigen all- gemeinen Sätzen, welche sich beziehen auf die Gesammtausgabe, den Verlust an bestimmten Atomen und deren Verbindungen, auf das Verhält- niss der Ausgaben durch die einzelnen Ausscheidungswerkzeuge, auf die Beziehungen zwischen der Aufnahme von Sauerstoff und festen Speisen und endlich auf den Verbrauch und Ansatz von Organbestandtheilen. Der Gesammtverlust. 1. Mit dem Gewichte der qualitativ gleichen Nahrung steigt auch dasjenige der Endausgaben, diese Regel gilt durchgreifend; beim Hungern wird immer weniger ausgegeben als bei beschränkter Fütterung und bei dieser weniger als bei reichlicher Speise- zufuhr. Dieses ist aber nicht so zu verstehen, dass sich unter allen Umständen sogleich ein Gleichgewicht herstellt zwischen den Einnah- men und Ausgaben. Steigert sich jenseits gewisser Grenzen das Gewicht der täglichen Nahrung, so mehren sich zwar die Ausgaben, zugleich aber wächst auch das Gewicht des Körpers; diese Zunahme des Körpergewichts schreitet aber nur bis zu einem gewissen Grade fort, und mit diesem wächst zugleich die Summe der Ausgaben, so dass alsbald wieder ein Punkt erreicht wird, in welchem die Masse des Körpers constant bleibt, mit anderen Worten, in welchem Ausgaben und Einnahmen gleich gross ge- worden sind. Sinkt umgekehrt die Menge der Nahrung ab, so vermin- dert sich die Ausgabe und das Körpergewicht, so jedoch, dass ursprünglich die ersteren noch über die Einnahmen überwiegen, bis schliesslich abermals das Körpergewicht stabil und Einnahme und Ausgabe gleich gross wird. Einer bestimmten Menge von Speisen entspricht also ein bestimmtes Körpergewicht. Weil aber die Gewichte der Ausgaben rascher steigen als die des Gesammtkörpers, oder anders ausgedrückt, weil die Gewichtseinheit des reichlicher gefütterten Thieres mehr Gesammtausga- ben macht, als die des spärlich ernährten (siehe Katze I. und II. und Hund IV. und VI.), so folgt daraus, dass die gesteigerte Umsetzung nicht allein abzuleiten ist von der Ausbreitung der zersetzenden Herde, son- dern von einer grösseren Lebhaftigkeit der Umsetzung in jedem der letz- teren. Dieses ist selbstverständlich, wenn die Gewichtseinheit des gemä- steten Thieres eine andere chemische Zusammensetzung besitzt, als die des abgemagerten. 2. Gleiche Gewichte ungleich beschaffener Nahrung erzeugen un- gleiche Ausgaben. Nach reiner Fleischkost erfolgen die Ausscheidungen reichlicher, als nach Fleisch und Fett, oder Fleisch und Amylon. Darum leitet ein geringeres Gewicht gemischter Nahrung die Mästung eher ein, als ein grösseres reiner Fleischkost. 3. Die Art und Individualität des Thieres übt einen wesentlichen Ein- fluss auf die Lebhaftigkeit der Ausscheidungen. So bedarf die Gewichts- einheit Taube, um sich auf constantem Körpergewichte zu erhalten, viel mehr Futter, als die Gewichtseinheit Hund, Katze, Mensch. Wie sich die

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/463>, abgerufen am 28.03.2024.