Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Verbrennung der Speise ist die Quelle der freien Wärme.
geführt werden können, wenn dieselbe Menge von Wärme oder Geschwin-
digkeit aufgewendet wird, die sie bei der Verbrennung ausgaben, so kann
man sagen, es sei der verbrennliche Körper mit einer zur Ruhe gekom-
menen Kraft begabt, welche sich als Spannung zwischen seinen Atomen
geltend mache. Keinenfalls wird durch die Verbrennung neue bewegende
Kraft gewonnen, sondern alte, längst vorhandene von einem auf den
anderen Körper übertragen.

Diese Thatsachen erzwingen den Ausspruch, dass die einzige Quelle
für die Wärme des menschlichen Körpers in der langsamen Verbrennung
liegt, welcher seine organischen Bestandtheile unterworfen sind. Dieser
Satz bestätigt sich vorerst dadurch, dass kein anderer Grund für die
thierische Wärme aufgefunden werden kann. So genügen offenbar zur
Entwickelung derselben die Stösse nicht, welche der menschliche Körper
von den ihn umgebenden Medien, z. B. der bewegten Luft, empfängt,
da sie einestheils zu unregelmässig erfolgen und anderntheils in den
meisten Fällen weitaus nicht den Kraftwerth der Stösse erreichen, welchen
der menschliche Körper selbst beim Gehen, bei Armbewegungen u. s. w.
seiner Umgebung mittheilt. -- Ferner können die von den Muskel- und
Nervenkräften ausgehenden Bewegungen keine neuen Ursachen der Wärme
abgeben, da die Entwickelung dieser Kräfte selbst von dem thierischen Stoff-
umsatze abhängt. Die in den Muskeln und Nerven vorkommenden Be-
wegungen sind also erst wieder abgeleitet aus den latenten Kräften der
Nahrungsmittel. Jene Apparate schöpfen ihre Befähigung zur Erzeugung
von lebendiger Kraft aus derselben Quelle mit der freien Wärme, und
somit muss in dem Maasse, in welchem jene Apparate lebendige Kräfte
zum Vorschein bringen, die Befähigung des thierischen Stoffes zur Bildung
freier Wärme abnehmen.

Daraus ergiebt sich schliesslich, dass auch die Reibungen, welche
in Folge der Muskelbewegung erscheinen, wie z. B. die der Gelenkflä-
chen, der Sehnen in den Sehnenscheiden, des Blutes und der Gefäss-
wandungen aneinander u. s. w., ursprünglich immer wieder demselben
Material ihr wärmebildendes Vermögen verdanken. Denn die Muskelbewe-
gungen, welche durch die eingeleitete Reibung Wärme erzeugten, konn-
ten nur entstehen durch eine Aufwendung derjenigen Kräfte, welche latent
zwischen den sich umsetzenden Atomen enthalten waren; also ist auch
die Reibungswärme nur durch einen Umweg aus der latenten Wärme
des Eiweisses, Fettes, des Sauerstoffs u. s. w. hervorgegangen, indem
die letztere sich zuerst in eine Bewegung des Muskels und diese wieder
in eine solche der Knochen, des Blutes u. s. w. umsetzte, welche durch
die wärmeerzeugende Reibung zur Ruhe kam.

Diese auf streng theoretischem Wege gewonnene Ueberzeugung vom
Ursprunge der thierischen Wärme hat man durch den Versuch noch zu
befestigen versucht, oder wahrheitsgemässer gesagt, Lavoisier und nach

Die Verbrennung der Speise ist die Quelle der freien Wärme.
geführt werden können, wenn dieselbe Menge von Wärme oder Geschwin-
digkeit aufgewendet wird, die sie bei der Verbrennung ausgaben, so kann
man sagen, es sei der verbrennliche Körper mit einer zur Ruhe gekom-
menen Kraft begabt, welche sich als Spannung zwischen seinen Atomen
geltend mache. Keinenfalls wird durch die Verbrennung neue bewegende
Kraft gewonnen, sondern alte, längst vorhandene von einem auf den
anderen Körper übertragen.

Diese Thatsachen erzwingen den Ausspruch, dass die einzige Quelle
für die Wärme des menschlichen Körpers in der langsamen Verbrennung
liegt, welcher seine organischen Bestandtheile unterworfen sind. Dieser
Satz bestätigt sich vorerst dadurch, dass kein anderer Grund für die
thierische Wärme aufgefunden werden kann. So genügen offenbar zur
Entwickelung derselben die Stösse nicht, welche der menschliche Körper
von den ihn umgebenden Medien, z. B. der bewegten Luft, empfängt,
da sie einestheils zu unregelmässig erfolgen und anderntheils in den
meisten Fällen weitaus nicht den Kraftwerth der Stösse erreichen, welchen
der menschliche Körper selbst beim Gehen, bei Armbewegungen u. s. w.
seiner Umgebung mittheilt. — Ferner können die von den Muskel- und
Nervenkräften ausgehenden Bewegungen keine neuen Ursachen der Wärme
abgeben, da die Entwickelung dieser Kräfte selbst von dem thierischen Stoff-
umsatze abhängt. Die in den Muskeln und Nerven vorkommenden Be-
wegungen sind also erst wieder abgeleitet aus den latenten Kräften der
Nahrungsmittel. Jene Apparate schöpfen ihre Befähigung zur Erzeugung
von lebendiger Kraft aus derselben Quelle mit der freien Wärme, und
somit muss in dem Maasse, in welchem jene Apparate lebendige Kräfte
zum Vorschein bringen, die Befähigung des thierischen Stoffes zur Bildung
freier Wärme abnehmen.

Daraus ergiebt sich schliesslich, dass auch die Reibungen, welche
in Folge der Muskelbewegung erscheinen, wie z. B. die der Gelenkflä-
chen, der Sehnen in den Sehnenscheiden, des Blutes und der Gefäss-
wandungen aneinander u. s. w., ursprünglich immer wieder demselben
Material ihr wärmebildendes Vermögen verdanken. Denn die Muskelbewe-
gungen, welche durch die eingeleitete Reibung Wärme erzeugten, konn-
ten nur entstehen durch eine Aufwendung derjenigen Kräfte, welche latent
zwischen den sich umsetzenden Atomen enthalten waren; also ist auch
die Reibungswärme nur durch einen Umweg aus der latenten Wärme
des Eiweisses, Fettes, des Sauerstoffs u. s. w. hervorgegangen, indem
die letztere sich zuerst in eine Bewegung des Muskels und diese wieder
in eine solche der Knochen, des Blutes u. s. w. umsetzte, welche durch
die wärmeerzeugende Reibung zur Ruhe kam.

Diese auf streng theoretischem Wege gewonnene Ueberzeugung vom
Ursprunge der thierischen Wärme hat man durch den Versuch noch zu
befestigen versucht, oder wahrheitsgemässer gesagt, Lavoisier und nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0484" n="468"/><fw place="top" type="header">Die Verbrennung der Speise ist die Quelle der freien Wärme.</fw><lb/>
geführt werden können, wenn dieselbe Menge von Wärme oder Geschwin-<lb/>
digkeit aufgewendet wird, die sie bei der Verbrennung ausgaben, so kann<lb/>
man sagen, es sei der verbrennliche Körper mit einer zur Ruhe gekom-<lb/>
menen Kraft begabt, welche sich als Spannung zwischen seinen Atomen<lb/>
geltend mache. Keinenfalls wird durch die Verbrennung neue bewegende<lb/>
Kraft gewonnen, sondern alte, längst vorhandene von einem auf den<lb/>
anderen Körper übertragen.</p><lb/>
          <p>Diese Thatsachen erzwingen den Ausspruch, dass die einzige Quelle<lb/>
für die Wärme des menschlichen Körpers in der langsamen Verbrennung<lb/>
liegt, welcher seine organischen Bestandtheile unterworfen sind. Dieser<lb/>
Satz bestätigt sich vorerst dadurch, dass kein anderer Grund für die<lb/>
thierische Wärme aufgefunden werden kann. So genügen offenbar zur<lb/>
Entwickelung derselben die Stösse nicht, welche der menschliche Körper<lb/>
von den ihn umgebenden Medien, z. B. der bewegten Luft, empfängt,<lb/>
da sie einestheils zu unregelmässig erfolgen und anderntheils in den<lb/>
meisten Fällen weitaus nicht den Kraftwerth der Stösse erreichen, welchen<lb/>
der menschliche Körper selbst beim Gehen, bei Armbewegungen u. s. w.<lb/>
seiner Umgebung mittheilt. &#x2014; Ferner können die von den Muskel- und<lb/>
Nervenkräften ausgehenden Bewegungen keine neuen Ursachen der Wärme<lb/>
abgeben, da die Entwickelung dieser Kräfte selbst von dem thierischen Stoff-<lb/>
umsatze abhängt. Die in den Muskeln und Nerven vorkommenden Be-<lb/>
wegungen sind also erst wieder abgeleitet aus den latenten Kräften der<lb/>
Nahrungsmittel. Jene Apparate schöpfen ihre Befähigung zur Erzeugung<lb/>
von lebendiger Kraft aus derselben Quelle mit der freien Wärme, und<lb/>
somit muss in dem Maasse, in welchem jene Apparate lebendige Kräfte<lb/>
zum Vorschein bringen, die Befähigung des thierischen Stoffes zur Bildung<lb/>
freier Wärme abnehmen.</p><lb/>
          <p>Daraus ergiebt sich schliesslich, dass auch die Reibungen, welche<lb/>
in Folge der Muskelbewegung erscheinen, wie z. B. die der Gelenkflä-<lb/>
chen, der Sehnen in den Sehnenscheiden, des Blutes und der Gefäss-<lb/>
wandungen aneinander u. s. w., ursprünglich immer wieder demselben<lb/>
Material ihr wärmebildendes Vermögen verdanken. Denn die Muskelbewe-<lb/>
gungen, welche durch die eingeleitete Reibung Wärme erzeugten, konn-<lb/>
ten nur entstehen durch eine Aufwendung derjenigen Kräfte, welche latent<lb/>
zwischen den sich umsetzenden Atomen enthalten waren; also ist auch<lb/>
die Reibungswärme nur durch einen Umweg aus der latenten Wärme<lb/>
des Eiweisses, Fettes, des Sauerstoffs u. s. w. hervorgegangen, indem<lb/>
die letztere sich zuerst in eine Bewegung des Muskels und diese wieder<lb/>
in eine solche der Knochen, des Blutes u. s. w. umsetzte, welche durch<lb/>
die wärmeerzeugende Reibung zur Ruhe kam.</p><lb/>
          <p>Diese auf streng theoretischem Wege gewonnene Ueberzeugung vom<lb/>
Ursprunge der thierischen Wärme hat man durch den Versuch noch zu<lb/>
befestigen versucht, oder wahrheitsgemässer gesagt, <hi rendition="#g">Lavoisier</hi> und nach<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[468/0484] Die Verbrennung der Speise ist die Quelle der freien Wärme. geführt werden können, wenn dieselbe Menge von Wärme oder Geschwin- digkeit aufgewendet wird, die sie bei der Verbrennung ausgaben, so kann man sagen, es sei der verbrennliche Körper mit einer zur Ruhe gekom- menen Kraft begabt, welche sich als Spannung zwischen seinen Atomen geltend mache. Keinenfalls wird durch die Verbrennung neue bewegende Kraft gewonnen, sondern alte, längst vorhandene von einem auf den anderen Körper übertragen. Diese Thatsachen erzwingen den Ausspruch, dass die einzige Quelle für die Wärme des menschlichen Körpers in der langsamen Verbrennung liegt, welcher seine organischen Bestandtheile unterworfen sind. Dieser Satz bestätigt sich vorerst dadurch, dass kein anderer Grund für die thierische Wärme aufgefunden werden kann. So genügen offenbar zur Entwickelung derselben die Stösse nicht, welche der menschliche Körper von den ihn umgebenden Medien, z. B. der bewegten Luft, empfängt, da sie einestheils zu unregelmässig erfolgen und anderntheils in den meisten Fällen weitaus nicht den Kraftwerth der Stösse erreichen, welchen der menschliche Körper selbst beim Gehen, bei Armbewegungen u. s. w. seiner Umgebung mittheilt. — Ferner können die von den Muskel- und Nervenkräften ausgehenden Bewegungen keine neuen Ursachen der Wärme abgeben, da die Entwickelung dieser Kräfte selbst von dem thierischen Stoff- umsatze abhängt. Die in den Muskeln und Nerven vorkommenden Be- wegungen sind also erst wieder abgeleitet aus den latenten Kräften der Nahrungsmittel. Jene Apparate schöpfen ihre Befähigung zur Erzeugung von lebendiger Kraft aus derselben Quelle mit der freien Wärme, und somit muss in dem Maasse, in welchem jene Apparate lebendige Kräfte zum Vorschein bringen, die Befähigung des thierischen Stoffes zur Bildung freier Wärme abnehmen. Daraus ergiebt sich schliesslich, dass auch die Reibungen, welche in Folge der Muskelbewegung erscheinen, wie z. B. die der Gelenkflä- chen, der Sehnen in den Sehnenscheiden, des Blutes und der Gefäss- wandungen aneinander u. s. w., ursprünglich immer wieder demselben Material ihr wärmebildendes Vermögen verdanken. Denn die Muskelbewe- gungen, welche durch die eingeleitete Reibung Wärme erzeugten, konn- ten nur entstehen durch eine Aufwendung derjenigen Kräfte, welche latent zwischen den sich umsetzenden Atomen enthalten waren; also ist auch die Reibungswärme nur durch einen Umweg aus der latenten Wärme des Eiweisses, Fettes, des Sauerstoffs u. s. w. hervorgegangen, indem die letztere sich zuerst in eine Bewegung des Muskels und diese wieder in eine solche der Knochen, des Blutes u. s. w. umsetzte, welche durch die wärmeerzeugende Reibung zur Ruhe kam. Diese auf streng theoretischem Wege gewonnene Ueberzeugung vom Ursprunge der thierischen Wärme hat man durch den Versuch noch zu befestigen versucht, oder wahrheitsgemässer gesagt, Lavoisier und nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/484
Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/484>, abgerufen am 28.03.2024.